Förderung für Langzeitarbeitslose Hilft es, wenn der Staat die Lohnkosten übernimmt?
Vor fünf Jahren trat das Teilhabechancengesetz in Kraft - ein Förderprogramm, bei dem der Bund für Langzeitarbeitslose in neuen Jobs zeitweise den Lohn zahlt. Was hat es seitdem bewirkt?
Kathrin W. war 16 Jahre lang arbeitslos. Sie lebte in den Tag hinein, fand kaum noch einen Grund, sich aufzuraffen. "Ich habe mich zwar beworben, aber wusste, entweder kommt keine Antwort oder es kommt eine Absage." Der Frust war groß, von offiziellen Stellen fühlte Kathrin W. sich ignoriert. "Ich habe mich dann auch körperlich gehen lassen." Psychische Probleme, eine Essstörung waren die direkten Auswirkungen.
Die gelernte Verwaltungsfachangestellte war eine der Ersten, die 2019 über das Teilhabechancengesetz einen Job bekam: als Nageldesignerin in einem Friseursalon. 150.000 Stellen sollten mit dem Gesetz geschaffen werden. Die Idee: 75 Prozent der Lohnkosten zahlt der Staat für Menschen, die länger als zwei Jahre arbeitslos waren und 100 Prozent denen, die mehr als sieben Jahre ohne Job dastanden. Also zahlte das Jobcenter den Lohn für Kathrin W. für zwei Jahre, zu 100 Prozent. Eine neue Perspektive.
Ein Hoffnungsschimmer für Langzeitarbeitslose
Bei Antritt der geförderten Stelle 2019 war Kathrin W. hoch motiviert. "Ich werde alles dafür tun, dass ich in zwei Jahren einen guten Kundenkreis aufgebaut habe und hier weiterarbeiten kann, im Angestelltenverhältnis", sagte sie damals. Damit sprach sie aus, was das Ziel des neuen Instruments war: einen "Klebeeffekt" zu erzeugen und Menschen nach Ende ihrer Förderung in dem Betrieb zu halten, möglichst mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche.
Doch es scheiterte: Erst wechselten ihre Arbeitgeber, sie musste ihrem Lohn hinterherrennen. "Mein zweiter Chef hat behauptet, dass er kein Geld vom Jobcenter erhalten hätte. Ich musste sogar vor Gericht ziehen." Das Geld war da, und Kathrin W. wurde schließlich auch bezahlt. Wegen der Auseinandersetzung kündigte sie und wurde voller Hoffnung vom nächsten Friseurladen übernommen. Doch kurz vor Ablauf der zweijährigen hundertprozentigen Förderung kündigte die neue Chefin ihr den Vertrag. Kathrin W. hat nach dem Desaster aus eigener Kraft dann einen Job gefunden, in der Telekommunikation. Da arbeitet sie heute noch.
Manche Arbeitgeber nutzen das System aus
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte schon 2019, dass viele Arbeitgeber den Langzeitarbeitslosen zunächst nur einen befristeten Arbeitsvertrag für zwei Jahre gaben, obwohl das Teilhabechancengesetz fünf Jahre ermöglicht. Das habe damit zu tun, dass die Stellen für zwei Jahre zu 100 Prozent gefördert werden, die Arbeitgeber danach einen Eigenanteil zahlen müssen: im dritten Jahr zehn Prozent, im vierten 20 und im fünften 30 Prozent. Nutzen manche Arbeitgeber die ersten zwei Jahre aus und beenden dann das Arbeitsverhältnis, um selbst nichts zahlen zu müssen?
Die Arbeitgeber von Kathrin W. geben hierzu keine Stellungnahme ab. Zum Teil existieren ihre Läden auch nicht mehr. Für Stefan Würzbach, Abteilungsleiter Arbeitsmarkt und Sozialpolitik des DGB Hessen-Thüringen, zeigt der Fall von Kathrin W., wie wichtig es ist, engmaschig zu betreuen und zu prüfen, wohin das Geld fließt. Denn nicht jeder Job ergebe wirklich Sinn.
"Das Problem sehe ich vor allem darin, dass sich einzelne Unternehmen dazu entscheiden: Okay, wir stellen jetzt jemanden 100 Prozent gefördert ein, den wir normalerweise überhaupt gar nicht in Betracht gezogen hätten." Wenn es sich dann auch noch um eine Tätigkeit handele, die möglicherweise sonst gar nicht erwogen worden wäre, sei es nicht sinnvoll. "Das ist ein zweischneidiges Schwert in diesem Gesetz, weil man schwer überprüfen kann, was wirklich Sinn macht und was nicht", sagt DGB-Vertreter Würzbach.
Gesetz verlangt einiges ab
Bundesweit sind derzeit 36.057 Langzeitarbeitslose über das Teilhabechancengesetz beschäftigt. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kennt aber nur die Hälfte der Betriebe das Förderinstrument. Und manche fürchteten die intensive Betreuung, vermutet Würzbach: "Langzeitarbeitslose sind Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt praktisch keine Chance haben. Insofern muss man gucken, inwieweit man sie in reguläre Beschäftigung bringen kann, inwieweit man sie überhaupt wieder so fit macht, dass sie einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen können."
