Kritik an Gesundheitsminister Spahn verteidigt Pläne zur Intensivpflege
Gesundheitsminister Spahn hat seinen Vorstoß zur Reform der ambulanten Intensivpflege verteidigt. Dies sei nötig, um Qualität und Kosten zu überwachen. Verbände befürchten ein Ende der Selbstbestimmtheit.
Den Tag der offenen Tür seines Ministeriums hatte sich Gesundheitsminister Jens Spahn vermutlich anders vorgestellt. Am Dienstsitz des umtriebigen CDU-Politikers versammelte sich am Wochenende ein besonders hervorstechendes Grüppchen: Vertreter von Intensiv-Pflegepatienten, zumeist in Spezial-Rollstühlen sitzend, prangerten öffentlichkeitswirksam das neueste Gesetzesvorhaben aus dem Hause Spahn an.
Mit dem "Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz" will der Gesundheitsminister für mehr Qualität und bessere Geldverwendung sorgen. Doch nach Lesart der Betroffenen könnte das zu Lasten vieler Pflegebedürftigen geschehen.
Betrüger in der Pflegebranche
Spahn geht es um einen Bereich des Gesundheitswesens, in dem zumeist private Pflegedienste hinter verschlossenen Türen agieren: in der häuslichen Pflege von Schwerstpflegebedürftigen. Einer Untersuchung der Krankenkasse KKH zufolge sei dieser Bereich besonders anfällig für Betrügereien, weil die Patienten selbst die Qualität der Leistungen gar nicht erkennen könnten.
Deshalb gehört für Spahn vor allem die häusliche Pflege in dem Bereich auf den Prüfstand: "Dort kann niemand die Qualität kontrollieren, auch nicht der Medizinische Dienst, der die Wohnung ohne Zustimmung nicht betreten darf, wo es aber um viel Geld geht, pro Patient 20.000 bis 30.000 Euro", so der Politiker, der sich der Unterstützung seines Koalitionspartners bereits sicher sein darf.
Unterstützung aus der SPD
"Grundsätzlich müssen wir hier etwas ändern, das ist ganz klar", meint auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. "Die Intensivpflege zu Hause wird oft durch kriminelle Gruppen missbraucht. Das sind zum Glück nur wenige, aber da ist der Schaden für Mensch und Leben sehr groß, auch der ökonomische Schaden. Deshalb ist das Gesetz richtig." Die Statistik zur Kostenentwicklung scheint der Regierung Recht zu geben: Die Ausgaben für die Intensivpflege sind zuletzt stark angestiegen: von 1,5 Milliarden Euro 2017 auf prognostiziert bis zu zwei Milliarden in diesem Jahr.
Vertreter von Behindertenverbänden sehen das anders. Für sie ist der Gesetzentwurf ein Versuch, die etwa 50.000 Betroffenen in Deutschland durch die Hintertür zum Umzug ins Pflegeheim zu zwingen. Für Raul Krauthausen vom Berliner Verein Sozialhelden stünde, wenn das Gesetz so käme, das Recht von Schwerstbehinderten auf ein selbständiges Leben auf dem Spiel:
Das würde bedeuten, dass Menschen, die zum Beispiel nachts beatmet werden müssen, dies eben nicht mehr zu Hause bekommen können, sondern, dass sie in Intensivpflege-Einrichtungen gehen müssten. Und das würde bedeuten, dass Menschen gegen ihren Willen in Heime gezwungen würden.
Fehlanreize im Finanzierungssystem
Im ARD-Morgenmagazin versuchte der Gesundheitsminister die Kritik zu entkräften: "Es geht nicht darum, Menschen ins Heim zu zwingen, die noch selbst für sich sorgen können und dafür zum Beispiel eine Pflegeassistenz haben," so Spahn. "Es geht um diejenigen, die 24 Stunden am Tag Intensivpflege brauchen und in der Regel nicht mehr selbst entscheiden, wo sie gepflegt werden: Wachkoma-Patienten zum Beispiel."
In diesen Fällen macht Spahn im aktuellen Finanzierungssystem Fehlanreize aus. Denn wer sich heute für die häusliche Intensivpflege entscheidet, bekommt die Kosten dafür komplett von den Sozialkassen erstattet, während im Falle einer Heimunterbringung Eigenanteile fällig werden. "Im Kern geht es darum", so Spahn, "dass nicht finanzielle Anreize dazu führen, dass die falsche Pflege gewählt wird."
Kritik von Grünen
Dass die Pläne des Ministers am Ende nur falsch verstanden wurden, lassen die Grünen im Bundestag nicht gelten. Die pflegepolitische Sprecherin Kordula Schulz-Asche findet die Erklärungen des Ministers erschreckend:
Sollen also Menschen, die sich nicht mehr äußern können, in Einrichtungen verfrachtet werden, während diejenigen, die sich wehren können, Glück haben, zuhause zu bleiben? Wir fordern die Bundesregierung auf, die Selbstbestimmungsrechte von pflegebedürftigen Menschen zu achten.
Eine hohe Pflegequalität sei nicht davon abhängig, wo Menschen gepflegt werden, sondern unter welchen Bedingungen. Qualitätsprüfungen dürften nicht die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen antasten.
"Einheitliche, hohe Standards schaffen"
Das sieht die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP ähnlich. Für Christine Aschenberg-Dugnus ist der Gesetzgeber angesichts ambulanter Intensivpflege-Skandale und Fällen von Abrechnungsbetrug gleichwohl gefragt: "Da müssen wir einfach einheitliche, hohe Standards für die Patienten setzen und müssen das Ganze auch kontrollieren."
Die hitzige Debatte wird im Herbst den Weg in den Bundestag finden. Im Gesetzgebungsverfahren werden auch Sozial- und Behindertenverbände angehört. Und der Gesundheitsminister kann seinen Kritiker vielleicht deutlich machen, dass sein Stärkungsgesetz auch für sie eine Stärkung ist.