Debatte über Schuldenbremse Aussetzen, abschaffen - oder nicht antasten?
Die Diskussion über die Schuldenbremse geht weiter: Verkehrsminister Wissing spricht von einer "Scheindebatte", Bayerns Ministerpräsident Söder sieht eine "schwere Staatskrise". Kanzler Scholz betonte erneut, der Haushalt werde schnell neu aufgestellt.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat die Debatte über eine Reform der Schuldenbremse eine "Scheindebatte" genannt. "Das ist eine abstrakte Debatte, wir haben aber ein konkretes Problem." Für eine Reform gebe es "offensichtlich keine verfassungsändernde Mehrheit", sagte er weiter.
Kritik übte Wissing auch an denjenigen, "die monierten, dass die Bundesregierung keinen Plan B in der Tasche" gehabt habe. "Bei solchen Dimensionen hat man keinen fertig ausgearbeiteten Plan B", so Wissing. "Das wäre mit einem unrealistischen Aufwand verbunden. Sowas macht man nicht mal eben so." Den Plan A habe man für rechtssicher gehalten, und alleine der sei eine "Herkulesaufgabe" gewesen.
Scholz: "An die Arbeit machen"
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte ein weiteres Mal an, den Haushalt nach dem Karlsruher Haushaltsurteil schnell neu aufzustellen. Das werde nicht leicht. "Aber statt Beratungsergebnisse vorweg zu erörtern, würde ich sagen, wir machen uns lieber an die Arbeit", so Scholz in seiner Rede auf dem Parteitag der Brandenburger SPD in Schönefeld.
Die wichtigen Ziele der Bundesregierung blieben bestehen: "Wir werden die Ukraine weiter unterstützen. Wir werden alles dafür tun, um ökonomische Folgen aus dem Krieg abzufedern", so Scholz. "Wir werden alles dafür tun, den Zusammenhalt im Land zu bewahren. Und das gilt auch für das große Projekt der industriellen Modernisierung in Deutschland."
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen rief dazu auf, die Schuldenbremse um eine Investitionsklausel zu ergänzen. "Wir bekennen uns zur Schuldenbremse, aber zu einer guten Schuldenbremse", sagte Özdemir auf dem Grünen-Parteitag in Karlsruhe. Dabei müsse nicht nur das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden, sondern auch das vorherige Urteil desselben Gerichts, wonach Maßnahmen gegen die Klimakrise nicht aufgeschoben werden dürfen. "Beide Urteile gelten", hier dürfe es "nicht nur Rosinenpickerei geben", sagte Özdemir.
Söder sieht "schwere Staatskrise"
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, Deutschland stecke in einer "schweren Staatskrise", die hausgemacht sei. Er und sein bayerischer Finanzminister Albert Füracker hätten dem Bund sehr frühzeitig dazu geraten, wegen der Belastungen durch den Ukraine-Krieg die Schuldenbremse für dieses Jahr auszusetzen. Bundesfinanzminister Christian Lindner habe den Vorschlag "arrogant und überheblich" zurückgewiesen.
Söder sprach sich vehement dagegen aus, die Schuldenbremse zu lösen. Eine stabile Haushaltspolitik habe Deutschland groß gemacht. Solidität müsse die Basis der Politik in Deutschland und Europa bleiben.
Die Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse war zuvor vor allem aus den Reihen der SPD und der Grünen gekommen. Die Jusos wollen die Schuldenbremse ganz abschaffen. Innerhalb der Ampel lehnt die FDP eine Reform bislang kategorisch ab. In der Union ist das Bild uneinheitlich. Zwar ist wie Söder auch CDU-Chef Friedrich Merz gegen eine Lockerung. Aus CDU-regierten Bundesländern im Osten kommen aber andere Töne.
Kretschmer und Wüst gesprächsbereit
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zeigte sich gesprächsbereit. Die CDU-Regierungschefs von Berlin und Sachsen-Anhalt, Kai Wegner und Reiner Haseloff, sprachen sich sogar klar für eine Reform aus. "Wir müssen einfach sicherstellen, dass auch künftig strategisch wichtige Investitionen in Krisenzeiten möglich sind", sagte Haseloff. Wegner formulierte es so: "Die Schuldenbremse ist im Sinne solider Finanzen eine gute Idee. Ihre derzeitige Ausgestaltung halte ich allerdings für gefährlich."
Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) zeigte sich zurückhaltend, aber gesprächsbereit. Das Thema zu erörtern, sollte aus seiner Sicht aber nur die letzte aller Möglichkeiten sein, sagte er in der ARD.
Viertes Jahr in Folge Schuldenbremse aussetzen
Der Bundestag soll am Freitag kommender Woche erstmals über den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr beraten. Dieser ist nötig, weil das Bundesverfassungsgericht die Verschiebung nicht genutzter Corona-Kredite in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für unzulässig erklärt hatte. Auch weitere Sondervermögen wie der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Energiepreisbremsen bezahlt werden, müssen nun auf eine andere rechtliche Grundlage gestellt werden. Deshalb kündigte Finanzminister Lindner an, die Schuldenbremse werde das vierte Jahr in Folge ausgesetzt.
Für ein vorübergehendes Aussetzen der Schuldenbremse ist die Ampel - anders als bei Änderungen an der Schuldenbremse - nicht auf Stimmen der Union angewiesen. Sie kann dies mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschließen. Zulässig ist dies laut Grundgesetz "im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen". Für die Jahre 2020 bis 2022 sah der Bundestag jeweils eine solche Notlage - zweimal stand dabei die Corona-Pandemie im Mittelpunkt, vergangenes Jahr zusätzlich der Ukraine-Krieg.