Das Teilhabechancengesetz sei eine Chance, diese Menschen langsam wieder an den Arbeitsmarkt zu führen. Doch das geht nur über ein intensives Coaching, denn es seien immer wieder auch gesundheitliche Gründe, die es ihnen erschweren, ihr Leben zu ordnen. Denn diese Personen waren lange fern vom Arbeitsmarkt und haben mit vielen Problemen zu kämpfen. "Man muss die Leute gut begleiten, ihnen Hilfestellungen geben."
Und das verlangt Betrieben eine Menge ab. Denn auch die Arbeitgeber müssen diese Herausforderung annehmen und soziale Verantwortung tragen. Es braucht zudem engagierte Jobcenter, die ihre Klienten nicht aus den Augen verlieren und alle Parteien engmaschig begleiten - stets mit dem Ziel, auch nach Ende der Förderung eine berufliche Perspektive zu geben.
Es gibt vorbildliche Beispiele
Im hessischen Schlüchtern hat Bea H. diesen Prozess vorbildhaft erlebt. Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist alleinerziehend, war eineinhalb Jahre krank und fünf Jahre arbeitslos. "Ich bekam keine Kinderbetreuung. Da wurde mir gesagt, ich bekomme nur einen Platz, wenn ich einen Arbeitsvertrag habe." Mit dem Teilhabechancengesetz änderte sich für sie alles. Das Jobcenter Gelnhausen vermittelte Bea H. in ein großes Bauunternehmen. "Mein Selbstbewusstsein ist sofort gestiegen, ist ja logisch, in dieser Firma zu arbeiten macht Spaß."
Hier wurde sie intensiv betreut und gecoacht von Jolanda Dedio von der Fachstelle Sozialer Arbeitsmarkt im Main-Kinzig-Kreis. Sicherheit zu geben sieht die Verwaltungsangestellte als zentrale Aufgabe an. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sehr viele Langzeitarbeitslose einsam sind, sozial zurückgezogen und auch viele Probleme haben. Es gibt keinen Klienten, der nicht negative Erfahrungen gemacht hat."
Dort setzt die Arbeit von Jolanda Dedio an: Das Wiedererlangen der sozialen Arbeitsfähigkeit ist das zentrale Ziel. Bei Bea H. hat sich das intensive Coaching gelohnt: Ihr Förderprogramm ist in wenigen Tagen vorbei, und sie darf bei Jökel Bau bleiben, mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche.
Die Weiterbeschäftigung bleibt das Optimum
Ihr Vorgesetzter Mathias Zarse, Leiter der Abteilung Personal, Einkauf und Buchhaltung bei Jökel Bau, hält viel von seiner frisch festangestellten Kollegin und im Endeffekt auch vom Teilhabechancengesetz. "Die finanziellen Risiken sind absolut abgebügelt. Denn die ersten zwei Jahre werden voll übernommen vom kommunalen Center für Arbeit, danach übernehmen wir einen geringen Teil der Lohnkosten." So haben Unternehmen und Mitarbeiterin Zeit, sich gegenseitig kennenzulernen - und auch die Chance, Risiken im Vorfeld zu minimieren. "Das Schöne ist, man merkt, die wollen diese Chance, wollen sie wahrnehmen und nehmen sie auch wahr."
Trotzdem bleibt die Weiterbeschäftigung nach geförderter Bewährung das Optimum, das nicht immer erreicht wird. Denn nur 40 Prozent der Geförderten erhalten wie Bea H. nach Auslaufen der Maßnahmen einen festen Arbeitsvertrag und bleiben damit in der Firma "kleben".
Oftmals Tiefpunkt nach zwölf Monaten
Corinna Geßinger, Referatsleitung des Job-Centers Gelnhausen, freut sich über den erfolgreichen Ausgang ihrer Klientin, denn das Teilhabechancengesetz ist eine teure Maßnahme, die die Budgets der Jobcenter bindet. "Ich will ganz bewusst nicht von nur 40 Prozent der Geförderten sprechen, die im Betrieb 'kleben' bleiben, gerade weil wir berücksichtigen müssen, mit welchen Menschen wir hier arbeiten. Sie sind teilweise so weit weg vom Arbeitsmarkt und haben persönliche Rahmenbedingungen, die den Wiedereinstieg unheimlich schwer machen."
Oft laufe es gerade zu Beginn sehr gut, aber nach zwölf Monaten folge dann ein Tiefpunkt, an dem es schwieriger werde, die Motivation aufrechtzuerhalten. Das Modell koste einfach Zeit. Geßinger hofft dennoch, dass das Förderinstrument noch lange bestehen bleibt, weil es eine effektive Chance für langzeitarbeitslose Menschen sei, irgendwann wieder frei und unabhängig von Transferleistungen leben zu können.