China-Konkurrenz bei Elektroautos Die Flucht nach vorne
Deutsche Autohersteller stellen sich dem Wettbewerb mit China auf dem Elektromarkt. Auf der Automesse in Peking will man Stärke zeigen. Eine Aufholjagd in Hochgeschwindigkeit: Kann das klappen?
Wenn heute der Autosalon in Peking beginnt, dann geht es nicht nur um neue Modelle, neue Technik und Preise. Es geht auch um Macht und Ohnmacht - und darum, ein Statement zu setzen. Auf der Automesse in Peking präsentieren sich chinesische und internationale Hersteller. Und über allem thront auch eine Frage: Wie stellen sich deutsche und europäische Autobauer auf im Wettbewerb mit der Konkurrenz aus China?
Alle zwei Jahre findet der Autosalon im Wechsel mit Shanghai statt - inzwischen die Leitmesse für die Industrie und wichtiger als die IAA in Deutschland oder die Ausstellungen in Genf oder Paris. China ist der größte Automarkt der Welt, und die deutsche Autoindustrie ist davon massiv abhängig.
Weltweit wurden im vergangenen Jahr rund 75 Millionen Pkw verkauft - fast ein Drittel davon in China. Doch das Geschäft von Firmen wie Volkswagen und Mercedes in der Volksrepublik läuft nicht gut. In China hat BYD Volkswagen im vergangenen Jahr vom Thron verdrängt.
Elektromobilität auf einem anderen Level in China
Anders als in Europa und den USA setzt China stärker auf Elektroantriebe: Dort fährt inzwischen mehr als jeder dritte Neuwagen elektrisch. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 6,3 Millionen E-Autos in China verkauft. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 2023 laut Kraftfahrtbundesamt etwa 524.000 Elektroautos neu zugelassen. Das waren so viele wie in keinem Jahr zuvor. China hat etwa siebzehn mal so viele Einwohner wie Deutschland - trotzdem ist Elektromobilität in der Volksrepublik auf einem anderen Level als hierzulande.
Und das Potenzial für die Zukunft ist riesig, denn gemessen an der Gesamtbevölkerung haben dort noch deutlich weniger Menschen ein Auto als zum Beispiel in den Staaten der Erdteile Amerika oder Europa. Autoexperte Stefan Bratzel von CAR, dem Center Automotive Research in Bergisch Gladbach, sagt gegenüber tagesschau.de, man habe die Dynamik des chinesischen Elektromarktes unterschätzt.
Die deutschen Hersteller wurden in den letzten vier Jahren von der Innovations- und Absatzstärke der chinesischen Hersteller überrascht und quasi überrollt.
Und BYD dominiert den chinesischen Markt für E-Autos - im Jahr 2023 war der einzige in den Top 20 vertretene ausländische Hersteller Tesla. "Dass kein einziger deutscher Hersteller unter den Top Zehn der meistverkauften Modelle in China lag, sollte in den Konzernzentralen in Wolfsburg, Stuttgart und München alle Alarmglocken schrillen lassen", schreibt Sebastian Bock, Geschäftsführer der Umweltschutzorganisation Transport & Environment (T&E), tagesschau.de.
Frachter voller chinesische E-Autos
Auf der einen Seite brauchen deutsche Hersteller Antworten auf ihre eigene Rolle im so wichtigen chinesischen Markt, auf der anderen Seite blickt man auf den Markteintritt chinesischer Hersteller in Deutschland. Seit Monaten steuern große chinesische Frachter nach Europa und Deutschland. An Bord: Elektroautos.
Das schindet Eindruck - schaut man auf die Zahlen, sind 2023 aber knapp 34.000 Modelle aus China hierzulande neu zugelassen worden. Von BYD waren es in den ersten drei Monaten dieses Jahres nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes knapp 400 Fahrzeuge, von NIO knapp einhundert, von Polestar rund 600 Elektroautos. Zahlen, die aber ansteigen dürften. Auch, weil Marken wie BYD oder SAIC gerade eine Flotte von Autofrachtern aufbauen, um ihre Fahrzeuge in die Welt zu schicken. Chinas Autoexporte waren im vergangenen Jahr um 58 Prozent höher als im Vorjahr, das verändert den Fahrzeugmarkt.
