Beratergremium der Bundesregierung Wirtschaftsweise fordern Reform der Schuldenbremse
Zu streng und ökonomisch ineffizient: Die Wirtschaftsweisen sehen Konstruktionsschwächen der Schuldenbremse und fordern flexiblere Regelungen. Sonst werde viel mehr gespart als eigentlich nötig.
Wichtige wirtschaftspolitische Berater der Bundesregierung plädieren dafür, die Regelung für die Schuldenbremse umfassend zu lockern. Aktuell sei sie unnötig streng, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer, der Nachrichtenagentur dpa. Wenn man die Schuldenbremse so lasse, werde die Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten viel stärker sinken als nötig.
Die Wirtschaftsweisen regen deshalb eine Reform an: "Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, so dass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen", so Schnitzer.
Drei "Konstruktionsschwächen" ausgemacht
Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen sieht drei Konstruktionsschwächen der Schuldenregel: Zum einen gibt es bislang keine Übergangsregel für die Zeit nach einer Notlage. Natürlich könne man für das Folgejahr wieder eine Notsituation erklären, das wird aber mit jedem Jahr schwieriger zu argumentieren, sagt Schnitzer.
Für die Wirtschaft sei eine solche Unsicherheit heikel, weil sie sich nicht auf zugesagte Unterstützung verlassen könne. Die Wirtschaftsweisen schlagen deshalb vor, dass die Kreditaufnahme nach einer Notsituation schrittweise zurückgefahren wird: "Man könnte das strukturelle Defizit jährlich um 0,5 Prozentpunkte reduzieren, wie es in der EU vorgesehen ist. Oder man fährt es über drei Jahre linear herunter."
Der zweite Reformansatz betrifft die Verschuldungsgrenze von aktuell 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die sei unnötig gering, meint Schnitzer. Der Spielraum könne in Abhängigkeit von der Schuldenquote erhöht werden: Auf 1,0 Prozent bei einer Schuldenquote unter der Maastricht-Grenze, auf 0,5 Prozent bei einer Schuldenquote von über 60 Prozent - und auf 0,35 Prozent bei einer Schuldenquote von 90 Prozent oder mehr.
Die Maastricht-Regeln sehen vor, dass das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten darf. Außerdem darf der Schuldenstand nicht höher sein als 60 Prozent des BIP.
Reformbedarf bei Konjunkturkomponente
Weiteren Reformbedarf sieht das Beratergremium der Bundesregierung in der sogenannten Konjunkturkomponente der Schuldenbremse. Stark vereinfacht gilt: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höhere Kredite sind erlaubt. Das Problem ist, dass das auf Prognosen beruht. Denn zu Beginn des Jahres ist die wirtschaftliche Entwicklung unbekannt.
So räume man in manchen Jahren zu viel, in anderen zu wenig Schuldenspielraum ein, erklärte Schnitzer. "Das ist ökonomisch nicht effizient." Die Konjunkturkomponente müsse weniger revisionsanfällig gestaltet werden.
Lindner gegen Lockerungen
Für eine Reform der Schuldenbremse ist im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig, die die Koalition allein nicht hat. Doch schon innerhalb der Ampel von SPD, Grünen und FDP ist die Haltung sehr unterschiedlich.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) verteidigte im ARD-Morgenmagazin seinen Kurs gegen eine Lockerung der Schuldenbremse. "Man kann nicht Gebote der Verfassung aus- und einschalten wie einen Lichtschalter", so Lindner. Die Einhaltung der Schuldenbremse sei zudem ökonomisch vernünftig: "Das ist ein Gebot der Klugheit. Denn sonst müssten wir irgendwann Sparpakete schnüren oder die Steuern erhöhen, nur für die Schulden der Vergangenheit."
Beratergremium empfiehlt rasches Handeln
Schnitzer mahnt dennoch zu raschem Handeln. "Wir sprechen Stellschrauben an, die eigentlich offensichtlich sind. Dass eine Übergangsregel fehlt, haben wir zuletzt wirklich schmerzhaft erlebt - und auch, dass die Grenze zu starr ist", sagte sie. "Unsere Hoffnung ist daher, dass sich die Koalitionäre in der Ampel und die Opposition darauf verständigen können."
Sie könne nur "dringend empfehlen, das Problem noch in dieser Legislaturperiode anzupacken". "Denn je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, ist es in der nächsten Legislatur möglicherweise nicht mehr so einfach, eine Zweidrittelmehrheit von demokratischen Parteien zu finden."