Ein Kneipenwirt zapft in einer Berliner Gaststätte Bier.
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Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer? DEHOGA warnt vor Pleitewelle in der Gastronomie

Stand: 30.07.2023 08:15 Uhr

Viele Betriebe im Gastgewerbe bekamen in der Pandemie Staatshilfen, zudem wurde die Mehrwertsteuer auf Speisen abgesenkt. Sollte sie wieder angehoben werden, könnte es eine Pleitewelle geben, warnt die Branche.

Von Simone Blaß, SR

Catalina Kremers da Palma macht sich Sorgen. Die 49-Jährige betreibt seit 16 Jahren die "Tante Maja", ein beliebtes Restaurant in bester Lage direkt am St. Johanner Markt in der Saarbrücker Altstadt. Bei schönem Wetter sind ihre Tische draußen voll belegt, in der Küche geht es rund. Catalina bietet Salate, Schnitzel, Steaks - alles so zwischen zehn und 20 Euro. Fast alle, die um die Mittagszeit oder am Abend die "Tante Maja" besuchen, bestellen auch Essen. Catalina allerdings fürchtet, dass das nach einer Mehrwertsteueranhebung nicht mehr so sein wird. Denn dann müsse sie auch die Preise erhöhen, durchschnittlich um ein bis zwei Euro pro Gericht. Vielen werde das möglicherweise zu teuer.

"Die essen dann eben nicht mehr bei uns, sondern zu Hause und kommen nur noch auf einen Kaffee oder ein Mineralwasser vorbei - und wir müssen schauen, wie wir noch kostendeckend arbeiten." Die höhere Mehrwertsteuer nicht an die Kundinnen und Kunden weiterzugeben, ist für sie kaum denkbar. Alles sei schließlich teurer geworden, angefangen bei den Lebensmitteln über Energie, Miete bis hin zum Personal. Finanzielle Spielräume, wenn die Mehrwertsteuer wieder angehoben wird, sieht sie nicht. Auch ihr Personal könne sie dann vermutlich nicht mehr in der Stärke wie bislang halten - die Öffnungszeiten müsse sie möglicherweise einschränken.

Laut Umfrage rund 12.000 Betriebe bedroht

Ein noch drastischeres Bild zeichnet der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA. Er warnt davor, dass viele Restaurants und Hotels schlicht dichtmachen, wenn der Mehrwertsteuersatz wieder angehoben werde. Eine aktuelle Umfrage zu dem Thema habe ergeben, dass bundesweit rund 12.000 Betriebe schließen müssten. Allein im Saarland wären es 150 von insgesamt rund 2250. Für den Geschäftsführer der DEHOGA Saarland, Frank Hohrath, ist klar: Viele Existenzen stünden auf dem Spiel - nicht nur die der Besitzerinnen und Besitzer, sondern auch die ihrer Beschäftigten.

Hohrath glaubt nicht, dass die Gäste bereit sein werden, spürbar höhere Preise zu zahlen. Doch die drohen laut Umfrage nahezu in jedem Betrieb. Im Saarland wie auch bundesweit sähen sich knapp 95 Prozent der Gaststätten und Restaurantbetreiber dazu gezwungen. Die Gäste bekämen also weniger für ihr Geld, die Inflation würde steigen. Deshalb fordert der DEHOGA eine dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf sieben Prozent. Der Verband verweist darauf, dass in der EU eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie die Regel sei. Daran müsse sich auch Deutschland orientieren - nur so könnten die Betriebe auskömmlich wirtschaften.

Gegenwind von Wirtschaftsexperten

Widerspruch dagegen kommt von Friedrich Heinemann vom Leibnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW). Der Experte für Steuerpolitik sagt, durch den niedrigeren Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie verzichte der Staat auf viel Geld. Deshalb müsse er höhere Schulden machen, und die wiederum wirkten inflationär. Insofern sei es zu kurz gedacht, eine abgesenkte Mehrwertsteuer senke dauerhaft die Inflation.

