Neue Regelungen Schlechte Aussichten für Fernwärme-Kunden?
Fernwärme gilt als die grüne Zukunft des Heizens, doch das Regelwerk dafür ist über 40 Jahre alt. Eine Modernisierung ist dringend nötig. Doch geht die Neuregelung am Verbraucher vorbei?
Fernwärme wird bei der kommunalen Wärmeplanung favorisiert. Sie soll die Wärmewende zum Gelingen bringen. Dafür hat das Bundeswirtschaftsministerium im Sommer einen Referentenentwurf für eine neue Fernwärmeverordnung veröffentlicht. Eigentlich sollte das Kabinett bereits am 28. August darüber entscheiden - Fehlanzeige. Auch der anberaumte Termin am 2. Oktober ist geplatzt - wieder verschoben.
Hinter den Kulissen streiten die Ministerien. Denn teilweise werden im Entwurf Kundenrechte wieder eingeschränkt. Anderes, was Platz finden sollte, fehlt ganz. Thomas Engelke vom Verbraucherzentrale Bundesverband mahnt, es sei jetzt genau der richtige Zeitpunkt, dass die Verbraucherrechte im Fernwärmerecht endlich verbessert werden, und er erwarte von der Bundesregierung, dass sie das jetzt auch tut. Sonst, so prognostiziert der Fernwärmeexperte Werner Dorß gegenüber Plusminus in der ARD, würden sich Missstände, die wir heute haben, in der Zukunft potenzieren.
Zukunft und Kehrseite der Fernwärme
Grundsätzlich ist Fernwärme ein zukunftsweisendes Heizsystem. Im Idealfall wird Geothermie oder Abwärme aus Müllverbrennung oder Industrieproduktion genutzt, um Wasser zu erhitzen, das dann durch Rohre zu den Häusern gepumpt wird. Im Keller braucht es keine eigene Heizung mehr. Der Haken: Die Fernwärmenetze sind regionale Monopole, es gibt immer nur einen Versorger und keinen Wettbewerb. Ein Anbieterwechsel ist nicht möglich. Diese Situation nutzen viele Energielieferanten - häufig die Stadtwerke vor Ort - aus, um mehr Wärme als nötig zu verkaufen und sehr hohe Preise zu verlangen.
Die Kunden sind weitgehend machtlos. Zum Beispiel Manfred Neuhöfer aus Neuss. 2023 sind seine Kosten für den Verbrauch innerhalb von drei Monaten um fast 220 Prozent gestiegen. Beschweren - völlig zwecklos. Aber da gibt es noch einen Preishammer: Der Fernwärmepreis splittet sich auf in Verbrauchskosten und einen fixen Grundpreis, der immer verrechnet wird, egal ob geheizt wird oder nicht.
Zu viel Wärme abgerechnet
Dieser Grundpreis errechnet sich nach dem sogenannten Anschlusswert in Kilowatt Wärmeleistung. Das ist die mögliche Wärmemenge, die der Versorger grundsätzlich zur Verfügung stellt und abrechnet - das ist allerdings oft doppelt so viel, wie das Haus überhaupt brauchen kann. Und daran verdienen die Versorger kräftig.
Seit zwei Jahren gibt es einen Passus in der bisherigen Fernwärmeverordnung, der es erlaubt, bei Überdimensionierung diesen Anschlusswert ohne Angabe von Gründen zu halbieren. Manfred Neuhöfer hat das gemacht, hat den Wert für sein Reihenmittelhaus von 9,5 auf sechs Kilowatt reduzieren lassen. Das spart ihm nun knapp 500 Euro im Jahr, die er vorher einfach zu viel bezahlt hat für etwas, das er gar nicht nutzen konnte.
Rückschritt bei den Regeln
Doch genau das soll wieder rückgängig gemacht werden, geht es nach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Sein Ministerium hat in der geplanten Neufassung der Fernwärmeregeln die Möglichkeit, den Anschluss zu reduzieren, einfach wieder gestrichen - Sparmöglichkeiten, die nicht nur Eigenheimbesitzer nutzen konnten.