In Peking beim Autosalon diskutiert wird sicherlich auch die Lage in vielen europäischen Häfen. Denn dort stauen sich aktuell viele Autos aus China. Laut einem Bericht der Financial Times haben einige Unternehmen Zeitfenster für die Auslieferung gebucht, ohne den Weitertransport zu bestellen. Außerdem sei es für Autohersteller derzeit grundsätzlich schwierig, Lkw für den Weitertransport zu finden. Dass sich chinesische Elektroautos in den Häfen stauen, könnte auch daran liegen, dass sie ihre Fahrzeuge in Europa nicht so schnell verkaufen wie erwartet.
Geht Chinas Strategie auf?
Trotzdem sagen auch die Experten der Internationalen Energieagentur (IEA), dass wachsende Exporte chinesischer Hersteller den Druck auf die Autopreise weiter erhöhen könnten. Dazu kommt: Die Attraktivität von Elektroautos gegenüber Verbrennern ist in dem asiatischen Land größer. Nach IEA-Angaben waren in China 2023 mehr als 60 Prozent der verkauften Elektroautos in der Anschaffung günstiger als ein entsprechender Verbrenner.
Bei Volkswagen fürchtet man sich nicht vor den Frachtern mit chinesischen Elektroautos; vielmehr ist man überzeugt, dass die Strategie, viele Autos nach Europa zu schicken, nicht aufgehe. Chinesische Hersteller können noch bei den Herstellungskosten punkten, allerdings müssen letztlich auch Frachtkosten, Zölle und Werbung, um die Marken zum Beispiel auf dem deutschen Markt bekannt zu machen, mit in die Rechnung einfließen. Chinesische Anbieter müssten, so Volkswagen, vielmehr im gleichen Umfeld konkurrieren, sprich: in Europa produzieren.
Der größte chinesische Autoexporteur Chery kündigte unlängst den Aufbau einer eigenen Produktion in Spanien an, BYD etwa will in Ungarn produzieren. Der Elektroautobauer Polestar will auch mehr Autos außerhalb Chinas bauen, man wolle die Produktion in den USA hochfahren und diese von dort aus in die Europäische Union verkaufen.
Mehr Unabhängigkeit - und doch Zusammenarbeit
Der chinesische Automobilverband ist überzeugt, dass man mit den eigenen Elektrowagen in Deutschland bestehen könne - und nicht nur beim Preis, sondern auch bei Innovationen. "Die deutschen Hersteller müssen mindestens so viel innovativer sein, wie sie teurer sind", sagt CAR-Autoexperte Stefan Bratzel.
Politisch will man sich eigentlich unabhängiger machen von China - die Bundesregierung hat eine sogenannte China-Strategie aufgelegt. Aber in puncto Autos haben Olaf Scholz und die chinesische Führung beim jüngsten Besuch des Kanzlers eine engere Zusammenarbeit vereinbart, auch im Bereich automatisiertes und vernetztes Fahren. Die Bundesregierung pocht dabei auf fairen Wettbewerb.
Darauf zielen auch die deutschen Autobauer ab, die sich dem Wettbewerb mit China stellen wollen. Gewarnt wird hingegen vor einem Handelsstreit. Hintergrund sind die von der EU-Kommission gerade geprüften Strafmaßnahmen gegen chinesische E-Auto-Hersteller wegen Dumpings und Überkapazitäten.
Schwierige Aufholjagd voraus
Um im Wettbewerb bestehen zu können mit China, müssen deutsche Autohersteller allerdings dringend Lösungen finden für die Preisprobleme. Deutsche Hersteller stehen gerade im Segment günstiger Elektroautos nicht gut da. Auf einer Liste mit den 30 günstigsten E-Autos vom ADAC landet kein einziger deutscher Autobauer auf den vorderen Plätzen. "Besonders betroffen ist Volkswagen, die im Volumensegment dem Preiskampf am stärksten ausgesetzt sind", sagt Autoexperte Stefan Bratzel gegenüber tagesschau.de.
Volkswagen selbst rechnet bei seiner Aufholjagd im chinesischen E-Auto-Markt mit zwei schwierigen Jahren. "Wir laufen auf Hochgeschwindigkeit, um uns in diesem Segment zu verbessern", sagte Chef Oliver Blume in Peking. Die Entwicklung seines E-Auto-Geschäfts in China will VW auch mit den nach wie vor gut laufenden Verkäufen im Verbrenner-Bereich finanzieren.
