Klimafreundliche Lkw Zweifelhafte Versuche mit Oberleitungen
Sie sollten den Lastverkehr auf Deutschlands Straßen umweltfreundlich und klimaneutral machen: Lkw mit Oberleitungen. In drei Bundesländern gibt es Teststrecken. Doch eine Zwischenbilanz fällt eher nüchtern aus.
Die Autobahn 5 zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt zählt zu den am meisten befahrenen Straßen des Landes. An den Fahrbahnrändern stehen 400 Masten, von denen Oberleitungen über die rechten Fahrspuren gespannt sind. Zweck ist herauszufinden, ob Elektrolaster wie Straßenbahnen mit Energie versorgt werden können. In Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg laufen parallele Tests: An der A1 zwischen Lübeck und Reinfeld und an der B462 im Murgtal bei Rastatt.
Auf den drei Straßen fahren Hybrid-Lastwagen mit Stromabnehmern. Speditionen haben die Wagen für ihren kommerziellen Einsatz geliehen bekommen. Solange die Laster Oberleitungsstrom beziehen, fahren sie rein elektrisch und laden ihre Bordbatterie. Jenseits der Teststrecke stellen sie auf Batteriebetrieb oder Dieselantrieb um. Parallel lief ein Versuch der Technischen Universität Aachen. Auf der Unternehmensteststrecke von Siemens im brandenburgischen Groß Dölln wurden andere Oberleitungslaster ausprobiert.
Technik mit Hindernissen
Der Hessische Rundfunk hat bei Behörden Akten angefordert, ausgewertet und Erkundigungen eingeholt. Deutlich wird, dass es absehbare Anfangsprobleme gab, überraschende Schwierigkeiten und dauerhaft technische Probleme. Die Isolatoren an den Masten mussten getauscht werden. Die Übertragung der Daten von den Lastern zur wissenschaftlichen Auswertung klappte lange nicht zuverlässig.
Die Wartung von Oberleitung und Lastern ist aufwändig. Auf den Teststrecken fahren die Wagen oft ohne Oberleitungsstrom: Weil die GPS- Steuerung ungenau ist, werden die Stromabnehmer zu spät automatisch ausgefahren und zu früh eingeholt. Nach verzögerter Erweiterung der Teststrecke, langwieriger Abnahme und zuletzt Kabelschaden durch einen Bagger ist der Strom auf der hessischen Strecke in einer Richtung seit Jahresanfang, in der anderen seit April abgestellt.
Ökologischer Nutzen unklar
Mittlerweile steht fest, dass Oberleitungen für Lastwagen grundsätzlich technisch funktionieren können. Der ökologische Nutzen ist hingegen nicht klar. Bei der Fahrt einer Spedition über 50 Kilometer einfache Wegstrecke wurde die hessische Teststrecke täglich auf den vollen fünf Kilometern Länge benutzt. Forscher der TU Darmstadt stellten 16 bis 21 Prozent weniger Treibhausgase für die gesamte Strecke fest. Bei stabilem Betrieb und hoher Auslastung seien höchstens 22 Prozent möglich.
Das gilt nur, wenn grüner Strom verwendet wird. Versorger seien vertraglich zu Ökostrom verpflichtet, sagt die Autobahngesellschaft. Belege werden nicht vorgelegt - auch nicht vom Versorgungsunternehmen Entega AG, das auf Fragen erklärt, "vertraglich verpflichtet" zu sein, nichts zu sagen. Die Zeitschrift "Ökotest" hat bereits vor zwei Jahren kritisiert, dass Entega keine Nachweise für Ökostromangebote an Endkunden vorlegt.
Wirtschaftlich zweifelhaft
Auch der wirtschaftliche Nutzen ist unklar. Eine Studie des Ökoinstituts und anderer Forscher zu den Versuchen hat ergeben, dass der Betrieb von Oberleitungslastern noch jahrelang teurer ist als der von Diesellaster. Es sollten 4000 Kilometer Autobahn elektrifiziert werden. Dann würden die Betriebskosten der Hybridlaster unter die von Diesellastern sinken. Allerdings ist mittlerweile der Strompreis drastisch gestiegen. Die Baukosten für die Leitungen von geschätzt zehn bis 16 Milliarden sind ebenso wenig eingerechnet wie jährliche Wartungskosten von knapp 300 Millionen Euro.
Das Interesse von Lastwagenproduzenten an den Versuchen ist allenfalls gering. Einzig VW-Tochter Scania, die schon bei einem Versuch in Schweden Oberleitungslaster geliefert hatte, trat an. Als die drei Teststrecken ab Dezember 2018 nach und nach fertig wurden, gab es allerdings keine Hybrid-Scanias mit Stromabnehmern: Das Bundesumweltministerium hatte zu spät bestellt. Der erste Laster wurde in abgespeckter Version nach fünf Monaten geliefert, der letzte der ursprünglich 15 bestellten Wagen im April vergangenen Jahres. Mittlerweile sind fünf weitere Laster in Betrieb, zwei noch im Bau. Die Wagen erwiesen sich als störanfällig. Sie kosteten den Staat bisher zehn Millionen Euro.
Die Elektrostraßen wurden erst vom seinerzeit sozialdemokratisch geführten Bundesumweltministerium finanziert, dann vom neuen grünen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Insgesamt haben Versuche mit Oberleitungslastern den Staat bisher 191 Millionen Euro gekostet. Das Bundesverkehrsministerium steht den Versuchen skeptisch gegenüber und lehnte jedwede finanzielle Beteiligung ab. Eine Machbarkeitsstudie für das Ministerium warnte: Wenn es zu flächendeckendem Einsatz käme, entstünde enormer Strombedarf zu Tageszeiten, an denen Strom ohnehin knapp sei.
Offizielle Einschätzungen
Noch bevor Ergebnisse absehbar waren, hatte das hessische Verkehrsministerium vor sechs Jahren erklärt, Oberleitungslaster seien "doppelt so effizient" wie Diesel. Heute ist nur noch von "einem möglichen Baustein" die Rede, den Oberleitungen für emissionsarmen Güterverkehr darstellen könnten.
Andere Behörden waren von Anfang an vorsichtig. Schleswig-Holstein beschreibt Bau und Betrieb der Versuchsstrecke als hürdenreich und fehleranfällig. Das baden-württembergische Verkehrsministerium schreibt intern, es gehe darum, das technisch Machbare auszutesten. Man habe "keinen Hochglanz-Feldversuch" angestrebt, heißt es in Abgrenzung zu parallelen Projekten. Aussagen zu Ergebnissen seien "sehr schwer zu tätigen", da die Laster oft kaputt waren und Daten nicht zuverlässig übertragen wurden.
Die baden-württembergische Teststrecke wird kommendes Jahr als erste abgerissen. Das Landesverkehrsministerium will seine Ressourcen besser einsetzen. In einem "Innovationscluster" für klimafreundliche Lastwagen sollen verschiedene Antriebe verglichen werden. Verantwortlich ist das Bundesverkehrsministerium, dessen Programm auf Batterie, Brennstoffzelle und Wasserstoff setzt. Oberleitungslaster werden nur am Rande erwähnt.