Verspätung als Dauerzustand Wie die Bahn pünktlich werden könnte
Im vergangenen Jahr war die Deutsche Bahn so unpünktlich wie noch nie. Ist ein Zugverkehr ohne Verspätung möglich? Was muss dafür passieren und wann könnte es soweit sein?
Wer in Deutschland Bahn fährt, kann fast immer was erzählen. Die Züge sind unpünktlich, Wagen fehlen oder sind umgekehrt gereiht. Den Zug zu nehmen, bedeutet häufig Stress. Das soll sich ändern. Die Ampel-Regierung ist sich einig, dass die Infrastruktur schneller ausgebaut werden muss. Sie streitet aber seit Monaten und verliert wertvolle Zeit.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP möchte auch den Bau neuer Autobahnen priorisieren. Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen will eher den Schwerpunkt bei der Schiene setzen. Eine Lösung des Konfliktes ist noch nicht in Sicht. Und so bleiben die deutschen Züge weiter chronisch unpünktlich. Im Jahr 2022 erreichten nur etwa 65 Prozent der Fernzüge ihr Ziel pünktlich.
Als pünktlich gilt jeder Zug, der weniger als sechs Minuten Verspätung hat. Hinzu kommen noch die Züge, die komplett ausfallen. Und selbst wenn sich die Regierung morgen einigen würde, es würde sehr lange dauern, bis sich etwas ändert.
Schnell besser wird es nicht
Anfang Januar sitzt der Bundesverkehrsminister in der Talksendung von Sandra Maischberger. Er versucht erst gar nicht, drumherum zu reden. "Ja, die Bahn ist äußerst unpünktlich", sagt Wissing. Und besser werde es noch lange nicht. Erst 2030 - also erst in sieben Jahren. Bis dahin muss einiges passieren. Es muss viel gebaut werden und da will die Bundesregierung umdenken. Minister Wissing spricht von einer Korridorsanierung.
Einen Tag nach dem Endspiel der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland 2024 soll es los gehen. Dann werden Strecken komplett für Monate gesperrt. In dieser Zeit soll alles saniert werden, was möglich ist: zum Beispiel Gleise, Signale, Bahnübergänge. Es wird also lieber einmal radikal gesperrt, statt wie in der Vergangenheit, immer wieder kleine Baustellen einzurichten, die für Verspätungen sorgen.
Von der Schweiz lernen
Vorbild ist hier die Schweiz. Dort erreichen die Fernzüge eine Pünktlichkeit von mehr als 92 Prozent. Und noch viel wichtiger: 98,7 Prozent der Fahrgäste erreichen ihren Anschluss. Das liegt am berühmten Taktfahrplan, der schon vor vier Jahrzehnten eingeführt wurde. Die Züge treffen sich an Knotenbahnhöfen, kommen aus unterschiedlichen Richtungen aber alle zur selben Zeit. Sie fahren auch zu selben Zeit weiter. Es bleibt für alle genug Zeit, um bequem umzusteigen.
Ruedi Büchi von der Schweizer Bahn SBB sagt, das sei mehr wert als Schnellfahrlinien. "Für die Reisenden ist es viel wichtiger, dass sie Anschlussbeziehungen haben. Dass die Reisekette funktioniert, als dass sie zwei, drei Minuten schneller von A nach B kommen." Keine kleine, sondern eine große Wissenschaft - meint Büchi - ein ständiger Lernprozess. Deutschland will auch hier von der Schweiz lernen - bis 2030 soll der "Deutschlandtakt" eingeführt werden.
Mehr Weichen
Doch bis dahin muss viel investiert werden. Ein Baustein für das Bahnnetz der Zukunft sind auch mehr Weichen. Sie sind teuer, in der Anschaffung und der Wartung. "Deshalb gibt es im Netz leider aktuell an vielen Stellen einfach zu wenig Weichen," sagt Birgit Milius. Sie ist Professorin für Bahnbetrieb und Infrastruktur an der TU Berlin.
Zu wenig Weichen bedeutet, dass Züge selbst auf mehrgleisigen Strecken bei Problemen oder Baustellen kaum ausweichen können. Sobald ein Zug aus dem Takt gerät, folgt häufig eine Kettenreaktion und es kommt zu vielen Verspätungen. Mehr Weichen auf besonders befahrenen Strecken, könnten in Zukunft wieder für mehr Flexibilität sorgen.
