Migration Ramelow sieht Thüringen "am Limit"
Thüringens Ministerpräsident Ramelow schlägt Alarm: Sein Land sei angesichts steigender Flüchtlingszahlen "am Limit". Sein Innenminister vermutet hinter dem vermehrten Zuzug der Migranten eine Kampagne Russlands.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich wegen des Zuzugs vieler Migranten in sein Bundesland besorgt gezeigt. "Land und Kommunen sind am Limit", sagte der Linken-Politiker der "Rheinischen Post". Die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Suhl habe längst mehr Menschen aufgenommen als vertretbar erscheine: "Der Regelbetrieb geht dort von 800 Menschen aus, wir liegen bei über 1.000. Und wir haben weiter einen starken Zulauf."
Forderungen der Union nach stationären Kontrollen an den deutschen Grenzen im Osten lehnte Ramelow aber ab. Der europäische Schengen-Raum, wo keine festen Personenkontrollen stattfinden, müsse weiter gelten. "Nur zu Show-Zwecken noch Polizei im Thüringer Wald einzusetzen, bringt nichts." Vielmehr müsse das solidarische Verteilsystem in Europa funktionieren und die Schleuserkriminalität mit einem "europäisch-afrikanischen Schulterschluss" bekämpft werden, so Ramelow. "Und alle, die hier sind, müssten nach drei Monaten eine Arbeitserlaubnis haben, damit jeder für sich selbst sorgen kann und muss." Dann höre auch "die Mär von der Bedrohung durch Geflüchtete" auf, so Ramelow.
Im Jahr 2021 kamen nach Zahlen des Freistaats 4.055 Asylsuchende in Thüringen an, 2022 waren es 6.199. Im ersten Halbjahr 2023 wurden mehr als 3.900 Asylanträge neu gestellt. Dem Bundesland werden nach dem Königsteiner Schlüssel rund 2,7 Prozent aller in der Bundesrepublik ankommenden Flüchtlinge zugeteilt.
Gezielte Kampagne von Russland und Belarus?
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) warf Russland und Belarus vor, Flüchtlinge zu instrumentalisieren, um Druck auf Deutschland auszuüben. "Hinter den wachsenden Migrationszahlen über Osteuropa steht eine gezielte Kampagne von Russland und Belarus", sagte Maier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die Autokraten in Moskau und Minsk wollen Deutschland destabilisieren - und sie nutzen dafür auch Migration als Druckmittel."
Die Behörden stellten fest, dass Migranten etwa aus Syrien und aus der Türkei nach Russland flögen und dann organisiert von dort über Belarus nach Polen und Deutschland geschleust würden, sagte Maier. "So viele Menschen in so kurzer Zeit können nur organisiert fliehen, zumal durch Diktaturen wie Belarus oder Autokratien wie Russland." Er sprach von einer "gezielten Instrumentalisierung der Migration durch Staaten wie Russland".
"Klares Stoppzeichen"
Der SPD-Innenpolitiker forderte neben dem verstärkten Kampf gegen kriminelle Schleusernetzwerke auch "ein klares Stoppzeichen" in Richtung Russland und Belarus durch die Europäische Union. "Einen Missbrauch der Menschen in Not durch die Regierungen in Russland und Belarus dürfen wir nicht tolerieren", sagte Maier. Die Grenzschützer Polens bräuchten an der Grenze zu Belarus "mehr Rechte von der EU, um illegale Einreisen zu unterbinden, die Asylverfahren vor Ort schnell durchzuführen und dann auch gezielt direkte Rückführungen an der Grenze vorzunehmen".
Laut Bundesinnenministerium bildet die irreguläre Migration über Russland und Belarus in die EU und weiter nach Deutschland derzeit einen "grenzpolizeilichen Schwerpunkt". Die Bundespolizei hat demnach die Schleierfahndung verstärkt. Von Januar bis Juli 2023 registrierte die Polizei laut Ministerium an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien rund 21.000 unerlaubte Einreisen.
Sachsens Innenminister: Scholz muss Migration "zu seiner Sache machen"
Auch aus Sachsen kommt Kritik an der aktuellen Lage: Innenminister Armin Schuster (CDU) kritisierte das Verhalten der Bundesregierung in der Migrationspolitik. "Deutschland müsste an erster Stelle dafür kämpfen, dass der Außengrenzen-Schutz besser wird", sagte er im Deutschlandfunk. Bundeskanzler Olaf Scholz müsse das Thema "endlich zu seiner Sache machen" und auch Abkommen mit sicheren Herkunftsstaaten abschließen, wie dies seine Vorgängerin Angela Merkel mit der Türkei getan habe. "Wir verhindern damit illegale Einreisen und öffnen dafür den Weg für die legale Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften, die Deutschland braucht." Man sei "noch nie so nah dran" gewesen an einem gemeinsamen europäischen Asylsystem, sagte Schuster. "Da würde ich mir von Deutschland und im besten Fall zusammen mit Frankreich eine viel stärkere Schrittmacherrolle erwarten."
Auch mit Blick auf die prekäre Lage hält Schuster stationäre Kontrollen spätestens jetzt auch an den sächsischen Grenzen für geboten. Zurückweisung sei nur im Zuge dessen möglich, nicht bei Schleierfahndung, widersprach er der Auffassung der Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Mit Überschreiten der Grenzlinie seien die Menschen eingereist und könnten nur in einem langen Prozess zurückgeschoben werden, der oft scheitere. Es sei nicht zu verstehen, dass Faeser diese Kontrollen in Bayern verlängere und für Sachsen verweigere, "wo die Zahlen gerade doppelt so hoch sind, das verstehe ich nicht".
"Akzeptanz vor Ort sinkt deutlich"
Unterdessen warnte der Präsident des Städtetags Baden-Württemberg, Frank Mentrup, vor einem wachsenden Unmut der Bevölkerung gegenüber Geflüchteten. "Was ich merke, ist, dass die Akzeptanz vor Ort deutlich sinkt", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Es gelte, ein stärkeres Verständnis für politische Abläufe und Entscheidungen und auch die Grenzen politischer Steuerung zu erreichen.
Zu den steigenden Zahlen der Geflüchteten geselle sich ein allgemeines Akzeptanzproblem von Politik, das nicht aus dieser Thematik alleine herrühre. Die Politik dürfe nicht den Fehler machen, mit Drohungen zu arbeiten oder mit Ankündigungen, die wie Drohungen wirken, sagte der Sozialdemokrat, der Karlsruher Oberbürgermeister ist. Stattdessen brauche es klare, unmissverständliche Ansagen, an die man sich dann auch halte. "Wir brauchen einen Schulterschluss auf Augenhöhe."
Er habe beispielsweise erlebt, dass einer Kommune versprochen wurde, in einer Unterkunft nur ukrainische Geflüchtete unterzubringen. Das sei von der Bevölkerung auch akzeptiert worden. Vier Wochen später seien vom Land zugewiesen aber doch Flüchtlinge aus anderen Nationen dort eingezogen. "Durch Taktieren und Unaufrichtigkeit geht natürlich gleich relativ viel kaputt", sagte Mentrup. "Wir brauchen hier eine neue Anstrengung einer gemeinsamen Vertrauensarbeit von Land und Kommunen."
Auch müssten ganz praktische Prozesse dringend beschleunigt werden. So dürfe es beispielsweise nicht passieren, dass die Arbeitsagentur drei Monate für die Überprüfung brauche, ob ein Geflüchteter, der bereits eine Arbeitsstelle hat, diese auch antreten darf. "Das alles dauert viel zu lange", so Mentrup.