Pläne für Pipeline-Netz Countdown zur Wasserstoff-Revolution
Weil Erdgas immer teurer wird, rücken neue Energieträger wie Wasserstoff in den Fokus. Klimaneutral produziert, könnte es Gas ersetzen. Noch ist die Technik zu teuer - doch ausgerechnet der Ukraine-Krieg könnte das ändern.
Weiße Stahlrohre liegen im hellbraunen Boden. Vorne reißen Bagger die Erde auf, hinten schütten sie sie wieder zu. Dazwischen knien, stehen und liegen Arbeiter auf dem Boden, während sie die insgesamt 28 Kilometer lange Rohrleitung nach und nach zusammenschweißen. Die Neckar-Enztal-Leitung soll einmal Wiernsheim und Bietigheim-Bissingen in Baden-Württemberg verbinden. Bis zu 400 Meter schaffen Thomas Grote und sein Team von terranets bw am Tag.
"Wir werden Ende des Jahres, im Dezember, in Betrieb gehen", sagt der stellvertretende Projektleiter. Dann soll hier zunächst Erdgas durch die Leitungen fließen. Ab 2030 soll die Neckar-Enztal-Leitung aber Teil einer insgesamt 250 Kilometer langen Wasserstoffpipeline werden, die von Hessen über Baden-Württemberg nach Bayern reicht.
Wasserstoff als Alternative zum Erdgas
Die Planungen für ein europäisches Wasserstoff-Netz nehmen durch den Krieg in der Ukraine und die gestiegenen Erdgaspreise Fahrt auf. Und auch die Europäische Kommission verbindet mit Wasserstoff die Hoffnung, Erdgas, Kohle und Öl in der Industrie und im Verkehrssektor zu ersetzen. Bis zu 20 Millionen Tonnen Wasserstoff soll nach Willen der Kommission im Jahr 2030 in der EU transportiert werden. Deswegen müsse man nun den Ausbau der Infrastruktur beschleunigen.
Für die Betreiber von Erdgasleitungen entsteht dadurch ein neuer Markt. Erste Ziele haben sie bereits formuliert: Bis 2040 wollen die europäischen Gasnetzbetreiber 53.000 Kilometer Pipeline für den Wasserstofftransport zur Verfügung stellen. Viele ehemalige Erdgasleitungen könnten dafür einfach umgenutzt werden, heißt es von der Gasnetzbetreiber-Initiative "European Hydrogen Backbone". Einige Leitungen müssten aber auch neu gebaut werden.
Deutschland ist Netto-Importland
"Grüner Wasserstoff ist grundsätzlich in der Lage, fossile Energieträger wie etwa Erdgas zu ersetzen", sagt Karsten Lemmer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Der studierte Elektrotechniker ist Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat, der die Bundesregierung berät. Das Gremium sieht in Wasserstoff einen Energieträger, der "einen signifikanten Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele" leisten kann.
Damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, empfehlen die Mitglieder des Wasserstoffrates ein "rasches Hochlaufen der Wasserstoffwirtschaft" und einen schnellen Ausbau der Infrastruktur. "Deutschland ist, was die Energie betrifft, ein Netto-Importland. Das merken wir gerade sehr schmerzhaft. Und es wird zukünftig auch so sein, dass der Bedarf an grünem Wasserstoff nicht mit 'Bordmitteln' erfüllt werden kann", so Lemmer. Man werde auch zukünftig erhebliche Mengen importieren müssen.
"Rohöl der Zukunft"
Wasserstoff entsteht, vereinfacht gesagt, durch die Spaltung von Wasser unter Einsatz von Strom - der Vorgang heißt Elektrolyse. Wird dafür Strom von erneuerbaren Energien genutzt, gilt Wasserstoff als "grün". Der große Vorteil des Wasserstoffs: Er kann Energie speichern und nahezu verlustfrei über weite Strecken transportieren. "Das ist ein großer Unterschied zum grünen Strom", sagt Markus Hölzle vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Ulm. Während der Strom idealerweise regional erzeugt und verbraucht wird, kann Wasserstoff "irgendwo auf der Welt erzeugt werden, wo es im Moment viel Sonne und Wind gibt". Über Pipelines und Schiffe könne das Gas dann dorthin transportiert werden, wo viel Energie benötigt wird - zum Beispiel nach Deutschland. "Wasserstoff ist quasi das Rohöl der Zukunft."
Die Neckar-Enztal-Leitung wird zunächst zum Erdgastransport genutzt werden. Später soll auch Wasserstoff durchgeleitet werden.
Auf tagesschau.de hat die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zuletzt Wasserstoff als teuren und knappen Energieträger bezeichnet. Er sei der "Champagner der Energiewende". Forscher Hölzle kennt die Diskussion: "Wenn Sie in Deutschland Wasserstoff über grünen Strom machen wollen, dann haben Sie relativ teuren grünen Strom zur Verfügung, weil Deutschland relativ wenig Sonne und Wind hat." Deshalb müsse man die Wasserstoffproduktion ins Ausland verlagern: "Jetzt gehen Sie mal in andere Regionen wie den Mittleren Osten, Saudi-Arabien. Wenn Sie dort eine Photovoltaik-Anlage aufbauen, bekommen Sie heute schon den Strom für einen Cent je Kilowattstunde produziert." Das Ziel müsse also sein, dass dort Strom in Wasserstoff gespeichert und über Pipelines nach Deutschland transportiert wird.
Wirtschaft stellt sich auf Wasserstoff ein
Auch die Industrie stellt sich auf den verstärkten Einsatz von Wasserstoff ein. Beim Automobilzulieferer ElringKlinger in Dettingen etwa werden inzwischen neben Zylinderkopfdichtungen, die es für den Verbrenner braucht, auch Brennstoffzellen für den Antrieb mit Wasserstoff entwickelt. "Die Idee war, ein Substitutionsprodukt zu haben, wenn die Anzahl der benötigten Zylinderkopfdichtungen zurückgeht", sagt der Vorstandsvorsitzende Stefan Wolf. Seit 20 Jahren forsche man bereits an der Technologie.
Denn auch industriepolitisch will Deutschland von der Wasserstoff-Revolution profitieren. In der "Nationalen Wasserstoffstrategie", die noch von der alten Bundesregierung formuliert wurde, heißt es: "Deutschland will sich als Leitanbieter für grüne Wasserstofftechnologien am Weltmarkt positionieren."