Geheimdienstexperte zur NSA-Affäre "Die Empörung ist scheinheilig"
Die Bundesregierung zeigt sich empört über die NSA-Berichte. Geheimdienstexperte Wolfgang Krieger hält das für scheinheilig. Die Überwachung sei bekannt, nur die Technik habe sich verändert, sagt er im tagesschau.de-Interview. Es gehe den USA vor allem um Wirtschaftsspionage.
tagesschau.de: Wie seriös sind die Informationen, die Edward Snowden weitergab?
Wolfgang Krieger: Es besteht kein Zweifel über umfangreiche Abhörprogramme der Amerikaner und auch der Briten. Die Details sind neu. Sie sind möglicherweise auch auf Sensation ausgerichtet und übertrieben. Zum Beispiel die Verwanzung von EU-Büros: Niemand kann das nachprüfen. Es sind keine Wanzen gefunden worden. Wir schwimmen hier - auf der Suche nach der Wahrheit. Ich bin erstaunt, dass die deutschen Medien und auch die Bundesregierung diese Informationen eins zu eins für wahr erklären - und damit Politik machen.
tagesschau.de: "Abhören von Freunden, das geht gar nicht", erklärt Regierungssprecher Seibert. Aber macht der US-Geheimdienst das nicht seit Jahren?
Krieger: Das ist seit Jahrhunderten die Praxis aller Geheimdienste. Die Technik ist heute natürlich eine andere, und so werden viel mehr Daten erfasst. Das Prinzip der Geheimdienste aber ist stets das gleiche. Die Briten spionieren ihre europäischen Nachbarn seit den 20er-Jahren aus und haben sich ja erst neulich öffentlich dazu bekannt, ihre EU-Partner abzuhören. Die laute Empörung über die britischen und amerikanischen Abhörprogramme ist scheinheilig.
tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Bundesregierung bisher nichts davon wusste?
Krieger: Natürlich weiß die Bundesregierung, dass abgehört wird und dass es große Datensammelaktionen der Amerikaner gibt. Und sie weiß auch, dass der britische und amerikanische Geheimdienst eng mit unseren eigenen Nachrichtendiensten zusammenarbeiten.
tagesschau.de: Glauben Sie, dass der BND bei diesen umfangreichen Spähprogrammen aktiv geholfen hat?
Krieger: An eine aktive Hilfe und Unterstützung glaube ich nicht. Denn der BND wird ja gründlich kontrolliert. Und er wird auch nicht über die Einzelheiten der Spähprogramme informiert sein. Das liegt ja in der Natur der Geheimdienste, dass ihre Arbeit geheim stattfindet.
"Wirtschaftsspionage ist in Deutschland besonders effektiv"
tagesschau.de: Warum ist gerade Deutschland so im Visier des US-Geheimdienstes?
Krieger: Deutschland ist die größte Industriemacht in Europa und ein starker Konkurrent für die USA. Auf dem Automobilmarkt sind die Deutschen wesentlich erfolgreicher als die Amerikaner. Bei der Entwicklung von neuen Hightech-Produkten liegen die Deutschen vorn. Deutsche Unternehmen sind ungeheuer erfolgreich zum Beispiel auf den asiatischen Märkten. Es gibt also vielfältige amerikanische Interessen, hier Informationen abzuschöpfen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
tagesschau.de: Die USA rechtfertigen ihre Überwachungspraxis ja mit dem Kampf gegen Terrorismus. Nach Ihrer Einschätzung geht es aber offenbar vor allem um Wirtschaftsspionage?
Krieger: Das vermuten zumindest viele Sicherheitsexperten. Die wirtschaftliche Struktur in Deutschland macht die Wirtschaftsspionage auch besonders einfach. Wir haben einen starken Mittelstand. Es gibt viele innovative kleinere Unternehmen, die gar nicht die Möglichkeiten haben, sich gegen Spionage zu schützen. Insofern ist Wirtschaftsspionage in Deutschland besonders effektiv.
tagesschau.de: Welche Möglichkeiten hat Deutschland, sich dagegen zu wehren?
Krieger: Die Möglichkeiten sind begrenzt. Denn zum Beispiel im Gesetz des britischen Geheimdienstes findet sich als Auftrag offiziell neben Sicherheitsaspekten auch das wirtschaftliche Wohlergehen Großbritanniens. Und was heißt das anderes als sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen durch Spionage?
"Snowden handelt im Auftrag von WikiLeaks"
tagesschau.de: Welche Dimensionen hat dieser Abhörskandal?
Krieger: Dies ist ein gravierender Vorfall. Der politisch-diplomatische Konflikt ist für die Amerikaner nicht sehr angenehm. Ihnen kann nicht an solch einem schlechten Image gelegen sein. Und in Deutschland sind Wahlkampfzeiten. Nur so sind die sehr heftigen Reaktionen deutscher Politiker zu erklären - bis hin zu Grünenchef Jürgen Trittin, der politisches Asyl für Snowden fordert, was ja völlig unmöglich ist, weil wir ein Auslieferungsabkommen mit den USA haben. Da geht auf beiden Seiten derzeit viel wertvolles diplomatisches Porzellan zu Bruch.
tagesschau.de: Ist Snowden denn ein politisch Verfolgter, ein Held und Aufklärer - wie es die Grünen nahelegen?
Wolfgang Krieger: Viel spricht dafür, dass Snowden sich auch nach deutschem Recht schwer strafbar macht. Er ist mit vier Laptops geflüchtet. Er wird darauf keine Familienfotos gespeichert haben. Es ist zu vermuten, dass er mit einer gehörigen Portion brisanter Daten unterwegs ist. Er steht ganz offenbar in enger Verbindung mit WikiLeaks und deren Gründer Julian Assange und wird von denen auch gemanagt. Eine enge Vertraute von Assange - die britische Presse spricht von Assanges Lebensgefährtin - hat Snowden in Hongkong in Empfang genommen und ist mit ihm nach Moskau weitergereist. Er ist bei WikiLeaks sozusagen unter Vertrag. Snowden übernachtet in den feinsten Hotels. Wer bezahlt das? Wer bezahlt seine Flüge? Wer füttert die Medien so gezielt mit Informationen? Hinter diesem Mann steckt eine Organisation, über die wir noch kaum etwas wissen. Wir sehen nur diesen unrasierten, etwas verwirrt wirkenden Mann. Die Geschichte dazu im Hintergrund kennen wir noch nicht im Ansatz.
tagesschau.de: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit den Geheimdiensten. Was überrascht Sie am Fall Snowden?
Krieger: Geheimdienstmitarbeiter, die mit brisanten Informationen fliehen, hat es immer schon gegeben. Allerdings sind die technischen Möglichkeiten heute ganz andere. Man kann eine Unmenge brisanter Daten auf einer Festplatte speichern und quasi in der Hosentasche ins Ausland transportieren. Auch dass Snowden so geschickt mit den internationalen Medien spielt und sie scheibchenweise mit Informationen anfüttert, ist neu. Hier sieht sich das Internetzeitalter selbst im Spiegel.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.