Nationale Sicherheitsstrategie BND soll Klimawandel analysieren
Der BND beschäftigt sich mit Kriegen, Terrorismus und fremden Staaten. Nun hat die Bundesregierung den Auslandsgeheimdienst damit beauftragt, die sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Klimawandels genauer zu erforschen.
Nach langem Warten und vielen Diskussionen hinter den Kulissen war es im Juni schließlich so weit: Als erste Bundesregierung hat die Ampelkoalition eine Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt. Darin werden aktuelle Gefahren und zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen für Deutschland beschrieben - und zumindest schemenhaft Maßnahmen dagegen skizziert. Ein Fahrplan, wie das Land sicherer werden soll, könnte man sagen.
In der Chausseestraße in Berlin-Mitte, in der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), wurde das 76 Seiten starke Papier aufmerksam gelesen. Immerhin ist der BND mit seinen mehr als 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der größten deutschen Sicherheitsbehörden. In der Nationalen Sicherheitsstrategie aber wird der Auslandsgeheimdienst nur ein einziges Mal explizit erwähnt. Und dabei geht es nicht um Terrorismusbekämpfung, Spionage gegen Russland oder China, Informationsbeschaffung in Kriegsgebieten oder Cyberabwehr.
Kooperation mit Wissenschaftlern
Auf Seite 67 des Strategiepapiers heißt es: "Um die Auswirkungen der Klimakrise auf unsere nationale Sicherheit besser bewerten und informierte Handlungsentscheidungen ableiten zu können, wird die Bundesregierung eine Untersuchung führender wissenschaftlicher Institutionen zusammen mit dem Bundesnachrichtendienst in Auftrag geben." Der BND soll nun also gemeinsam mit Wissenschaftlern den Klimawandel und dessen sicherheitspolitischen Folgen untersuchen.
Nach WDR-Informationen wurde kürzlich unter Federführung des Auswärtigen Amtes ein Konsortium zusammengestellt, das eine solche Studie erarbeiten und im kommenden Jahr vorlegen soll, wie eine Sprecherin des Außenministeriums auf Anfrage bestätigte. Neben dem BND sind daran das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIT), das Metis-Institut für Strategie und Vorausschau, das an der Bundeswehr-Universität München angesiedelt ist, sowie die auf Klima- und Umweltthemen spezialisierte Denkfabrik und Beratungsagentur adelphi aus Berlin beteiligt.
Erderwärmung zunehmend sicherheitsrelevant
Eine Fokussierung auf die Auswirkungen des Klimawandels mag auf den ersten Blick nicht wie die Kernaufgabe eines Nachrichtendienstes wirken, dennoch stehen seit einiger Zeit bereits die Konsequenzen der Erderwärmung auch im Blick von Sicherheitsbehörden. Dabei geht es vor allem um die Analyse und Prognose, welche Aspekte sich negativ auf die Stabilität von Staaten und die eigenen Verteidigungsfähigkeiten auswirken könnten - und somit auch zu neuen Konflikten und Verteilungskämpfen führen können.
So sorgen beispielsweise lange Dürreperioden und Extremwetterphänomene für den Wegfall von Lebensgrundlagen. Die Folge sind Migrationsbewegungen, aber mitunter auch politische Unruhen, Aufstände oder gar Bürgerkriege. Ebenso sind gewisse Staaten wie etwa Bangladesch, Teile Pakistans und Indiens, und vor allem die Inselstaaten des Pazifiks aufgrund des steigenden Meeresspiegels von Überschwemmungen bedroht, was zu einer wachsenden Zahl von Binnenflüchtlingen und innenpolitischen Konflikten führen kann.
Die Auswirkungen des Klimawandels lösen vermehrte Migration aus.
