Interview zum Ende von Schwarz-Grün in Hamburg "SPD profitiert eindeutig vom Koalitionsende"
Nach dem Ende von Schwarz-Grün in Hamburg setzen beide Parteien auf Polarisierung. Ein Lagerwahlkampf soll bei der Landtagswahl Stimmen bringen. Ist Schwarz-Grün damit insgesamt gescheitert? Wie klug ist der neue Konfrontationskurs? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Berliner Politologen Oskar Niedermayer.
tagesschau.de: Die Koalition in Hamburg ist am Ende. Ist damit das schwarz-grüne Projekt insgesamt gescheitert?
Oskar Niedermayer: Nein, denn die Hamburger Situation hat sehr viel mit den konkreten Personen zu tun. Wenn Ole von Beust nicht zurückgetreten wäre, würde es Schwarz-Grün noch geben. Auch in anderen Bundesländern ist diese Konstellation nach wie vor denkbar. In Berlin lässt sich Renate Künast die Option Schwarz-Grün ja ganz bewußt offen. Anders sieht es allerdings in Baden-Württemberg aus: Dort wird es einen Wahlkampf Schwarz gegen Grün geben. Das hat aber nichts mit Hamburg zu tun, sondern mit "Stuttgart21".
tagesschau.de: Für wen bringt der Koalitionsbruch in Hamburg mehr Nachteile: für die Grünen oder für die CDU?
Niedermayer: Normalerweise gilt: Wer die Koaltion aufkündigt, der wird abgestraft, es sei denn, er hat gute Gründe für diesen Schritt. Diese Gründe sehe ich, um ehrlich zu sein, nicht. Die Entscheidung der Grünen wäre unmittelbar nach dem Rücktritt von Ole von Beust glaubwürdiger gewesen. Andererseits sind die Grünen derzeit bundesweit so im Aufwind, dass dieser Trend die jetzige Entscheidung vielleicht abfedern kann.
tagesschau.de: Das Hinschmeißen der Grünen wirkte überraschend und unvermittelt. Warum kam der Schritt gerade jetzt?
Niedermayer: Die Grünen wollen versuchen, den positiven Bundestrend auch für Hamburg zu nutzen. Dort stehen sie in Umfragen ja derzeit nicht ganz so gut da. Und natürlich hofft jetzt auch die CDU auf Stimmengewinn durch die Polarisierung.
Mehr Varianten für die SPD
tagesschau.de: Was ist mit der SPD - könnte sie nicht am Ende "lachender Dritter" sein?
Niedermayer: In Hamburg kann die SPD sich jetzt wieder Chancen ausrechnen, die Regierung zu stellen mit den Grünen als Juniorpartner. Insofern profitiert die SPD eindeutig von diesem Koalitionsbruch - auf Landesebene und auch im Bund.
tagesschau.de: Wie sieht es mit Schwarz-Grün künftig auf Bundesebene aus? Die Kanzlerin hat ja die Grünen als politischen Hauptgegner ausgemacht.
Niedermayer: Auf Bundesebene ist Schwarz-Grün erstmal in ganz weite Ferne gerrückt. Und zwar nicht nur durch die jetzige harte Linie der Kanzlerin, sondern vor allem durch die Atompolitik der Regierung.
tagesschau.de: Das war ein klares Signal gegen Schwarz-Grün...
Niedermayer: Ja, und man kann nur spekulieren, was Angela Merkel dazu bewogen hat, ohne Not den Atomkonsens aufzuschnüren und damit jede schwarz-grüne Option erstmal auszuschließen. Dazu gibt es verschiedene Thesen: Man stand bei der Atomlobby im Wort. Man wollte den konservativen Flügel befrieden. Ich sage offen, ich bin mir nicht im Klaren, warum die Kanzlerin diesen Weg gegangen ist.
Riskante Absagen
tagesschau.de: Ist der Konfrontationskurs der CDU gegen die Grünen strategisch unklug?
Niedermayer: Zumindest ist es nicht ungefährlich in unserem Fünf-Parteiensystem Bündnisse mit bestimmten Parteien so eindeutig auszuschließen. Da kommt man möglicherweise nach Wahlen in große Schwierigkeiten.
tagesschau.de: Dennoch ist das Lagerdenken zurückgekehrt, oder?
Niedermayer: Das Lagerdenken ist bei einem Teil der Politiker immer dagewesen und feiert in der Tat derzeit seine fröhlichen Urstände. Ich halte das für einen Fehler. Wir haben ja auch keine wirklichen zwei Lager. Denn SPD und Grüne wollen mit den Linken nichts zu tun haben.
tagesschau.de: Die Parteien sind augenscheinlich nicht so offen für neue Bündnisse, wie sie sich geben. Sind die Milieus doch zu unterschiedlich?
Niedermayer: Bei einem Teil der Basis ist das sicherlich so. Andererseits zeigen die Umfragen, dass ein großer Teil der Wähler nichts dagegen hätte, wenn neue Bündnisse eingegangen würden. Und langfristig denke ich, dass sich die Parteien dem nicht verschließen können.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de