
Deutsche Energievorräte Teures Gas, leere Speicher
Die Gasspeicher sind so leer wie selten. Staatliche Auflagen schreiben vor, dass die Speicher im Sommer wieder befüllt werden. Doch ausgerechnet dann ist Erdgas inzwischen besonders teuer.
Deutschlands Gasspeicher sind aktuell nur noch zu knapp einem Drittel gefüllt. Dass während eines kalten Winters viel Gas verbraucht wird, ist normal. Doch die aktuellen Füllstände sind so niedrig wie selten zuvor in einem Frühling. Vor genau einem Jahr war mehr als doppelt so viel Gas gespeichert. Trotzdem zeigen sich Politik und Energiebranche entspannt. Ein staatliches Bewirtschaftungssystem greift in den Markt ein.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine begann Europa vor drei Jahren, russische Gaslieferungen zu boykottieren. Deutschland hatte sich durch Pipelinebauten ("Nord Stream") von russischen Gaslieferungen besonders abhängig gemacht. Zudem braucht die deutsche Metall- und Chemieindustrie besonders viel Gas für ihre Maschinen und Aggregate. Die Sorge war groß, im Kalten sitzen zu müssen.
Staatliche Bevorratung
Deutschland verfügt über fast ein Fünftel der EU-Kapazitäten zum Aufbewahren von Gas und ist damit mit größtem Abstand das Land mit den größten Gasspeichern. Nach Kriegsausbruch und plötzlicher Knappheit schufen die deutsche Regierung und die EU-Kommission ein Bevorratungssystem. Der Staat schreibt vor, bis wann die Speicher welche Füllstände erreichen müssen.
Die Bewirtschaftung setzt Marktmechanismen außer Kraft. Es ist ein Milliardengeschäft. Finanziert wird es durch eine Gasspeicherumlage, die alle Gaskunden zahlen. Sie begann vor drei Jahren mit 59 Cent pro Megawattstunde (1.000 Kilowattstunden) und wurde nach und nach auf 2,99 Euro verfünffacht.
Absurde Preisentwicklung
Wie eine Untersuchung des Wirtschaftswissenschaftlers Axel Ockenfels zusammen mit zwei Ökonomen des Beratungsunternehmens Frontier Economics zeigt, ist Gas im Sommer mittlerweile oft teurer als im Winter. Das ist eine neue und marktwirtschaftlich absurde Entwicklung, denn im Winter wird viel Gas für Heizung und Warmwasser gebraucht, weshalb die Großhandelspreise einst hoch waren. Das Erdgas, das im Sommer durch die Pipelines strömte, fand dagegen nur mühsam Käufer, weshalb die Großhandelspreise niedrig waren. Für Betreiber von Gasspeichern lohnte es sich, im Sommer billig zu kaufen und im Winter teuer zu verkaufen.
Neuerdings kauft der Staat im Sommer die nötigen Gasmengen. Er tut das nicht nach Marktlage, sondern nach Vorschrift. Dafür nutzt er die privaten Gasspeicher. Deren Betreiber bekommen dafür Geld vom Staat. Gasimporteure und Gashändler haben an Vorratshaltung auf eigene Rechnung kein Interesse mehr.
Ockenfels fürchtet eine "Interventionsspirale": Wenn sich Unternehmern immer weiter vom Markt zurückziehen, muss der Staat immer aktiver werden. "Die Füllstandsvorgaben stammen aus der akuten Gaskrise und gehören auf den Prüfstand", fordert Ockenfels, der auch dem Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern vorsteht.
Woher kommt das Gas?
Früher kam ein gutes Drittel der deutschen Gasimporte aus Russland. Der Anteil sank bis Ende August 2022 auf Null. Deutschland schränkte seinen Gasexport drastisch ein und behielt mehr für sich. Ab Ende 2022 wurde Flüssiggas (LNG) mit Tankern importiert. Nach einem Bericht des Handelsblatts sind die neuen LNG-Hafenanlagen mittlerweile ausgelastet. Sie sorgten vergangenes Jahr für acht Prozent des deutschen Bedarfs. Das ergibt sich aus Angaben der Bundesnetzagentur.
Der Löwenanteil deutschen Gases stammt heute aus Norwegen. Die Niederlande und Belgien liefern ebenfalls große Mengen - teils ist es zurück in Gas umgewandeltes LNG aus den Häfen Rotterdam und Antwerpen. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass deutsches Biogas volkswirtschaftlich keine Rolle spielt. Bauernhöfe können damit zwar ihren eigenen Energiebedarf bedienen, liefern aber nur 0,2 Prozent des Gesamtbedarfs ins Netz.
Der Bedarf in Zukunft
Wieviel Erdgas braucht Deutschland? Angaben der Bundesnetzagentur, dem Statistischen Bundesamt und dem Verbund der Gaswirtschaft gehen auseinander. Grob kann für 2023 mit 800 Terawattstunden gerechnet werden (800 Milliarden Kilowattstunden).
Die Vorstellung, auf mittlere Sicht auf Gas verzichten zu können und es durch klimafreundliche Erneuerbare Energieträger zu ersetzen, erwies sich als falsch. Eine Marktuntersuchung des Beratungsunternehmens McKinsey bestätigt nach wie vor hohen Gasbedarf. McKinsey rechnet noch im Jahr 2030 mit Gasverbrauch von um 700 Terawattstunden. Zwar bauen Industrie und Private nach und nach zu Erneuerbaren Energieträgern um. Doch werden beispielsweise weit weniger Wärmepumpen verbaut, als es Klimapolitikern vorschwebte. Kraftwerke benötigen für ökologisch günstige Fernwärme immer mehr Gas.
Kosten für private Haushalte
Erdgas kostet in Deutschland aktuell etwa doppelt so viel wie vor dem Krieg - damit haben sich die Preise allerdings wieder etwas beruhigt. Daten des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft zeigen, dass ein durchschnittlicher Haushalt vergangenes Jahr rund sechs Cent pro Kilowattstunde bezahlen musste. 2023 waren es noch zehn Cent und 2022 sogar noch mehr. Vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine waren es nur rund drei Cent.