Prozess gegen Eisenacher Rechtsextreme "Man wusste, die wollen uns töten"
Vier Rechtsextreme müssen sich seit heute vor dem Thüringer Oberlandesgericht verantworten. Unter dem Namen "Knockout 51" sollen sie Jagd auf Menschen gemacht haben - laut Bundesanwaltschaft mit Tötungsabsicht. J. Hemkentokrax mit Hintergründen zur Eisenacher Neonaziszene.
Die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung in mehreren Fällen - das wirft die Bundesanwaltschaft den zwischen 21 und 25 Jahre alten Angeklagten vor. Mindestens drei der vier Männer waren nach MDR-Informationen bereits Mitte der 2010er-Jahre als Jugendliche in der gewaltorientierten Eisenacher Neonaziszene unterwegs. Einer Szene, die bereits damals brutal gegen ihre Feindbilder, vor allem linke und nicht-rechte Jugendliche, vorging. Sie wurden auf offener Straße angegriffen, ein junger Mann 2017 in seiner Wohnung zusammengeschlagen. Einer Szene, die eine ganze Stadt zu ihrem Kiez machen wollte.
Zahlreiche parlamentarische Anfragen im Thüringer Landtag haben sich in den vergangenen Jahren mit der Eisenacher Neonaziszene beschäftigt. Die Zahl der politisch motivierten Kriminalität von rechts bewegte sich in der Stadt zwischen 2015 und 2021 auf konstant hohem Niveau. Darunter eine Vielzahl von Propagandadelikten und Sachbeschädigungen, aber auch Körperverletzungen. 2017 hatte die Thüringer Opferberatung ezra zum Beispiel neun rechte Angriffe auf Menschen in Eisenach erfasst, 2018 waren es vierzehn. Das war die Zeit, in der sich die Eisenacher Szene zunehmend radikalisierte.
"Gewalt war alltäglich"
Ezra-Mitarbeiterin Theresa Lauß schätzt, dass die Dunkelziffer der rechten Angriffe damals hoch war. "Die Gewalt war alltäglich. Es gab Bedrohungen, Beleidigungen, Angriffe teils am helllichten Tag." Teils seien persönliche Todesdrohungen gegen Betroffene an Wände gesprüht worden, so Lauß. "Man wusste: Die wollen uns töten. Überall in der Stadt waren damals große Neonazigraffiti zu sehen: 'Nazi-Kiez', 'NS-Zone', teilweise waren die Schriftzüge meterhoch."
Unter wechselnden Namen wie "Jugendoffensive Wartburgkreis" oder "Nationaler Aufbau Eisenach" orientierten sich die Eisenacher Rechtsextremen an den damals unter jungen Neonazis populären sogenannten "Antikapitalistischen Kollektiven", rechtsextremen Gruppierungen, die Kleidung, Symbolik und Aktionsformen beim schwarzen Block der autonomen linken Szene entlehnten.
In diesem Umfeld bewegte sich die Eisenacher Szene, darunter nach MDR-Recherchen auch die nun Angeklagten Leon R., Bastian A. und Maximilian A.. Deren Vernetzung sei ebenso wie die Radikalisierung immer weiter vorangeschritten, sagt Felix Steiner von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (Mobit).
"Zunächst gab es eine lokale Vernetzung zu den NPD- und Neonazi-Strukturen rund um Patrick Wieschke, dann bundesweit durch die entstehenden Strukturen der 'Antikapitalistischen Kollektive' und dann auch zu internationalen Terrorgruppen wie der 'National Action' aus Großbritannien und darüber mutmaßlich auch zur 'Atomwaffendivision' in die USA", sagt Steiner.
"Flieder Volkshaus" Anlaufpunkt der Neonaziszene
Eine zentrale Rolle bei der Radikalisierung spielte nach MDR-Informationen die Landesgeschäftsstelle der NPD (heute "die Heimat"), das sogenannte Flieder Volkshaus. Die Immobilie ist seit Jahren ein wichtiger Anlaufpunkt der bundesweiten Neonaziszene. Fast jeden Monat findet dort ein rechtsextremes Konzert statt. Mitglieder militantester Strukturen wie "Hammerskins" und der verbotenen Netzwerke "Combat18/Blood & Honour" gehen dort ein und aus.
Für die junge Neonaziszene stellte das "Flieder Volkshaus" ab 2014 einen wichtigen Treffpunkt dar. Mitglieder von "Knockout 51", wie sich die Gruppe ab 2019 nannte, trainierten dort für den Straßenkampf, nahmen an rechtsextremen Kampfsportevents teil und fuhren zum Schießtraining nach Tschechien. Im Thüringer Verfassungsschutzbericht 2021 wird "Knockout51" noch als "rechtsextreme Kampfsportvereinigung" aufgeführt.
Angriffe bei Corona-Demonstrationen?
In der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts zur Anklageerhebung heißt es über denselben Zeitraum: "Spätestens seit April 2021 erstreckte sich das Ziel der Vereinigung auf die Tötung von Personen aus der linksextremen Szene". Bei mehreren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sollen die Angeklagten ab 2020 Polizei und Teilnehmer der Gegenproteste angegriffen und mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt haben.
In zahlreichen weiteren Fällen seien Menschen angegriffen und schwer verletzt worden, weil die Angeklagten ihre Stellung im sogenannten "Nazi-Kiez" Eisenach hätten behaupten wollen.
Leon R., dem die Bundesanwaltschaft die Rädelsführerschaft der Gruppe vorwirft, hatte 2019 in Eisenach die rechtsextreme Szenekneipe "Bull's Eye" übernommen, die im selben Jahr mutmaßlich durch Mitglieder der linken Szene angegriffen wurde. R. sagte später im Dresdner Prozess gegen jene Gruppe um Lina E. als Zeuge aus. Er und die drei weiteren Angeklagten sitzen seit den Razzien gegen "Knockout 51" im April 2022 in Untersuchungshaft. Ermittlungen gegen mutmaßliche Unterstützer laufen.
Der Prozess vor dem Thüringer Oberlandesgericht in Jena ist bis März 2024 terminiert.