Radikalisierte Corona-Leugner Was kann der Staat gegen Telegram machen?
Corona-Leugner nutzen den Messengerdienst Telegram, um ihren Gewaltfantasien freien Lauf zu lassen. Der Staat will dagegen vorgehen. Die neue Innenministerin steht vor einer Mammutaufgabe.
"Wir reden hier nicht nur über ein paar Chats auf Telegram", so der Verfassungsschutz-Chef aus Thüringen, Stephan J. Kramer, "sondern über Hunderte Chats." Verschlüsselte Nachrichten, in denen Corona-Leugner ihren Gewaltfantasien freien Lauf lassen. Dass es sich dabei nicht um Worthülsen handelt, zeigt sich auf unterschiedliche Weise: Vor der Haustür des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow wurde vor einigen Wochen eine Grabkerze aufgestellt. Besonders schockierend: Der Mord an einem Studenten in Idar-Oberstein durch einen Maskenverweigerer im September.
Der radikalisierte Teil der Szene will Angst und Schrecken verbreiten und den Worten Taten folgen lassen. Demonstrationen und Proteste reichen offensichtlich nicht mehr, um die Aufmerksamkeit der Politik zu erreichen, argumentierten die Radikalen. Der Staat muss also handeln. Nur wie? Darüber ist jetzt eine Debatte entbrannt.
Das Problem: Diejenigen, die andere Corona-Leugner via Telegram zur Gewalt aufstacheln, seien nicht mehr zu bekehren, so Kramer. "Die wollen den Krawall", sagt Kramer - und den Staat herausfordern.
Sicherheitskräfte können zwar solchen Chats beitreten, sich quasi als vermeintlich Gleichgesinnte reinmogeln und so die Kommunikation mitlesen. Doch die radikalisierten Corona-Leugner reagieren darauf. Sie löschen ihre Chat-Gruppen und gründen neue. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.
Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll eigentlich helfen
Das G10-Gesetz ermöglicht den Nachrichtendiensten zum Beispiel, verschlüsselte Kommunikation unter bestimmten Voraussetzungen mitzulesen. Das Ganze ist politisch umstritten. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP will die Überwachungsmöglichkeiten des Staates auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls sogar einschränken. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll den Sicherheitsbehörden eigentlich helfen. Demnach müssten Soziale Netzwerke wie Telegram ab Februar dem Bundeskriminalamt strafrechtlich relevante Nachrichten melden, zum Beispiel Mord- und Vergewaltigungsdrohungen und andere schwere Hassdelikte.
Einzelne Aspekte des bestehenden Netzwerkdurchsetzungsgesetzes seien in der Tat sinnvoll, sagt auch Konstantin Kuhle, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender. "So regelt das Gesetz etwa, dass in Deutschland agierende Plattformen für die Behörden erreichbar sein müssen - etwa indem sie einen Bevollmächtigten benennen, an den offizielle Schreiben zugestellt werden können. Unabhängig davon, wie man gegen strafbare Inhalte bei Telegram vorgeht, muss das Unternehmen jedenfalls mit den Sicherheitsbehörden kooperieren, wenn es in Deutschland agieren will."
"Unternehmen bricht deutsches Recht"
Das Problem: Der Anbieter Telegram hält sich nicht an diese Regeln. "Dann bricht das Unternehmen deutsches Recht", betont Kuhle. "Die neue Bundesinnenministerin Faeser und der neue Bundesjustizminister Buschmann machen zu Recht deutlich, dass sich der Staat dies nicht bieten lassen darf."
Nur was heißt das konkret? "Von der neuen Bundesinnenministerin Faeser sind bislang nur wolkige Ankündigungen zu vernehmen", kritisiert der CDU-Innenexperte Alexander Throm. "Wir erwarten, dass sie konkrete Vorschläge macht." Sie sollte sich beispielsweise der Forderung der Innenministerkonferenz nach gesetzlichen Regelungen anschließen, die eine eindeutige Identifizierbarkeit von Straftäterinnen und Straftätern im Internet ermöglichten.
