Klimabilanz von Chemieprodukten Schuhe aus Birkenrinde, Kleber auf Kartoffelbasis
Die chemische Industrie verarbeitet weit überwiegend Stoffe aus fossilen Quellen. Doch nachwachsende Rohstoffe können eine klimaschonende Alternative sein. Wie weit ist die Branche beim Umstieg?
Kleidung, Waschmittel, Zahnpaste, Stifte - sehr viele Produkte, die wir im Alltag nutzen, kommen aus der Chemie- und Kunststoffindustrie und bestehen fast ausschließlich aus Kohlenstoff. Ziel ist es, den Anteil der fossilen Stoffe massiv zu reduzieren, um weniger Treibhausgase zu produzieren. "Defossilisierung" nennen Fachleute das Verfahren. Bis Donnerstag kommen in Siegburg und Köln Hunderte Experten und Unternehmer zusammen, um sich darüber auszutauschen und voneinander zu lernen.
"Es geht darum zu verstehen, dass die Chemie und Werkstoffindustrie - im Gegensatz zum Energiebereich - auf Kohlenstoff angewiesen ist. Ihre Produkte bestehen zum größten Teil aus Kohlenstoff, und dieser kommt zu etwa 90 Prozent aus fossilen Quellen aus dem Boden: Erdöl, Erdgas und Kohle", sagt Michael Carus, Organisator der Konferenz. Problem sei, dass dieser Kohlenstoff früher oder später in die Atmosphäre gelange, wenn das Produkt auf dem Abfall landet. "Wir reden hier weltweit von 550 Millionen Tonnen Kohlenstoff, und der Bedarf wird sich weltweit bis 2050 verdoppeln", so Carus.
Auf der Suche nach Technik und Strategien
Die Klimabilanz sieht also aktuell schlecht aus - doch immer mehr Unternehmen arbeiten nun daran, das zu ändern. Sie versuchen, bei der Produktion von Anfang an auf die fossilen Stoffe zu verzichten, beispielsweise indem sie mit Biomasse arbeiten oder genutzte fossile Stoffe recyclen.
Die neuesten Techniken und Strategien sind Thema während der kommenden drei Tage. Besonders innovative Ideen sollen mit einem speziellen Award ausgezeichnet werden, über den alle Teilnehmende abstimmen. Zur Wahl steht beispielsweise Vaude Sport, das als erstes Unternehmen Textilprodukte, die bislang aus Polyester bestanden, nun auf biobasierten Chemikalien herstellt. Das schwedische Unternehmen Reselo verwendet für die Gummisohlen von Schuhen inzwischen Birkenrinde.
Pflanzenreste statt Erdöl
Der Leverkusener Chemiehersteller Covestro hat die nach eigenen Angaben weltweit erste Pilotanlage für Bio-Anilin in Betrieb genommen. Anilin ist eine wichtige Grundchemikalie, die in der Kunststoffindustrie die beispielsweise als Basis für Dämmschaum in Gebäuden und Kühlgeräten genutzt wird. Bislang wird Anilin aus Erdöl hergestellt, Covestro nutzt für die Produktion jetzt Pflanzenreste.
Das Bio-Anilin wird in der Pilotanlage in Leverkusen beispielsweise aus Stroh oder Zuckerrüben produziert. Noch steht das Unternehmen am Anfang. In die Pilotanlage im Chempark Leverkusen hat Covestro nach Angaben von Covestro Technologie-Vorstand Thorsten Dreier einen einstelligen Millionenbetrag investiert. "Der Betrieb der Anlage läuft gut und wir sind zuversichtlich, dass wir das Verfahren so spezifizieren können, dass es bald auch in einem größeren Maßstab einsetzbar ist", so Dreier.
Einsparpozenzial durch Recycling
Ein anderes Beispiel für mehr Nachhaltigkeit sei das Recycling von Matratzen. Die chemischen Bausteine, die im Matratzenschaum eingesetzt wurden, können durch ein spezielles Verfahren zurückgewonnen werden. Dadurch lassen sie sich als Rohstoffe für neue Matratzen wiederverwenden. Laut Thorsten Dreier bestehe hier ein großes Einsparpotenzial. "Allein in Europa fallen jährlich 40 Millionen ausrangierte Matratzen an. Die meisten werden verbrannt oder landen auf Mülldeponien", sagt der Covestro-Vorstand. "Würde man sie aneinanderlegen, könnte man damit zweimal die Welt umrunden. Schaffen wir es, die Rohstoffe aus den Matratzen im Kreis zu führen, wäre das ein echter Gewinn."
Das Düsseldorfer Unternehmen Henkel setzt nach eigenen Angaben auch immer stärker Inhaltsstoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe ein, unter anderem bei Waschmitteln, Shampoos und Klebestiften. "Beispielsweise besteht die Rezeptur unseres Pritt-Klebestifts zu rund 97 Prozent aus natürlichen Inhaltsstoffen, unter anderem aus Kartoffelstärke, Zucker und Wasser", so eine Unternehmenssprecherin.
Jacke aus Textilabfällen
Henkel ist mit BASF eine Kooperation eingegangen. Dadurch könnten nach Angaben eines BASF-Sprechers rund 110.000 Tonnen fossile Rohstoffe pro Jahr durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. Betroffen seien bekannte Marken wie Persil, Pril, Fa und Schauma. BASF hat nach eigenen Angaben zudem einen Rohstoff aus alten Textilabfällen entwickelt, aus dem wieder neue Kleidungsstücke hergestellt werden können. Der Modehändler Zara hat bereits eine Jacke im Verkauf, die zu 100 Prozent aus dem recycelten Rohstoff und damit aus Textilabfällen besteht.
Die Industrie steht bei der Umsetzung dieser Arbeitsprozesse erst am Anfang. Wie erfolgreich das wird und wie viel die Unternehmen investieren, bestimmen am Ende vor allem die Verbraucher - durch ihre Kaufentscheidung.