BWM und Mercedes als Premium-Hersteller haben nach Einschätzung von Bratzel noch einen gewissen zeitlichen Vorteil, aber auch dort greifen die chinesischen Hersteller an. Bei der Unternehmensberatung Accenture glaubt man, dass die deutschen Autobauer sich um den Heimatmarkt keine allzu großen Sorgen machen müssten. Denn so richtig billig seien die chinesischen Anbieter gar nicht; viele hätten sich sogar bei ihren Preisen verschätzt.
Elektroautos für 20.000 Euro
Trotzdem: Preislich ist der Kampf mit Herstellern wie BYD im Moment zumindest für deutsche Hersteller kaum zu gewinnen. "Ich rechne mit einer großen Konsolidierung aufgrund des zermürbenden Preiskampfes, den viele chinesische Hersteller nicht überstehen werden", so Autoexperte Bratzel. Frank Schwope lehrt Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Köln und Hannover und sagte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: "Das bezahlbare Elektroauto aus China ist ja so etwas wie die große Hoffnung des deutschen Bürgers."
Zwar sind auch deutsche Hersteller längst dran an der Entwicklung günstigerer E-Autos. Das dürfte aber noch etwas dauern. Opel spricht gegenüber tagesschau.de davon, "in nicht allzu ferner Zukunft" ein vollwertiges E-Auto ab 25.000 Euro anbieten zu wollen. Auch Volkswagen plant einen Wagen für rund 20.000 Euro, aktuell sei aber noch keine Entscheidung über die Umsetzung getroffen, so ein Sprecher. Autofachmann Schwope hat Zweifel, ob die Hersteller angesichts der Inflation jemals diese Marken knacken werden.
Absatzeinbruch seit Wegfall der Kaufprämien
Seit in Deutschland die staatlichen Kaufprämien weggefallen sind, lahmt das Geschäft mit E-Autos. Vor allem die hohen Preise schrecken Kundinnen und Kunden ab. Aktuelle Daten vom ADAC zeigen aber: Nach wie vor können Kundinnen und Kunden von deutlichen Preisnachlässen profitieren. Aktuell gibt es zum Beispiel bis zu 8.000 Euro Nachlass bei Toyota, weitere Rabatte räumen Hyundai, Polestar und Fiat ein - VW hingegen vergünstigt seine ID-Modelle.
Keinen Rabatt, aber eine Listenpreissenkung gibt es aktuell bei Tesla. Die Elektroauto-Krise geht auch an Elon Musk nicht spurlos vorbei. In der Nacht hat Tesla die Bücher geöffnet. Es gab den ersten Umsatzeinbruch seit rund vier Jahren, der Gewinn ist zuletzt sogar um mehr als die Hälfte abgesackt. Auch Tesla hat deutlich weniger Autos verkauft. Dass die Zahlen also schlecht ausfallen würden, hatten Branchenkenner erwartet - das Ergebnis lag dann aber doch unter den Erwartungen.
Kurze Entwicklungszeit gepaart mit Innovationen
Die Konkurrenz aus China trifft alle - denn dort haben die führenden Autobauer es geschafft, auch die Entwicklungszeit ihrer Fahrzeuge drastisch zu verkürzen, gepaart mit fortschrittlichen Funktionen in den Fahrzeugen. Es ist auch der Geschmack chinesischer Kundinnen und Kunden, auf den gerade deutsche Hersteller besser eingehen wollen und müssen. Es geht um eine gute Sprachsteuerung - nicht nur für das Navi, sondern zum Beispiel auch, um die Temperatur im Auto zu regeln oder den Sitz zu verstellen. Die Verbindung zu sozialen Netzwerken muss ebenfalls reibungslos funktionieren.
Das wissen deutsche Hersteller wie Volkswagen - und stellen sich vor Ort auf, durch zahlreiche Partnerschaften mit lokalen Tech-Firmen und einem Entwicklungszentrum für Elektro-Autos im Osten der Volksrepublik. Mehr für China denken und auch produzieren ist also die Devise.