Gesetz ist wirkungslos - und umstritten
In der Tat steht der Bundesinnenministerin mit den Gewaltaufrufen im Netz gleich zu Beginn ihrer Amtszeit eine Mammut-Aufgabe bevor: "Seit Jahren weiß man nicht, wo sich die Telegram-Verantwortlichen aufhalten", sagt Verfassungsschutz-Chef Kramer. Erst hieß es, sie stammten aus Moskau, zwischenzeitlich wurden sie im Mittleren Osten vermutet. Eine zustellfähige Anschrift, bei der die deutschen Behörden oder Minister ihre Beschwerde vorbringen könnten, gibt es schlichtweg nicht. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist an dieser Stelle wirkungslos.
Überhaupt ist das Gesetz umstritten. Viele fordern eine Überarbeitung. "Es verpflichtet die sozialen Netzwerke selbst zur Löschung strafbarer Inhalte", so Kuhle. Das Problem aus seiner Sicht: "Über die Strafbarkeit einzelner Inhalte hat in Deutschland die Justiz zu entscheiden und nicht private Unternehmen." Diese unterlägen als Plattformbetreiber einem Interessenkonflikt. Soll heißen: Eigentlich löschen sie die strafrechtlich relevanten Inhalte gar nicht so gern, weil sie von der Reichweite und Geschwindigkeit der Äußerungen auf ihren Plattformen selbst profitieren.
Identifizierungspflicht und Log-in-Falle
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius fordert, dass User identifizierbar sein müssen, wenn sie strafrechtlich relevante Nachrichten verschicken. Die aktuell geeignetste Möglichkeit scheint dabei die sogenannte Log-in-Falle zu sein, unter anderem auch deswegen, weil sie datensparsam ist. Sie findet sich auch im Ampel-Koalitionsvertrag wieder.
Wenn etwa ein radikalisierter Querdenker zum Mord aufruft, könnte ein anderer Nutzer den Post zur Anzeige bringen. Sollte sich der Anfangsverdacht bestätigen, könnte die Polizei die Log-in-Falle scharf stellen. Wenn sich derselbe Querdenker erneut mit seinem Account einloggt, schnappt die Falle zu, die IP-Adresse wird abgefangen. Die Polizei könnte mit diesen Daten die Identität vom Telekommunikationsanbieter erfragen.
Lösung auf internationaler Ebene
Am Ende wird die deutsche Politik den Umgang mit dem Anbieter Telegram wohl nur auf internationaler Ebene lösen können. Und auch das wird schwer genug. Verschlüsselte Kommunikation ist ein zweischneidiges Schwert. In Demokratien können Verfassungsfeinde damit zwar Hass verbreiten, zur Gewalt anstacheln. In Autokratien hingegen können Menschenrechtsaktivisten im Geheimen kommunizieren. Daher will eigentlich niemand verschlüsselte Kommunikation wirklich verbieten.
Die Europäischen Union habe erkannt, dass es Handlungsbedarf gebe, so Kuhle. Dort müsse nun geklärt werden, wie mit Diensten wie Telegram verfahren werden soll, die zwar kein soziales Netzwerk im klassischen Sinne sind, aber gleichzeitig eine viel größere Breitenwirkung und Reichweite besitzen als einfache Messenger-Dienste.
Dass Deutschland nicht auf Brüssel warten kann, ist der Politik aber auch klar. Zu groß die Bedrohung einer kleinen Minderheit, die allerdings vor nichts zurückschreckt. "Die Politik hat bei der Radikalisierung der Corona-Leugner-Szene zu lange zugeschaut und im Sommer, als die Infektionszahlen gesunken sind, wohl gehofft, dass sich das Problem von alleine lösen könnte", so Kramer. Die Folge: Selbst Menschen aus der bürgerlichen Mitte haben sich aufhetzen lassen.