Jens Kreische ist Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft der Stadt Moers. Fast alle 3.000 Wohnungen im Bestand hängen an der Fernwärme. Für eine Arbeitersiedlung erbaut um 1900 konnte er in harten Verhandlungen mit den örtlichen Stadtwerken eine deutliche Reduzierung der Anschlusswerte erreichen. Das spart etwa 50.000 Euro fixe Nebenkosten im Jahr. Geld, das in erster Linie den Mietern zugutekommt. Und so etwas soll nach dem neuen Regelwerk des Bundeswirtschaftsministeriums nicht mehr möglich sein.
Der Einfluss der Fernwärmelobby
Fernwärmeexperte Dorß spekuliert über die Gründe. Energieversorger würden bestens an überhöhten Anschlusswerten verdienen. Die Möglichkeit der Reduzierung sei ihnen ein Dorn im Auge. Deshalb würden sie versuchen, politisch Einfluss zu nehmen. Die Ministerien stünden hier unter erheblichem Lobbydruck, und die Sicht der Verbraucher und der Mieter komme zu kurz.
Der Lobbyverband der Fernwärmeversorger AGFW jedenfalls scheint recht zufrieden mit dem Referentenentwurf für die neue Verordnung. Auf die Anfrage des ARD-Verbrauchermagazins Plusminus nach gezieltem Lobbyeinfluss: keine Antwort. Auch das Wirtschaftsministerium schweigt zu einer Anfrage.
Mehr Rechte für Wärmecontracting-Kunden
Und es fehlt noch etwas Wichtiges im Verordnungsentwurf: Rechte von Eigentümern beim sogenannten Wärmecontracting. Das bedeutet: Der Eigentümer einer Immobilie tritt das Wärmesystem ab an einen Energieversorger, der dann die Anlage finanziert, betreibt und die erzeugte Wärme direkt mit den Bewohnern abrechnet. Egal ob Fernwärme, Gas- oder Ölheizung: Das Contracting wird immer über die Fernwärmeverordnung geregelt. Und da gibt es Lücken.
Fernwärmeexperte Dorß beschreibt einen Fall: Der Eigentümer, der anonym bleiben möchte, hat keinerlei Einfluss mehr auf die Regelung der Heizung. Das sei bundesweite Praxis, und die Energieversorger würden dies eiskalt ausnutzen.
Es gehe einfach darum, möglichst viel Energie in die Gebäude zu pumpen, um Profit zu machen. Selbst im Sommer, wenn die Heizung gar nicht laufen müsste, laufe sie in einem konkreten Fall bei 90 Grad. Das sei kein Versehen, das sei Absicht.
Es geht auch anders
Einige wenige Versorger machen es besser, so zum Beispiel die Stadtwerke Hanau. Ihre Contracting-Abteilung vereinbart vertraglich, dass Eigentümer umfangreiche Rechte haben, die Heizanlage zu steuern, als wäre es ihre eigene.
Diese Verträge wurden sogar als "Hanauer Modell" bekannt. Die Geschäftsführerin der Stadtwerke Hanau, Martina Butz, kommentiert das so: "Langfristig ist das für uns eine Kundenbindungsmaßnahme, dass wenn wir dem Kunden Vertrauen schenken, er dann auch uns sein Vertrauen schenkt."
Dass der Einfluss des Eigentümers beim Contracting Pflicht wird, das könnte Teil des Referentenentwurfs werden - doch Fehlanzeige, nicht vorhanden.
Fehlende Preisaufsicht
Das bemängelt auch Thomas Engelke vom Verbraucherzentrale Bundesverband ebenso wie fehlende Preisregeln in der geplanten Fernwärmeverordnung. Er fordert, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen bei einem Anstieg von mehr als 20 Prozent bei den Fernwärmepreisen ein Sonderkündigungsrecht bekommen sollten. Dazu fordert er eine Preisaufsicht bei einer Bundesbehörde, zum Beispiel der Bundesnetzagentur, und er fordert ein Streitschlichtungsverfahren.
Für Verbraucher bleibt zu hoffen, dass die geplante Verordnung auf dem Weg bis zur Verabschiedung im Bundesrat noch eine Wende bekommt, hin zu einem fairen Regelwerk für alle.