Tourismus Teurer reisen in Krisenzeiten
Mit Schwung wollte die Reisebranche in diesem Jahr aus der Corona-Krise herauswachsen. Doch dann kam der Krieg in der Ukraine - und die Preise stiegen deutlich. Ein Ende der Verteuerung bei Reisen ist nicht abzusehen.
Samstag war für Remzie Ҫoban ein guter Tag. Zwei große Reisen habe sie gerade verkauft, erzählt die Besitzerin eines kleinen Reisebüros in Berlin-Neukölln. Zwei Familien hätten ihren Sommerurlaub festgezurrt und für die schönsten Wochen im Jahr tief in die Tasche gegriffen. Jeweils zwei Wochen türkische Mittelmeerküste im feinen Hotel, Kostenpunkt mit zwei Kindern an die 6000 Euro.
Früher hätten solche Beträge viele ihrer Stammkunden erschaudern lassen. "Die Pandemie hat da viel verändert", sagt Ҫoban. Nach mehr als zwei Jahren coronabedingter Reiseabstinenz seien die Menschen hungrig auf Urlaub und wollten, dass diesen Sommer alles stimmt.
Kurzfristige Buchungen
Dass in der Reisebranche bei weitem nicht alles ist wie vor Corona, zeigen die Reisepreise. 3000 bis 4000 Euro zahlen Familien allein für den Flug in die Türkei in diesem Sommer. Remzie Ҫoban sieht zwei Gründe, die ineinandergreifen: "Wegen der Corona-Gefahr sind die Menschen weiter verunsichert und buchen nicht mehr lange im Voraus. Und gleichzeitig sind mit der Ukrainekrise die Preise nochmal deutlich angestiegen." Wer in diesen Wochen bucht, muss daher tiefer in die Tasche greifen als früher.
Alles andere als Traumbedingungen also, um die Reiseanbieter nach der Corona-Schlappe wieder in die Spur zu bringen. Wenn sich heute in Berlin die Branche zum Tourismusgipfel 2022 trifft, mag zwar einerseits ein großes Aufatmen spürbar sein. Mehr als 60 Prozent der Deutschen gaben im Frühjahr an, in diesem Jahr verreisen zu wollen. Noch im März ging der Bundesverband der Tourismuswirtschaft davon aus, in diesem Jahr an die 70 Prozent des Vorkrisenniveaus erwirtschaften zu können.
Die Tourismusbranche hofft, in diesem Jahr mehr als zwei Drittel des Umsatzes aus der Vorkrisenzeit zu erwirtschaften.
Hoher Energieverbrauch im Gastgewerbe
Doch mit dem Ukraine-Krieg und den Belastungen für den Energiesektor zogen direkt die nächsten dunklen Wolken auf. "Die steigenden Energiepreise haben nicht nur Einfluss auf den Flugverkehr, sondern auf alle Verkehrsträger und die gesamte touristische Leistungskette", so Michael Rabe, Generalsekretär des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft kürzlich vor Abgeordneten des Tourismusausschusses im Bundestag. Insbesondere das Gastgewerbe sei in Teilen äußerst energieintensiv. "Die Herausforderungen für unsere Branche, aber auch für die Politik sind groß", heißt es zum Auftakt des Tourismusgipfels.
In der Pandemie hat der Staat insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen umfangreich geholfen. Die Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Müller, gesteht jedoch ein, dass die Pandemiefolgen längerfristig spürbar sein dürften. "Die Pandemie war eine große Herausforderung für die Branche", so die Grünen-Politikerin gegenüber tagesschau.de. "In einigen Bereichen, etwa dem Fachkräftemangel, hat sie sogar als Beschleuniger gewirkt."
"Entscheidender Faktor für regionale Entwicklung"
Die Reisewirtschaft war vor der Pandemie auf dem besten Weg, ein immer gewichtigerer Sektor zu werden. Immerhin vier Prozent der Wertschöpfung in Deutschland hängen unmittelbar am Thema Reisen. Die Konjunktur dort strahlt auf andere Wirtschaftszweige wie den Mobilitätssektor aus. "Der Tourismus ist in vielen Regionen, weltweit, aber auch in Deutschland, ein entscheidender Faktor für regionale Entwicklung", unterstreicht die Tourismusbeauftragte Müller. "Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, diesen Einfluss positiv zu nutzen und einen Mehrwert für die Touristen und die einheimische Bevölkerung zu schaffen."
In Deutschland verfolgt die Regierung dafür seit einigen Jahren eine nationale Tourismusstrategie. Diese wird sich an die neuen Realitäten aus Preissteigerungen, Energiewende und neuem Klimabewusstsein anpassen müssen. "Wir fordern - neben dem Eigenengagement unserer Betriebe - innovationsfreundlichere politische Rahmenbedingungen inklusive notwendiger Förderprogramme, damit die großen gesteckten Ziele auch tatsächlich erreichbar werden", so Michael Rabe vom Verband der Tourismuswirtschaft gegenüber tagesschau.de.
Online-Anbieter machen Reisebüros Konkurrenz
Innovation ist auch das Stichwort für die kleinen Reisedienstleister um die Ecke: Remzie Ҫoban spürt in ihrem Neuköllner Reisebüro die Konkurrenz, die sich aus der Digitalisierung des Reisesektors ergibt. "Die Kunden fragen oft, warum sie bei mir nicht manche Billigangebote aus dem Internet bekommen", erzählt sie. Ein Druck, gegenüber dem sie nur mit Service und klugen Konzepten bestehen kann. "Ein wenig Sicherheit schaffen in unsicheren Zeiten" könnte so ein Service sein, mit dem Reisebüros Kundinnen und Kunden gegen die neuen Unwägbarkeiten abschirmen.
Als neuer Trend scheinen sich bereits flexiblere Stornierungs- und Umbuchungsregeln abzuzeichnen. Damit könnten Reiseveranstalter versuchen, ihre Kunden trotz all der Unsicherheit bei der Stange halten. Vielleicht wäre das auch ein erkennbarer Mehrwert angesichts der steigenden Preise. "Für die können ja auch wir nichts", sagt Remzie Ҫoban und zuckt mit den Schultern.