Kredite in der Inflation Lohnt sich das Schuldenmachen?
In Zeiten hoher Inflation wird manchmal darauf verwiesen, Kredite ließen sich dann leichter zurückzahlen. Denn Geld verliert durch die Teuerung an Wert. Aber lassen sich Schulden "weginflationieren"?
Die Werbung für das Schuldenmachen ist auf der Website eines deutschen Immobilien-Finanzierers zu lesen. "Als Immobilienkreditnehmer profitiert man im Allgemein von einer steigenden und nachhaltigen Inflation, da der reale Wert der Schulden sinkt", heißt es dort. So oder ähnlich ist eine Argumentation, der man immer wieder begegnet: Bei einer hohen Teuerung sei der Betrag des Kredits unverändert, aber die Summe weniger wert. So sinke real die Schuldensumme, Kredite seien leichter zurückzuzahlen. Sie ließen sich quasi "weginflationieren".
Der Gedanke ist auf den ersten Blick richtig: Wenn Geld weniger wert wird, gilt das auch für die Schulden. Aber lassen sie sich dadurch leichter zurückzahlen? "Häufig wird die Rechnung ohne die Zinsen gemacht", sagt Thomas Kehl, Gründer des Finanzportals "finanzfluss.de". "Nur wenn die Zinsen niedriger sind als die Inflation, können Schuldner von der Inflation profitieren."
Banken verlangen Zinsen über der Inflationsrate
Ein Realitätscheck aktueller Kreditangebote: Im September mussten Verbraucher für neue Konsumentenkredite im Schnitt rund 8,5 Prozent Zinsen zahlen. Die Inflation lag im gleichen Monat hingegen bei 4,5 Prozent. Die Zinsen sind also deutlich höher als die Inflation.
Denn mit der Inflation steigen die Zinsen. Das betrifft Immobilien-Darlehen wie Konsumenten-Kredite. Diese Zinsen orientieren sich am Leitzins der Europäischen Zentralbank. Bei steigender Inflation heben die Notenbanken den Leitzins, um die Preise wieder in den Griff zu bekommen. "Genau das sehen wir gerade. Durch höhere Zinsen zahlt man als Verbraucher für einen Kredit mehr als früher", erklärt Thomas Kehl. Sprich: Die Zinsen für einen Kredit entwickeln sich ähnlich wie die Inflation: aufwärts.
Immer mehr Deutsche überschuldet
Um trotzdem Nutznießer der Inflation zu sein, müssten die Einkommen der Menschen stärker steigen als ihr Geld durch Inflation an Wert verliert. "Wenn das Einkommen mindestens im selben Maß steigt wie die Inflation, dann kann man die Inflation ausgleichen", sagt Kehl.
Doch trotz steigender Löhne sinkt die Kaufkraft der Deutschen. Eine Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) im September zeigt: Zwar haben die Löhne im ersten Halbjahr im Schnitt um 5,6 Prozent zugelegt, doch die Verbraucherpreise stiegen im Schnitt um rund 7,4 Prozent. Das ergab einen Rückgang der durchschnittlichen Reallöhne.
Das heißt: Schuldner müssen ihre Kredite mit weniger verfügbarem Geld bezahlen. Das fällt immer mehr Menschen in Deutschland schwer: Mehr als fünf Millionen Erwachsene in Deutschland galten im vergangenen Jahr als überschuldet. Das heißt, dass sie über einen längeren Zeitraum ihre Rechnungen nicht bezahlen können.
Wachsende Staatsschulden
Auch viele Staaten sind hoch verschuldet, und manche Defizite steigen immer schneller. In den USA ist die Verschuldung seit 2019 um fast die Hälfte gestiegen. In der Europäischen Union nahmen die öffentlichen Schulden in dieser Zeit um etwa 30 Prozent zu. Am höchsten im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind EU-weit Griechenland, Italien und Portugal verschuldet. Mit steigenden Zinsen wird auch für sie der Schuldendienst teurer. Deutschland muss aktuell rund neun Prozent des Haushalts für seine Zinslast ausgeben, die USA etwa 13 Prozent. Ein Risiko?
"Die USA sind nicht die einzigen, wo die Schuldentragfähigkeit zum Problem wird", lautet die Einschätzung von Karsten Junius, Chefvolkswirt der Bank J. Safra Sarasin. Auch im Euroraum stiegen die Zinskosten in einer Zeit, in der die Ausgaben für Verteidigung oder den demografischen und ökologischen Wandel zunähmen. In einigen Ländern seien die Zinsen über die möglichen Wachstumsraten gestiegen. Mittelfristig seien Haushaltsüberschüsse nötig, um den Schuldenstand im Verhältnis zu Wirtschaftsleistung konstant zu halten. Es ist daher wahrscheinlich, dass mehr Länder gegen die EU-Fiskal-Regeln verstoßen werden.
Abhängigkeit von Investoren
Auch für die Vereinigten Staaten sind Schulden ein wachsendes Problem: Die USA sind auf ausländische Investoren angewiesen. Und diese Investoren - etwa Zentralbanken anderer Staaten wie China - griffen immer gern zu: US-Staatsanleihen gehören zu den sichersten der Welt. Denn niemand zweifelte bis dato daran, dass die größte Volkswirtschaft der Welt ihre Schulden zurückzahlt.
Doch aktuell leihen immer weniger Investoren den USA Geld über Anleihen. Die Folgen: Die Preise sinken, die Renditen der Anleihen steigen - und die Finanzierungskosten werden höher. Die USA begeben immer mehr Anleihen, um die Zinsen für die bisherigen zu zahlen, um weiter Geld auszugeben statt zu sparen. Sprich: Immer mehr Schulden müssen immer teurer bezahlt werden.
Als Besitzer der Welt-Leitwährung Dollar könnten die USA nun mehr Geld drucken und diese Entwicklung aufhalten. Doch das würde vor allem eins bedeuten: Mehr Inflation. Also genau das Phänomen, das gerade bekämpft wird.
IWF ruft zum Sparen auf
Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnen daher die Schulden-Staaten, zu sparen. Der IWF hat errechnet: Wenn Staaten ihre Ausgaben um einen Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung senken, würde die Inflation um einen halben Prozentpunkt sinken.
Auch über ein höheres Wirtschaftswachstum könnten sie ihre Schulden und damit ihre Zinslast senken. Doch das ist schwierig. Der IWF erwartet für Deutschland in diesem Jahr eine Rezession, sprich ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Für die USA sagt der Währungsfonds ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent voraus, für China fünf Prozent.
Fazit: Ob mit oder ohne Inflation - Schulden müssen bezahlt werden, von Verbrauchern wie Staaten. Für Konsumenten heißt das: Wenn mit der Inflation das Einkommen nicht steigt, kann es schwieriger werden, mit weniger verfügbarem Geld eine gleichbleibend hohe Schuldenrate zu tilgen. Staaten müssen entweder mehr sparen oder die Wirtschaft stärker ankurbeln, um ihre Schulden zu begleichen oder zumindest nicht weiter in die Höhe zu treiben. Ein schwieriges Unterfangen in Zeiten von Krisen und Kriegen. Schulden bleiben also vor allem eins: teuer.