Reform des Gleichstellungsgesetzes Durchbruch oder Rückschritt?
Der Bundestag hat eine Novelle des Gleichstellungsgesetzes beschlossen. Sie sieht eine verständlichere Sprache für Behördentexte, den Abbau von Barrieren für Behinderte sowie die Einrichtung einer Schlichtungsstelle vor. Bei den Betroffenen stößt es jedoch auf Kritik.
Ungeachtet heftiger Kritik von Behindertenverbänden hat der Bundestag eine Reform des Gleichstellungsgesetzes beschlossen. Damit sollen künftig Behördentexte für Behinderte verständlicher in spezieller leichter Sprache zur Verfügung stehen. Leichte Sprache - unter anderem mit kurzen Sätzen - soll Menschen das Verstehen erleichtern.
Barrieren müssen beseitigt werden
Insgesamt sollen Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung in Behörden auch auf weniger Stufen, Treppen, Angebote ohne Blindenschrift und Untertitel sowie andere Barrieren stoßen. Auch an bestehenden Gebäuden sollen Hindernisse abgebaut werden. Bis 2021 müssen die Bundesbehörden über den Stand der Barrierefreiheit in ihren Gebäuden berichten. Neu vorgesehen ist die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der Bundesbehindertenbeauftragten. Bemängelt wird vor allem, dass private Anbieter nicht in die Pflicht genommen werden.
Arbeitsministerin Nahles sieht die Reform als Erfolg.
Nahles sprach im Bundestag von einem weiteren Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft. "Mit diesem Gesetz gehen wir voran." Sie hätte auch gern den privaten Sektor im Gesetz dabeigehabt, räumte die SPD-Ministerin ein. Nun baue sie darauf, dass die Neuregelung die private Wirtschaft "zum Mitmachen und Nachahmen anregt".
Mehr als zehn Prozent der deutschen Bevölkerung sind schwerbehindert - 7,5 Millionen Menschen.
Das Bundesteilhabegesetz soll ihnen zu mehr Rechten verhelfen. So sollen sie besser wählen können, wo und wie sie leben. Sie sollen Geld ansparen können, Barrieren sollen abgebaut, die Gleichberechtigung soll gestärkt werden.
Mit dem Bundesteilhabegesetz will die Bundesregierung die UN-Behindertenkonvention umsetzen. Die verlangt, dass die Hilfe für Behinderte nicht nur als Fürsorge gewährt wird, sondern als Chance zur umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe begriffen wird. Angesetzt werden soll an mehreren Stellen.
Zwar sind die Ausgaben für Eingliederungshilfe seit 2005 von 11,3 bereits auf 16,4 Milliarden Euro gestiegen. Trotzdem kann es zu Armut führen, wenn man behindert ist und Eingliederungshilfe bezieht. Denn heute dürfen Behinderte nur 2600 Euro besitzen - alles andere wird auf die Hilfszahlungen angerechnet. Der sogenannte Vermögensfreibetrag soll bis 2020 auf bis zu 50.000 Euro in Stufen ansteigen. Das Einkommen des Partners soll freigestellt werden.
Auch die Bundesländer sollen besser koordiniert werden. Oft müssen die Betroffenen von Hilfeträger zu Hilfeträger laufen. Künftig soll ein Träger erstzuständig sein und die Anträge weiterleiten.
Ein anderes Beispiel betrifft den Schritt aus den geschützten Werkstätten in den normalen Arbeitsmarkt. Er fällt vielen Behinderten schwer. Ein "Budget für Arbeit" für Arbeitgeber soll helfen. Wer Betroffene einstellt, soll einen unbefristeten Lohnkostenzuschuss erhalten.
Bis 2020 sind nun Mehrausgaben für den Bund von mehr als 1,5 Milliarden vorgesehen, für Länder und Gemeinden von 350 Millionen Euro.
Verbänden geht Reform nicht weit genug
Der Sozialverband VdK kritisierte das Reformgesetz als völlig unzureichend. "Die Bundesregierung macht nur halbe Sachen zu Lasten von Menschen mit Behinderungen, die in Deutschland auch künftig auf zahllose Barrieren stoßen werden", sagte Verbandschefin Ulrike Mascher der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die neuen Regeln seien nicht bindend für Gaststätten, Hotels, Supermärkte oder Arztpraxen.
Auch bereits vorhandene Hindernisse sollen laut dem Gesetz nun beseitigt werden.
Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) zeigte sich enttäuscht. Es bleibe bei den Hindernissen, die den Alltag behinderter Menschen maßgeblich erschweren, "zum Beispiel beim Arztbesuch, beim Sport oder an der Theaterkasse", erklärte Verbandspräsident Adolf Bauer.
Proteste am Reichstagsufer
Aus Protest gegen das Behindertengleichstellungsgesetz hatten sich zeitweise mehrere Aktivisten in Rollstühlen am Berliner Reichstagsufer aneinandergekettet. Sigrid Arnade von der "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland" (ISL) sprach von teilweise mehr als 100 Aktivisten und Unterstützern.
Kritik kam auch von der Opposition. Die Gesetzesnovelle gehe "völlig vorbei an der Lebensrealität behinderter Menschen vorbei", sagte Katrin Werner, Sprecherin für Behindertenpolitik der Linksfraktion. Die Grünen-Sprecherin für Behindertenpolitik, Corinna Rüffer, nannte das Gesetz "absolut mutlos".