Zustand des Bahn-Netzes Vorstand fordert "radikalen Kurswechsel"
In welch schlechtem Zustand Gleise, Brücken, Weichen und Stellwerke sind, legt ein interner Bericht der Bahn offen, der NDR, WDR und SZ vorliegt. Die notwendigen Sanierungen kosten demnach rund 89 Milliarden Euro.
In einem Bericht an den Aufsichtsrat zeichnet der neue Chef der DB Netz AG, Philipp Nagl, ein ungeschminktes Bild des schlechten Zustandes der Bahnanlagen. Erstmals wurde das mehr als 33.000 Kilometer lange Netz der Bahn mit allen Brücken, Tunneln, Gleisen, Bahnübergängen, Stellwerken und Oberleitungen in einem Notensystem von eins bis fünf bewertet. Note drei bedeutet, dass die Anlagen in "mittelmäßigem" Zustand sind und "mäßige Beeinträchtigungen" aufweisen. Note vier bedeutet "schlecht", das heißt, "die Anlage weist wesentliche Beeinträchtigungen" auf. Note fünf - "mangelhaft" - heißt, dass die jeweilige Anlage "unzureichend", die Lebensdauer überschritten ist oder den Betrieb beeinträchtigen kann.
Nach dieser Zählung sind 26 Prozent aller Weichen der Bahn derzeit in einem schlechten, mangelhaften oder ungenügenden Zustand, ebenso elf Prozent aller Brücken, 22 Prozent der Oberleitungen, 23 Prozent der Gleise, 42 Prozent aller Bahnübergänge und 48 Prozent aller Stellwerke.
Damit ist die Infrastruktur der Bahn in deutlich schlechterem Zustand als etwa die der Nachbarbahnen in Österreich oder der Schweiz, die seit Jahren bereits ein ähnliches Notensystem praktizieren. "Das deutsche Schienennetz ist in Teilen zu alt, zu störanfällig und bietet zu wenig Kapazität", resümiert Vorstandschef Nagl. Dazu kommen viele Baustellen "gerade auf den hochbelasteten Korridoren", wie es in dem internen Netzzustandsbericht heißt, der NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) vorliegt.
"Spürbarer finanzieller Mehraufwand" nötig
Etwa ein Zehntel ihres Netzes bezeichnet die Bahn als "hA+". Dabei handelt es sich um jene Strecken, auf denen die meisten Züge fahren. Ausgerechnet dieses Netz mit der höchsten Auslastung, das für die Bahn deshalb auch besonders relevant für die Pünktlichkeit ist, ist in einem schlechteren Zustand als das Gesamtnetz. Während das Gesamtnetz auf einen Notendurchschnitt von 2,93 kommt, wird der Zustand des Hochleistungsnetzes mit 3,01 bewertet. Bei den Bahnen in den Nachbarländern ist dies genau umgekehrt. In der Schweiz sind die sogenannten "Topstrecken" und in Österreich das "Kernnetz" jeweils deutlich besser bewertet als das Gesamtnetz.
Die Noten, so der Bericht an den Aufsichtsrat, "offenbaren die vorliegende Unterfinanzierung des Schienennetzes" in Deutschland. "Bisherige Investitionsmittel waren nicht ausreichend." Eine "schnelle und umfassende Generalsanierung" sei daher nötig. Netzchef Nagl beziffert den Nachholbedarf auf rund 89 Milliarden Euro. Von einem "spürbaren finanziellen Mehraufwand" ist die Rede - und davon, dass es für die erforderliche "schnelle und umfassende Generalsanierung" einen "radikalen Kurswechsel" brauche.
Konzentration auf Bahnbetrieb in Deutschland gefordert
Die marode Infrastruktur führe auch zu Verspätungen, wie es in dem Bericht heißt. In der Schweiz gelten Züge ab drei Minuten als verspätet, in Österreich ab fünf Minuten, in Deutschland erst ab sechs Minuten. Obwohl die Deutsche Bahn also die für sie günstigste Verspätungsdefinition hat, sind hierzulande nur 75 Prozent aller Züge pünktlich, in Österreich 90 Prozent und in der strengen Schweiz sogar 91 Prozent. Dazu komme, wie der Bahn-interne Bericht selbstkritisch einräumt, dass hierzulande "Pünktlichkeitswerte von 60 Prozent im Fernverkehr keine Seltenheit sind".
Bereits am Dienstag hatte der Bundesrechnungshof der Deutschen Bahn eine "Dauerkrise" attestiert und vor allem die Bundesregierung als Eigentümerin der Bahn kritisiert. "Der Bund ist weit entfernt davon, die Probleme in den Griff zu bekommen." Der Rechnungshof riet der Bahn vor allem dazu, ihre "Engagements im Ausland oder in anderen Sparten einzustellen" und sich auf den Bahnbetrieb in Deutschland zu konzentrieren.
Dazu hatte der Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärt, er habe bereits nach seinem Amtsantritt eine Strategie vorgelegt, mit der er die Bahn wieder auf Kurs bringen werde. Das gelte es nun, Punkt für Punkt abzuarbeiten. Auf Anfrage von NDR, WDR und SZ zu dem internen Bericht der Bahn teilte ein Sprecher von Verkehrsminister Wissing mit, man stehe dazu mit der Bahn im Austausch. "Bis zum Jahr 2029 stellt der Bund der Bahn insgesamt 86 Milliarden Euro für Sanierung und Instandhaltung zur Verfügung."