Die Absenkung sei in der Krise absolut gerechtfertigt gewesen - aber Krisenmaßnahmen müssten nun mal gezielt, schnell aber auch zeitlich befristet sein: "Die Krise ist vorbei. Insofern hat diese Subventionierung der Gastronomie - denn nichts anderes ist die Absenkung der Mehrwertsteuer - keine Grundlage mehr und muss beendet werden", so Heinemann. Sonst würden Geschäftsmodelle am Leben erhalten, die nur funktionierten, weil sie subventioniert würden. Das könne sich der Staat auf Dauer nicht leisten.

Und Heinemann setzt noch einen drauf: Deutschland sei das Land mit der geringsten Arbeitszeit in der OECD. Durch eine dauerhafte Subventionierung der Gastronomie schaffe man für die Bürgerinnen und Bürger noch mehr Anreize, ihre Zeit nicht bei der Arbeit, sondern zum Beispiel im Restaurant zu verbringen. Auch das sei kontraproduktiv. Zudem sei es ungerecht gegenüber anderen Dienstleistern, wie Friseuren oder Handwerkern. Die könnten von solchen Privilegien nur träumen.

Folgen der Corona-Pandemie immer noch spürbar

Doch bei den Gastronomen ziehen diese Argumente nicht. Zu ihnen gehört auch Johannes Schäfer. Der 70-Jährige ist Geschäftsführer des Hotel-Restaurants Hofgut Imsbach in Tholey und Betreiber des Restaurants Forsthaus Neuhaus in Saarbrücken. Er weiß: Viele Betriebe leiden noch heute unter den Lockdowns während der Pandemie. Kein Umsatz bei laufenden Kosten - das habe die Branche trotz der Überbrückungshilfen stark gebeutelt. Viele Wirte hätten Investitionen zurückgestellt, die sie jetzt langsam wieder nachholen würden. Eine Mehrwertsteueranhebung auf 19 Prozent würde diese Entwicklung stoppen - und hätte auch gravierende Folgen für andere Bereiche.

Denn was würden die Betriebe tun, um nicht die komplette Kostensteigerung auf die Gäste umzulegen? Sie würden unter anderem beim Einkauf sparen. Also geringere Qualität - zum Beispiel beim Fleisch nicht mehr so viel Wert auf artgerechte Tierhaltung legen, oder statt unverpackter Ware wieder auf billigere Produkte in Plastik zurückgreifen. Und vermutlich müsse man dann auch auf Mitarbeitende verzichten: Man könne sie sich schlichtweg nicht mehr leisten, das wirke sich negativ auf den Service und damit auf die Gäste aus. Alles Rückschritte, die die Ampelregierung eigentlich nicht gutheißen könne, ist Schäfer überzeugt.

Warnung vor Aussterben der Innenstädte

Der Betriebswirt rechnet mit spitzem Stift: So seien die Lebensmittel in den letzten beiden Jahren deutlich teurer geworden - um rund 20 Prozent. Doch diese Teuerung habe er nicht an seine Kundinnen und Kunden weitergeben wollen und können. Er habe die Preise dort moderat erhöht, wo die Einkaufspreise extrem gestiegen seien, zum Beispiel beim Rindfleisch. Wenn jetzt die Mehrwertsteuer angehoben werde, bedeute dies eine "brutale Preiserhöhung", und die würden die Kunden kaum akzeptieren. Ein Haufen Betriebe sei dann existenziell bedroht: alles Mittelständler, die der Staat besser unterstützen würde, statt zu belasten. Denn mit den Betrieben verlören auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Jobs.

Schäfer hofft, dass sich die Bundesregierung doch noch zu einer dauerhaften Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie durchringen kann, und gibt zu bedenken: "Offenbar sieht niemand die weitreichenden Folgen eines Restaurant- und Gaststättensterbens. Viele Geschäftsräume sind bereits heute verwaist. Wenn auch noch zahlreiche Lokale dichtmachen, sterben die Innenstädte weiter aus, die Attraktivität sinkt - und damit auch die Lebensqualität. Das kann niemand wirklich wollen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. Juli 2023 um 14:22 Uhr.