Fahrerlose Züge
Auf der einen Seite braucht es also teure Investitionen. Birgit Milius sieht aber noch ein anderes Problem. "Eine der größten Herausforderungen für das Bahnsystem besteht darin, dass wir eigentlich an keiner Stelle ausreichend Mitarbeitende haben." Das gilt nicht nur für die Baustellen, die geplant, genehmigt und umgesetzt werden müssen. Die Bahn will 20.000 Stellen pro Jahr neu besetzen.
Trotzdem wird es wohl ohne technische Unterstützung in Zukunft nicht gehen. Fahrerlose Züge, wie es sie vor allem im ÖPNV schon gibt, könnten ein Teil der Lösung sein. Sie sollen dafür sorgen, dass mehr Menschen und Güter auf der Schiene transportiert werden können. Das Personal soll durch automatisierte Züge entlastet werden. Güterzüge sind häufig nachts unterwegs. Wenn kein Mensch mehr am Steuer sitzt, sinkt auch die Schichtdienstbelastung.
Professor Michael Ortgiese vom Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hofft, dass ab dem Jahr 2030 die ersten Züge ohne Fahrer unterwegs sein könnten. "Ich glaube, es wird nicht den großen Knall geben, sondern das wird ein fließender Übergang sein. Irgendwann werden wir uns mal trauen, einen Zug völlig automatisiert fahren zu lassen."
Entscheidend ist die Sicherheit
Bis dahin gibt es aber noch einige technische und rechtliche Hürden zu überwinden. Züge müssen zu jeder Sekunde genau geortet werden können, auch wenn sie durch Tunnel fahren oder Wälder die Signale stören. Bei technischen Problemen sollen die Züge nämlich aus der Ferne gesteuert werden. Entscheidend ist das Thema Sicherheit. Selbst bei Sturm müssen Hindernisse sofort erkannt werden und der Zug entsprechend reagieren können.
Michael Ortgiese sagt, die Forschung sei schon relativ weit. Züge könnten schon jetzt gut automatisiert fahren, zumindest auf freier Strecke. Komplizierter ist noch das Anhalten und Abfahren aus dem Bahnhof heraus. Damit das Bahnsystem perfekt funktioniert müssen viele Rädchen ineinandergreifen.
Zuweisung des Sitzplatzes erst am Bahnsteig
Deswegen wird auch in verschiedenen Bereichen daran geforscht, die Bahn pünktlicher zu machen. Dabei spielen auch die Fahrgäste eine Rolle. Beim Ein- und Ausstieg kann viel Zeit verloren gehen. Fährt ein Zug in umgekehrter Wagenreihung im Bahnhof ein, wird es häufig chaotisch. Bis alle den richtigen Waggon gefunden haben, vergeht mehr Zeit als eingeplant.
Das Forschungsteam von Ortgiese hat gerade ein Patent angemeldet. Die Idee ist, dass vorab keine festen Sitzplatzreservierungen mehr vergeben werden, sondern die Reisenden vor Ort ihren Sitzplatz zugewiesen bekommen. Je nachdem, wo sie sich am Bahnsteig befinden und je nachdem wie ausgelastet der Zug ist.
Gelingen die Verbesserungen zeitnah?
Ob ein solches System wirklich irgendwann im ICE eingesetzt wird, ist offen. Es macht aber deutlich an wie vielen Stellschrauben geforscht wird, um die Bahn in Zukunft pünktlicher zu machen. Für Birgit Milius bleibt die Frage, ob es schnell genug gelingen wird, die Bahn besser zu machen.
Sie sieht einen Wettbewerb, vor allem mit dem autonomen Autofahren. Das könnte am Ende für viele, die ins Büro zu Arbeit fahren, deutlich bequemer sein. "Auch wenn ich dann im Stau stehe, wird mir das wahrscheinlich egal sein, für viele Bürojobs ist das dann einfach Arbeitszeit im Auto." Viele Baustellen also, die die Bahn unter Zeitdruck bewältigen muss.