Rechte Gewalt in Brandenburg Gegen das Schweigen
Eine Schule in Südbrandenburg hat ein Nazi-Problem, Berliner Jugendliche werden in einem Ferienlager mutmaßlich rassistisch bedroht. Sind die "Baseballschlägerjahre" in Brandenburg zurück?
"Ich würde mich gern aussprechen, doch es gibt keine Fragen. Die Kollegen begegnen einem nicht offen. Ich habe ein sehr mulmiges Gefühl, wenn ich zurzeit zur Arbeit gehe." So beschreibt die Lehrerin Laura Nickel die Reaktionen, nachdem sie und ihr Kollege Max Teske öffentlich gemacht haben, dass sie beide einen zunächst anonymen "Brandbrief" verfasst haben. In dem Brief berichten die beiden über Hitlergrüße auf dem Schulhof, Hakenkreuz-Schmierereien, rassistischen und homophoben Chats unter Schülern mit zum Teil auch nationalsozialistischen Inhalten.
Schweigen und wegschauen
Es herrsche das Gefühl der Machtlosigkeit und der erzwungenen Schweigsamkeit, heißt es in dem Text. Auch hätten viele Kolleginnen und Kollegen weggesehen angesichts dieser Vorfälle an der Grund- und Oberschule "Mina Witkojc" im brandenburgischen Burg.
Die Berichte der beiden jungen Lehrer erschreckten die Öffentlichkeit und erregten bundesweit mediale Aufmerksamkeit. Erst nach dem Bekanntwerden der Vorfälle brachte die Schulleitung diese zur Anzeige und Polizei und Staatsschutz begannen zu ermitteln.
Überrascht und bestürzt reagierte auch die Landespolitik auf den Hilferuf. Der zu dieser Zeit noch designierte Bildungsminister Steffen Freiberg von der SPD sprach in einem Interview mit dem RBB von einem bedrückenden Gefühl, wenn man solche Worte lesen müsse.
Debatte um Rechtsextremismus unter Jugendlichen
Als Anfang Mai, nur ein paar Tage später, auch noch darüber berichtet wurde, dass in einem Ferienlager in der Nähe von Königs Wusterhausen Berliner Zehntklässler - überwiegend mit Migrationshintergrund - von einheimischen Jugendlichen rassistisch beleidigt und bedroht wurden, löste das eine bundesweite Debatte aus. Wie verbreitet sind Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie unter Jugendlichen, wie verfestigt derartige Strukturen? Vergleiche zu den 1990er-Jahren wurden gezogen, als Brandenburg ein Schwerpunkt rechtsradikaler und rassistischer Gewalt war.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke verurteilte die rassistischen Anfeindungen gegen die Berliner Jugendlichen scharf und sagte, dass solche Taten nicht relativiert und toleriert würden und alles getan werde, um Rechtsextremismus und Rassismus in die Schranken zu weisen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser verwies darauf, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie sei. Das zeige auch die Zahl der rechtsextremen Straftaten. 2022 seien 23.500 derartige Delikte registriert worden, sieben Prozent mehr als im Jahr davor, so die SPD-Politikerin.
"Wir dürfen nicht zulassen, dass Rassismus und rechte Strukturen den Alltag der Jugendlichen prägen", sagte auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus der "Bild"-Zeitung. Öffentliche Bekenntnisse zu rechtsextremistischem Gedankengut durch Jugendliche und vor allem Kinder seien besonders bestürzend. Man könne das auf keinen Fall einfach hinnehmen, so die Grünen-Politikerin.
Aufklärung hat begonnen, doch nur zögerlich
Aus dem Brandenburger Bildungsministerium hieß es unterdessen, die Prüfung und Aufarbeitung der Vorfälle mit verfassungsfeindlichen Symbolen und Äußerungen an der Grund- und Oberschule Burg habe begonnen. "Über einen einheitlichen und offenen Umgang mit extremistischen und menschenfeindlichen Äußerungen soll sich das Kollegium - auch mit Hilfe eines Coachings - besser verständigen", heißt es in einer Pressemitteilung des Bildungsministeriums. "Die Schule wird die Auseinandersetzung mit extremistischem Gedankengut bei einzelnen Schülerinnen und Schülern aufgrund der aktuellen Kritik noch intensivieren."