US-Geheimdienste analysieren Lage seit Jahren
In den USA haben die Geheimdienste schon vor einigen Jahren den Auftrag bekommen, zu analysieren und zu beschreiben, welche sicherheitspolitischen Entwicklungen aufgrund des Klimawandels zu befürchten sind. Ein erster Bericht, gespeist aus den Informationen der zahlreichen US-Dienste, wurde im Oktober 2021 erstellt und durch das Büro der Geheimdienst-Koordinatorin Avril Haines der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
In dem Bericht wurden unterschiedliche Szenarien beschrieben: Von zunehmender Instabilität und wirtschaftlichen Notlagen in bestimmten Ländern, die unter extremen Klimaveränderungen leiden, ist die Rede, aber auch von einem wohl fortschreitenden Kampf um Zugänge zu Wasserquellen und die Gefahr neuer Pandemien. Prognostiziert wurden auch militärisch neue Lagen - etwa eine zunehmende Militarisierung der arktischen Region aufgrund der schmelzenden Eiskappen, wodurch neue Seewege entstehen.
Mehr Krisen und Konflikte befürchtet
Der Klimawandel, so das Fazit der amerikanischen Geheimdienste, werde zu mehr Krisen, eskalierenden Konflikten und zu völlig neuen Konflikten zwischen Staaten führen. "Klimaauswirkungen wie übermäßige Hitze, Überschwemmungen und extreme Stürme werden sich als zunehmend kostspielig erweisen, einige militärische Verschiebungen erfordern und die Nachfrage nach humanitärer Hilfe und Katastrophenhilfe erhöhen", heißt es in dem Bericht.
Auch für den BND ist die genaue Betrachtung der Klimaveränderung keine ganz neue Disziplin. Schon vor zehn Jahren hatte der Dienst analysiert, welche neuen Entwicklungen im Bereich der Energieversorgung zu erwarten seien. Die USA, so die damalige Vorhersage, würden durch verstärkte Nutzung von Fracking-Gas zunehmend unabhängiger von den Rohstoffquellen im Nahen Osten. Damit werde sich höchstwahrscheinlich auch das geopolitische Interesse verschieben. Gleichzeitig steige der Energiebedarf in Schwellenländern, und die Erderwärmung werde zunehmen. "Der Verteilungskampf wird darum gehen, wer künftig wie viel CO2 emittieren darf", so die Prognose des BND aus dem Jahr 2013.
Welche eigenen Erkenntnisse der BND zu der nun von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie beitragen kann, ist bislang noch unklar. In den USA hatten die Geheimdienste diesbezüglich in der Vergangenheit mehrfach Informationen der Wissenschaft zugänglich gemacht.
CIA kooperiert seit Jahrzehnten mit Wissenschaft
Schon im Oktober 1992 begann die CIA, mit dem Programm "Medea" nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit Wissenschaftlern zu teilen. Die Initiative für diese ungewöhnliche Zusammenarbeit ging vom damaligen US-Senator und Klimaaktivisten Al Gore aus, der sich mit der Idee beim CIA-Direktor gemeldet hatte und darum bat, Wissen der Sicherheitsbehörden für die Forschung zur Verfügung zu stellen - und sogar mit Wissenschaftlern aus der ehemaligen Sowjetunion zu teilen.
Unter US-Präsident Bill Clinton wurde die Kooperation später noch ausgeweitet. So wurden mehr als 800.000 Satellitenbilder, die im Laufe der Jahrzehnte von den US-Diensten und dem Militär gemacht worden waren, einer Arbeitsgruppe von rund 70 Wissenschaftlern aus den USA und aus Russland zur Verfügung gestellt. Die Aufnahmen halfen dabei etwa Veränderungen in Küstenregionen, in der Arktis oder in Gebirgen nachvollziehen und erforschen zu können.
Innerhalb der CIA gab es bis 2021 sogar eine eigene Arbeitseinheit, das Center on Climate Change and National Security, das sich mit sicherheitsrelevanten Aspekten des Klimawandels beschäftigt hat. Seit Februar dieses Jahres gibt es mit der Professorin Kim Cobb von der Brown University zudem eine ausgewiesene Expertin für Klimaforschung, Ozeanographie und Paläoklimatologie im Beratergremium des US-Präsidenten für die Geheimdienste.