Die SPD und Osteuropa Klingbeil sucht neue Ostpolitik
SPD-Chef Klingbeil erlebte auf seiner Osteuropa-Reise gleichermaßen Skepsis und Erwartungen an Deutschland. Neue Ansätze in der sozialdemokratischen Ostpolitik sollen helfen.
Er hat wohl viel erlebt in den letzten Tagen. Man sah Lars Klingbeil die Strapazen an, die es derzeit bedeutet, als SPD-Politiker in Osteuropa unterwegs zu sein. Die zwei Nachtzugfahrten durch die Ukraine und der Marathonbesuchstag in Kiew hätten es in sich gehabt, berichtete der Parteichef am Mittwoch in Warschau. Das Abteil und die Kojen viel zu klein für den Zwei-Meter-Mann, suchte er den Schlaf am Ende auf dem Fußboden.
Die Anekdote des Kiew-Reisenden steht vielleicht sinnbildlich für das Ziel dieser Reise: Die SPD will stärker als bisher eingehen auf die Sorgen und Wünsche der osteuropäischen Staaten. Ein Jahr nach dem Eingeständnis von massiven Fehlern in der Politik gegenüber Russland will der Parteichef alles besser machen. Sich einem schwierigen Umfeld anpassen zu können, könnte dafür eine gute Übung sein.
Neue Augenhöhe in der SPD-Ostpolitik
"Zeitenwende-Konferenz" hatte die SPD ihre Veranstaltung im Warschauer Polin-Museum überschrieben. Klingbeil wollte Einigkeit und Verständigung mit all jenen Ländern zeigen, die sich einer Bedrohung durch Russland besonders ausgesetzt sehen. Mit den Vorsitzenden sozialdemokratischer Parteien aus Ost- und Nordeuropa sollen Visionen für eine gemeinsame Politik mitten in der andauernden internationalen Krise entwickelt werden. Das betrifft zuvorderst die europäische Sicherheitsarchitektur.
Dabei sucht der SPD-Chef immer wieder die Augenhöhe mit den Nachbarstaaten. Als er vergangenes Jahr von der litauischen Vize-Chefin der dortigen Sozialdemokraten von der Angst der Litauer vor einem russischen Überfall hörte, habe er noch entgegnen wollen: "Quatsch, so etwas würde Putin nie tun." Inzwischen sei ihm klar geworden, dass genau dieser Reflex im Umgang mit den Nachbarn Russlands falsch sei.
"Bei meinen Antrittsbesuchen als Parteivorsitzender habe ich im vergangenen Jahr erlebt, wie kritisch deutsche Politik in Osteuropa gesehen wird", erinnerte sich Klingbeil. Damit daraus nicht ein latenter Anti-Deutschlandkurs werde, brauche es dringend mehr Verbindungen zu den Partnern. "Vertrauen gewinne ich nicht, indem ich eine kluge Rede halte, sondern indem wir in permanentem Dialog sind", meinte Klingbeil.
Experte: Auf die Jüngeren kommt es an
Ein Schlüssel scheint die Entwicklung zu sein, die die SPD in den Fragen der Verteidigungspolitik vollzogen hat: "Dieser Ansatz des SPD-Vorsitzenden ist sehr stark und unterstützt die Ukraine", lobte der Chef der polnischen Sozialdemokraten, Wlodzimiercz Czarzasty. "Wir erkennen heute eine richtige Einschätzung Russlands und eine richtige Einschätzung der von Russland ausgehenden Bedrohungen für die europäische Sicherheit." Die von vielen in der SPD bis heute als schmerzhaft empfundene Politikwende scheint sich insofern auszuzahlen.
"Das ist für die SPD und ihre Spitzen ein langer und keineswegs einfacher Weg gewesen", sagt Thorsten Faas, Parteienforscher an der Freien Universität Berlin. Viele der handelnden Personen hätten für das enge Verhältnis zu Russland gestanden. "Gerade Jüngeren in der Partei wie Lars Klingbeil kommt deshalb eine besondere Rolle zu, weil die persönlichen Verbindungen zu der alten Linie weniger stark präsent sind."
Ohne Brandt geht es nicht
Dabei will sich Klingbeil aber nicht von allen Symbolen der Ostpolitik lossagen - nicht zufällig hat er Warschau für seine Initiative gewählt. Am Morgen vor der Konferenz stand er, mit einer roten und einer weißen Nelke in der Hand, zusammen mit Sozialdemokraten aus 13 europäischen Staaten an jenem Ort, an dem sein ewiger Vorgänger zum Sinnbild der Versöhnungspolitik mit Polen wurde.
Willy Brandt und seinen Kniefall vor dem Ehrenmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto von 1970 will und kann Klingbeil nicht überbieten. Aber er möchte daran anknüpfen. "Auch wenn die Situation heute eine ganz andere ist, müssen wir als SPD alles tun, um die Motive der Entspannungs- und Ostpolitik von damals zu verteidigen", sagte Klingbeil. So finde er bei Brandt und auch dessen Nachfolger Helmut Schmidt eine Menge Entschlossenheit und Wagemut, die in der heutigen Zeit wieder helfen könnten.
"Niemand wird die Erfolge der damaligen Ostpolitik in Frage stellen", meint auch FU-Forscher Faas. "Sie ist und bleibt auch für viele in der SPD ein zentraler Ankerpunkt."
Polnischer Parteikollege hat Wunsch an Brüssel
Ob die Regierungspartei SPD zukünftig auf die Unterstützung der polnischen Sozialdemokraten zählen kann, wird sich indes erst bei den polnischen Wahlen im Herbst entscheiden. Denn Polen wird bisher von einem Rechtsbündnis regiert, das immer wieder deutschland- und europakritische Töne anstimmt. "Ich bin der Meinung, dass die deutsche Politik in die richtige Richtung geht", lobte Klingbeils polnischer Kollege Czarzasty zum Abschluss. "Und da schaue ich nicht, ob diese Haltung gerade in Polen populär ist oder nicht."
Er gab dem SPD-Chef noch einen weiteren Schlüssel zum Herz der Polinnen und Polen an die Hand: "Europa sollte viel mehr bei der Versorgung ukrainischer Geflüchteter helfen. Die EU-Kommission sollte uns dafür genauso Geld bereitstellen, wie sie es damals im Fall der Türkei getan hat", forderte Czarzasty. Nur so könnte ein weiterer Rechtsruck bei den Wahlen verhindert werden.