Wohnungsbau Bauwirtschaft warnt vor Kipppunkt
Vertreter der Bauwirtschaft warnen vor einer Krise im Wohnungsbau. Wenn die Politik nicht gegensteuere, drohe Gefahr für die Gesellschaft - und eine Abwärtsspirale bei der Bautätigkeit insgesamt.
Kaum ein Ziel der Ampelregierung ist in so weite Ferne gerückt wie das, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Im vergangenen Jahr dürfte die Zahl gerade noch bei 280.000 gelegen haben, für dieses Jahr schätzen Branchenvertreter mit einem weiteren Rückgang auf 240.000 bis 250.000. Und nicht nur die Zahl der fertig gestellten Wohnungen sinkt. Auch die Zahl der Baugenehmigungen nimmt ab. Schließlich werden schon genehmigte Projekte, wie das Ifo-Institut kurz vor Beginn des Wohnungsbautages in Berlin meldete, häufiger storniert.
Zugleich steht dem Rückgang beim Neubau eine höhere Nachfrage gegenüber. Gerade durch den Zuzug von mehr als einer Million Flüchtlingen im vergangenen Jahr sei der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum so hoch wie noch nie, sagt Robert Feiger, Chef der Industriegewerkschaft BAU. Feiger warnt: "Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum entwickelt sich zu einer Gefahr für die Gesellschaft."
Droht der Baubranche eine Negativspirale?
Möglicherweise droht der Baubranche sogar eine Negativspirale, die sie schon einmal in den 1990er-Jahren erlebt hat. Damals gab es nach dem Boom der Wiedervereinigung einen dramatischen Rückgang mit großen Arbeitsplatzverlusten - ein Rückgang, von dem sich die Branche nur langsam erholen konnte. Ähnliches fürchtet Feiger heute: Wenn junge Leute keine Zukunft am Bau sähen oder - wie es in manchen Gewerken bereits der Fall sei - Kurzarbeit angeordnet werden müsse, drohe die Abwanderung von Arbeitskräften in andere Branchen. So stehe der Wohnungsbau vor einem gefährlichen Kipp-Punkt.
Vor diesem Hintergrund schlägt Christian Staub vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes Alarm: Man brauche dringend eine "Erhöhung der Förderkulisse". Allein für den Sozialen Wohnungsbau sollte der Bund weitere 50 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Das Bündnis aus Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaft und Mieterbund könnte sich dafür ein neues Sondervermögen vorstellen. Was allerdings bei Bauministerin Klara Geywitz (SPD) auf Bedenken stößt: "Sondervermögen klingt nach einem Batzen Geld - in Wirklichkeit ist es aber ein Batzen Schulden". Und die Möglichkeiten zur Verschuldung seien begrenzt - "bei allem Verständnis für die Forderung".
Habeck: Politik kann "nicht alles und überall verbilligen"
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gibt den Branchenvertretern beim Wohnungsbautag keine feste Zusage. Es gehöre zur Ehrlichkeit, zuzugeben, dass die Politik "nicht alles und überall verbilligen könne". Wohl aber könne die Politik gezielt im sozialen und ökologischen Bereich Unterstützung gewähren - in dem Rahmen, den die Volkswirtschaft tragen könne. So müsse man prüfen, wie vorhandene und möglicherweise an anderer Stelle eingesparte Mittel gezielt für die Bauwirtschaft eingesetzt werden könnten, so Habeck.
Dabei lässt der Minister Sympathie für die Überlegung von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich anklingen, der eine Umwidmung von Schulden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds für andere Aufgaben des Staates ins Spiel gebracht hatte. Schließlich sei die Baubranche eine "Stütze der Transformationspolitik".
Bauwirtschaft beklagt steigende Kosten durch Auflagen
Oppositionspolitiker wie Mario Czaja (CDU) werfen der Regierung dagegen vor, die Misere am Bau selbst mit verstärkt zu haben. Viele Menschen seien verunsichert, weil zwei Fragen nicht geklärt seien: "Die erste Frage ist: Was kommt auf mich zu? Die zweite: Welche Förderung bekomme ich?" Das gelte gerade für die energetischen Vorgaben im Gebäudesektor - Stichwort Heizungen.
Auch die Vertreter der Bauwirtschaft sehen hier ein großes Problem. Die Kosten am Bau hätten sich nicht nur durch die höheren Preise für Baumaterialien oder die gestiegenen Zinsen erhöht, sondern auch durch die immer strengeren Auflagen - auf allen politischen Ebenen: Von Stellplätzen über die Gestaltung von Außenanlagen bis hin zu den Anforderungen zur Energieeffizienz. Axel Gedaschko vom Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen stellt nüchtern fest: "Uns geht das Geld aus für all diese Maßnahmen, die jetzt von uns gefordert werden, das ist die Wirklichkeit." Die Folge seien Stornierungen
Das Problem von immer mehr Auflagen, die das Bauen verteuern, erkennt auch Bauministerin Geywitz im Grundsatz an. Sie sagte zu, die Auflagen am Bau kritisch unter die Lupe zu nehmen. Sie werde dafür das Baugesetzbuch einmal "gründlich ausschütteln" - im kommenden Jahr stehe dazu eine große Reform an.