Die beiden Lehrer, die die Zustände an ihrer Schule öffentlich gemacht haben, hegen da so ihre Zweifel. Nickel ist 34, unterrichtet bereits seit fast zehn Jahren und sagt, sie habe bisher an keiner Schule mit solchen rechten Strukturen zu tun gehabt. Ihr Kollege, der 31-jährige Teske, ist gelernter Erzieher und kam vor vier Jahren als Quereinsteiger an die Schule in Burg.
Von der Schulleitung fehle ihnen nach wie vor ein klares Zeichen, sagen die beiden. Die Leitung reagiere nur auf das, was von außen komme. Sie hätten zwar einige Sympathisanten unter den Kolleginnen und Kollegen, doch die Mehrheit schweige weiter - und die, die sich geäußert hätten, befürchteten eher einen Imageschaden für die Schule, sagt Nickel. Ähnlich hätten sich Eltern der Schüler aus seiner Klasse geäußert, ergänzt Teske: Sie befürchteten jetzt nach den Veröffentlichungen, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Es gebe jetzt die Chance, etwas zu verändern, doch offenbar fürchte man sich vor den Folgen, resümiert Teske.
Sorge um das Image
Sich um das eigene Image zu sorgen, sei ein typisches Muster und nach dem Bekanntwerden rechter Vorfälle weit verbreitet, sagt Joschka Fröschner vom Verein "Opferperspektive", der sich seit 25 Jahren in Brandenburg um die Opfer rechter Gewalt kümmert. Das sei nicht nur auf den Bereich Schule begrenzt.
Fröschner ist aktuell auch mit betroffenen Schülern in Burg im Gespräch. Der Druck, der aufgebaut werde, warum sie das Geschehen öffentlich gemacht hätten, statt es intern zu lösen, verunsichere die Betroffenen. "Aus Sicht der 'Opferperspektive' würden wir uns zuerst große Sorge um die Betroffenen wünschen", ergänzt Anne Brügmann, die Projektkoordinatorin des Vereins.
Was die rechte Raumnahme für die betroffenen Schüler bedeute, sei die zentrale Frage, betont Brügmann. Man könne nicht einfach so weitermachen wie bisher. Die Jugendlichen müssten sich sicher fühlen können, dass sie nicht rechter Gewalt ausgesetzt werden.
Sind die "Baseballschlägerjahre" zurück?
Zum Vergleich mit der Situation in den 1990-ern, den inzwischen als "Baseballschlägerjahre" bezeichneten Jahren in Brandenburg, sagt Brügmann, dass rechte Gewalt ja nie weg gewesen sei. 138 Fälle rechter Gewalt habe ihr Verein im vergangenen Jahr registriert. Und das sei nur ein Bruchteil des tatsächlichen Geschehens, da viele Taten nicht zur Anzeige gebracht würden.
Ein Unterschied zu der Zeit vor 30 Jahren sei allerdings, dass Angriffe weniger durch organisierte Nazistrukturen erfolgen würden und dass es gelinge, Fälle häufiger an die Öffentlichkeit zu bringen, sodass diese mehr wahrgenommen würden als damals. Inzwischen gebe es außerdem zivilgesellschaftliche Strukturen, die sich gegen rechte Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren, so Brügmann.
Die Brandenburger Gesellschaft sei in den vergangenen zehn Jahren zudem auch "migrantischer" geworden, ergänzt ihr Kollege Fröschner. Doch nach wie vor sei es so, betont Brügmann, dass Vorfälle wie die an der Schule in Burg und in dem Ferienlager bei Königs Wusterhausen zur täglichen Arbeit ihres Vereins gehören. Die Vorfälle hätten sie nicht überrascht und seien auch nicht auf Brandenburg beschränkt.
Tagtäglich ein Zeichen setzen
Nickel und Teske, die Lehrerin und der Lehrer aus Burg, wollen weiter an ihrer Schule arbeiten - auch wenn sie jetzt auch damit rechnen, bedroht oder angegriffen zu werden. Bis jetzt habe es lediglich ein paar scheele Blicke gegeben, sagt Nickel.
Die beiden haben begonnen, ein Netzwerk in Südbrandenburg zum Austausch mit Lehrern, Eltern und Schülern aufzubauen. Kontakte zu Schulen in Cottbus, Spremberg und Forst haben sie bereits geknüpft. "Ich glaube, man kann tagtäglich ein Zeichen setzen gegen Rechtsextremismus", sagt Teske.