Belarus Telegram - die App der Opposition
In Deutschland eine eher wenig genutzte App - in Belarus ein Massenmedium: Telegram war bereits vor der Wahl eine beliebte App und ist nun ein wichtiges Instrument der Opposition.
Am Wahlabend und in den Tagen danach gab es während des Internet-Shutdows für viele Belarussen nur eine einzige Informationsquelle: die Messenger-App Telegram. Freie Medien waren blockiert, Facebook und Twitter ebenso und das Staatsfernsehen verschwieg die Proteste.
Nur auf Telegram konnten die Protestler sich untereinander verständigen und die Welt um Hilfe rufen. Die App hatte einen Weg gefunden, um die staatliche Netzsperre zu umgehen. Im Ausland ist vor allem der Kanal "NEXTA" dafür bekannt, dass er Fotos und Videos von Demonstranten teilt und andere wichtige Information in kurze Textnachrichten verpackt.
Stepan Putilo betreibt den wichtigsten Kanal "NEXTA"
Modell für weitere Telegram-Aktivisten
Dabei ist der vom Belarussen Stepan Putilo in Warschau betriebene Kanal nur die Spitze des Eisberges. Neben dem populären Kanal mit inzwischen 2,1 Millionen Followern existieren zahlreiche weitere, denen jeweils mehr als 200.000 Accounts folgen. Sie heißen "Belarus unter Schock!", "Belamova", "Mein Land Belarus" oder "Belarus jetzt" und funktionieren alle nach einem ähnlichen Modell: Protestler schicken Bilder oder Videos und gleichzeitig wird Material aus regionalen Gruppen mit dem eigenen Logo versehen.
Dieses Material wird von Bloggern gesichtet, teils verifiziert und dann weitergeleitet. So können die Ersteller der Videos anonym bleiben und riskieren nicht, dass der Geheimdienst KGB sie verhaftet.
Ein großes Netz aus Chatgruppen
Hinter all diesen riesigen Kanälen erstreckt sich ein großes Netz aus Chatgruppen mit Zehntausenden Teilnehmern, die über Strategien diskutieren, die nächste Demonstration planen sowie Infos und Hilfsangebote verbreiten. Es geht zu wie in einem Bienenstock. Dieses Modell, in dem es keine wirklichen Führungspersonen gibt, macht es dem Staat sehr schwierig gegen einzelne Gruppen oder Personen vorzugehen. Dabei ist die Organisation via Telegram nur ein Spiegelbild von dem, was auf der Straße passiert. Auch hier dominiert keine politische Gruppe.
In den Tagen, als die Polizei noch in die Wohnviertel ging, um Leute zu verhaften, gab es Beobachtungsposten, die in der Telegram-Gruppe für das Viertel Alarm schlugen, sobald Sicherheitskräfte auftauchten. So konnten Protestler ausweichen oder sich in Wohnungen zurückziehen.
Regierung nutzt ebenfalls Telegram
Schon im Vorfeld deutete sich im digitalen Raum ein harter Schlagabtausch zwischen Geheimdienstleuten und Opposition an. Ein Telegram-Kanal, der auf der Seite von Diktator Alexander Lukaschenko steht, markiert etwa Politiker, Journalisten und einfache Demonstranten als "Provokateure" und veröffentlicht private Informationen. Erstes Opfer des seit Mitte Juli bestehenden Kanals: "NEXTA"-Gründer Putilo.
Auch auf der Seite der Opposition wird versucht, Polizisten und vor allem Agenten des gefürchteten Geheimdienstes KGB zu enttarnen. In der von Anarchisten gegründete Gruppe "Banda Luki" werden Fotos von Sicherheitskräften veröffentlicht, die besonders brutal vorgegangen sind oder für den KGB filmen. Andere Nutzer posten dann Familienfotos, Social-Media-Accounts und weitere Details. Ob es bereits zu Racheaktionen in der realen Welt gekommen ist, ist nicht bekannt.
Lukaschenko-Kanäle wenig erfolgreich
Während die Opposition auf Telegram erfolgreich vernetzt ist, schwächelt die Lukaschenko-Seite. Einen Tag nach der Wahl wurde der Kanal "Wir sind Batka" gegründet. Batka heißt übersetzt Vater und gilt als liebevoller Spitzname für den Diktator. Seit Donnerstag entwickelt sich ein Regionalnetzwerk mit Chatgruppen um den Kanal mit lediglich rund 2660 Followern (Stand: 20. August, 18 Uhr).
Die Regionalseiten haben, obwohl immer behauptet wird, dass Lukaschenko vor allem außerhalb von Minsk seine Anhängerschaft habe, meist kaum mehr als 150 Mitglieder. Die größten Pro-Lukaschenko-Kanäle haben mehr als 37.000 und 49.000 Follower. In ihnen werden viele Falschnachrichten verbreitet und versucht, die Opposition wahlweise als Rechtsradikale, Reiche, Homosexuelle oder Kriminelle darzustellen. Dies zeigt sich auch in den Stickern. So wurden welche von der Opposition kopiert und mit fremdenfeindlichen Sprüchen gegen Ukrainer versehen.
Anhänger von Lukaschenko tun sich auf Telegram schwer.
Noch weniger Erfolg als die inoffiziellen Propaganda-Kanäle haben die Staatsmedien auf Telegram. Dem Fernsehsender ONT folgen gerade mal 4.800 Nutzer und der Tageszeitung "Belarus Heute" nur 330 Accounts.
In Deutschland gilt die App als umstritten, denn Rechtsextremen und Islamisten missbrauchen die scheinbar anonyme App. Selbst Hakenkreuze und Aufrufe zu Gewalt löscht Telegram meist nicht.