Urteil des Verfassungsgerichts Recht auf selbstbestimmtes Sterben?
Wer schwer krank ist und sich zum Suizid entschließt, kann in Deutschland nicht auf Hilfe von Ärzten oder Vereinen hoffen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute, ob dieses Verbot zu weit geht.
Sterbehilfe - was ist erlaubt, was ist strafbar?
Strafbar ist die aktive Sterbehilfe. Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, macht sich wegen "Tötung auf Verlangen" strafbar. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft (Paragraf 216 Strafgesetzbuch).
Erlaubt ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, wenn das dem Willen des Patienten entspricht. Wenn jemand etwa in einer Patientenverfügung präzise festgehalten hat, ab wann er keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr will, dann müssen sich Ärzte daran halten und Geräte gegebenenfalls abschalten.
Erlaubt ist in bestimmten Fällen auch die Beihilfe zum Suizid. Wenn zum Beispiel ein Angehöriger einem Sterbewilligen ein tödliches Medikament reicht, und dieser nimmt es selbst ein, ist das nicht strafbar. Problematisch wird es, wenn eine solche Beihilfe zum Suizid nicht nur im Einzelfall geschieht. Darum geht es in dem umstrittenen Gesetz.
Worum geht es vor dem Bundesverfassungsgericht?
Es geht um Paragraf 217 Strafgesetzbuch. Danach kann die absichtliche geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Das Bundesverfassungsgericht muss nun klären, ob das verfassungswidrig ist.
"Geschäftsmäßig" ist Sterbehilfe, wenn sie auf Wiederholung angelegt ist - also keine einmalige Hilfe. Sie muss dagegen nicht darauf gerichtet sein, damit Gewinne zu erzielen, oder im Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit stehen. Betroffen sein könnten Ärzte, aber auch ehrenamtliche Helfer, die für Sterbehilfe-Vereine tätig sind. Im Einzelnen ist die Reichweite des Begriffs "geschäftsmäßig" sehr umstritten.
Außerdem muss die Hilfe zur Selbsttötung absichtlich, also zielgerichtet, erfolgen. Wer lediglich allgemeine Hinweise für eine mögliche Selbsttötung gibt, macht sich nicht strafbar. Auch Palliativmediziner, die Patienten Schmerzmittel geben, die den Todeseintritt als Nebenfolge beschleunigen, machen sich nicht strafbar - denn sie handeln in der Absicht, das Leiden ihrer Patienten zu lindern, nicht in der Absicht, deren Leben zu beenden.
Auch wer im Einzelfall und aus uneigennützigen Motiven Suizidhilfe leistet, soll der Gesetzesbegründung zufolge nicht bestraft werden. Anders liegen die Dinge demnach, wenn die Hilfe zum Suizid als "normale" Dienstleistung angeboten und damit zum - möglicherweise unentgeltlichen - Geschäftsmodell wird.
Warum wurde die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten?
Der Gesetzgeber wollte mit dem Verbot einer Kommerzialisierung der Sterbehilfe entgegenwirken. Es ging dabei auch um die Sorge, dass sich der begleitete Suizid immer weiterverbreiten und so der Eindruck von Normalität entstehen könnte. Schwerstkranke und alte Menschen könnten sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen, ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen.
Dem Gesetz war eine kontroverse Debatte vorausgegangen. Die Abstimmung im Bundestag wurde zur Gewissenfrage erklärt - das heißt, die Abgeordneten waren nicht an die Fraktionsdisziplin gebunden und stimmten so ab, wie sie es ganz persönlich für richtig hielten.
Wer klagt gegen das Sterbehilfe-Verbot?
Mehrere Betroffene haben gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben:
- Schwer kranke Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen möchten. Einige der Beschwerdeführer sind mittlerweile verstorben.
- Vereine mit Sitz in Deutschland und der Schweiz, die Suizidhilfe anbieten.
- Ärzte, die in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung tätig sind.
Warum haben die Betroffenen geklagt?
Es geht um die Frage, ob es ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben gibt und wie weit dieses Recht womöglich reicht. Aus Sicht der Kläger umfasst es auch, Unterstützung Dritter bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Weil weite Teile einer solchen Unterstützung nun strafbar seien, könnten sie ihr Grundrecht nicht ausüben.
Für die Ärzte geht es um ihre Gewissens- und Berufsfreiheit. Aus ihrer Sicht verhindert Paragraf 217 Strafgesetzbuch eine Behandlung, die sich am Wohl und Willen des Patienten orientiert. Ärzte sehen das Risiko, sich strafbar zu machen. Wenn sie wiederholt beim Suizid assistieren, kann das unter den Begriff "geschäftsmäßig" fallen. Machen sich auch Ärzte hier strafbar, obwohl der Gesetzgeber eigentlich die Sterbehilfevereine im Blick hatte? Schießt das Gesetz übers Ziel hinaus?
Die Sterbehilfevereine stützen ihre Verfassungsbeschwerden auf die Vereinigungsfreiheit.
Wie lief die mündliche Verhandlung im April 2019?
Zwei Tage lang wurde sehr intensiv im Karlsruher Gerichtssaal verhandelt. Das Thema berühre ethische, moralische und religiöse Fragen, leitete Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ein - und ergänzte: "Wie wir mit dem Tod umgehen, spiegelt unsere Einstellung zum Leben. Das Recht darf hier nicht schweigen."
Gegner und Befürworter der Suizidbeihilfe kamen ausführlich zu Wort, zum Beispiel Kläger Horst L., der schwer krebskrank ist. Wenn die Schmerzen unerträglich würden, sei der Suizid der letzte Ausweg, um sich eine lange Leidensphase zu ersparen. Paragraf 217 Strafgesetzbuch schneide ihm diese Perspektive ab.
Palliativmediziner, Psychologen und Bundestagsabgeordnete wiesen dagegen auf mögliche Gefahren und auf die Palliativmedizin als Alternative zum Suizid hin. Das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen spielte in den Fragen der Richter eine große Rolle - aber auch, ob es nicht zumindest "prozedurale Sicherungen" für einen wirklich freiwilligen Suizid geben müsse, also zum Beispiel eine Pflicht zur eingehenden Beratung vorab.
Muss der Staat in Extremfällen ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen?
Wie kann ein suizidwilliger Mensch überhaupt an ein tödliches Medikament kommen? Zu dieser Frage hat 2017 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein wichtiges und umstrittenes Urteil gefällt. Es geht um eine andere Situation als bei Paragraf 217, aber ebenfalls um ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben.
Eine hochgradig querschnittsgelähmte Frau hatte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels beantragt. Sie empfand ihr Leben als unerträglich und entwürdigend. Ihren Sterbewunsch hatte sie mit Familie, Ärzten und Geistlichen besprochen. Das Gericht entschied: In Extremfällen - und unter äußerst strengen Voraussetzungen - dürfe der Staat schwer und unheilbar kranken Menschen den Zugang zu einem tödlichen Medikament nicht verwehren.
Die Klägerin hatte sich zum Zeitpunkt des Urteils bereits in der Schweiz das Leben genommen. Ihr Mann hatte vor Gericht um die Grundsatzfrage weitergekämpft. Über 137 solcher Anträge hat es seitdem gegeben. Das Bundesinstitut hat bislang niemandem die Erlaubnis erteilt, denn das Bundesgesundheitsministerium hat die Anweisung erteilt, die Anträge abzulehnen. 24 Antragsteller sind nach Angaben des Bundesinstituts während des laufenden Verfahrens verstorben.