Thüringen Zahl der Patienten ohne Notfall in Saalfelder Notaufnahme nimmt zu
Die Thüringer Notaufnahmen sind weiterhin voller Patienten, die dort eigentlich nicht hingehören. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen gibt es zwar zahlenmäßig keine Erhebungen für das ganze Land. In der Notaufnahme der Thüringen-Kliniken in Saalfeld wird aber deutlich, dass viele Patienten keine richtigen Notfälle sind.
Es ist ein früher Dienstagabend im Dezember in der Notaufnahme in Saalfeld. Im Wartebereich vor dem Eingang zur Notaufnahme sind viele Plätze besetzt. Dort warten nicht nur Menschen, etwa mit Platzwunden oder Knochenbrüchen, sondern - und das fällt auf - auch viele Familien mit kleinen Kindern.
90 bis 120 Patienten werden pro Tag in der Notaufnahme in Saalfeld behandelt. Den Hochbetrieb dort gebe es nicht erst seit dem Aus der Sternbach Klinik in Schleiz samt der Notaufnahme dort, sagen die Ärzte. Aus ihrer Erfahrung kommen schon länger auch immer öfter Menschen in die Notaufnahme, die keine "richtigen" Notfälle sind. Das bestätigt der Geschäftsführer und Chefarzt der Thüringen Kliniken, Thomas Krönert. Ihm zufolge haben rund 40 Prozent der Patienten in der Notaufnahme keine lebensbedrohlichen Notfälle - und gehören damit eigentlich gar nicht dorthin.
40 Prozent der Patienten kommen in die Notaufnahme ohne lebensbedrohliche Notfälle - sagt Thomas Krönert, Chefarzt und Geschäftsführer der Thüringen-Kliniken in Saalfeld, Rudolstadt und Pößneck.
Ärzte an ihrer Belastungsgrenze
Der Chefarzt der Notaufnahme der Thüringen-Kliniken in Saalfeld, Lars Kummer, sagt: "Das erleben wir täglich. Das sind Patienten, die haben sicher eine Behandlungsindikation, es fehlt aber eine Notfallindikation." Weggeschickt würden die Patienten trotzdem nicht, sagt er. Die Ärzte haben die Erfahrung gemacht, dass die Patienten sich entscheiden, in die Notaufnahme zu gehen, weil sie keinen Termin bei einem Haus- oder Facharzt bekommen haben. Oder sie lange auf einen Termin warten müssen.
Das erleben wir täglich. Lars Kummer, Chefarzt der Notaufnahme | über Patienten, die ohne Notfall in die Notaufnahme kommen
"Das hat zugenommen, weil die Verfügbarkeit der ambulanten Versorgungsstrukturen abgenommen hat, und das wird auch weiterhin zunehmen", sagt Kummer. Einige Ärzte nähmen bereits keine neuen Patienten mehr auf, weil ihre Praxen schon voll sind. "Die sind auch an ihrer Belastungsgrenze." Zum Problem wird das dann auch für Zugezogene und Menschen aus dem Ausland.
So leer sind die Gänge der Notaufnahme im Saalfelder Krankenhaus selten.
Geflüchtete bekommen wiederholt keinen Arzttermin
Dass gerade für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund die Hürden, einen Arzttermin zu bekommen, noch höher sind, bestätigen die Mitarbeitenden des Projekts "Thinka" in Saalfeld. Sie haben zwei Büros in den Stadtteilen Gorndorf sowie Beulwitz und beraten und unterstützen Menschen mit Migrationshintergrund. Projektmitarbeiterin Mandy Gora sagt: "Wir stoßen mehrfach pro Woche auf dieses Problem." Grundsätzlich stelle sich die medizinische Versorgung im Landkreis schwer dar, sagt Gora. Das betreffe sowohl Einheimische als auch Zugezogene. Die Suche nach Hausärzten, Kinderärzten und Fachärzten sei schwierig. Viele Ärzte im Landkreis hätten ihre Kapazitätsgrenze längst erreicht. "Um einen Arzt oder Facharzt zu finden, telefonieren wir bis hin zu den größeren Städten wie Jena, Weimar und Erfurt."
Wir stoßen mehrfach pro Woche auf dieses Problem. Mandy Gora vom Projekt Thinka | über die Hürden von Geflüchteten, einen Arzttermin zu finden
Viele Ärzte verlangen Übersetzer
Ein zweites Problem sei die Sprachbarriere. "Viele Ärzte verlangen zum Termin eine übersetzende Person als Begleitung", sagt Gora. "Sollte das nicht möglich sein, wird der Betroffene oft abgewiesen, sofern kein akuter Notfall vorliegt." Es sei zwar möglich, einen telefonischen Übersetzer, zum Beispiel "Lingatel" zu nutzen. Doch die Übersetzung mit der Sprach- App sei lückenhaft und unzureichend, so Gora. Es würden häufig falsch übersetzt oder zusammenhangslos übertragen. "Die Notaufnahme wird dann für Fälle genutzt, die keine Notfälle sind. Das betrifft zum einen Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch einheimische Bürger", sagt sie.
Die Probleme mit der Übersetzung kennen auch die Mitarbeitenden in den beiden Gemeinschaftsunterkünften in Saalfeld und Rudolstadt. "Es gibt immer noch die Ansagen, dass man ohne Präsenzdolmetscher keine Behandlung erhält. Es ist natürlich nicht immer umzusetzen, in jeder Landessprache einen persönlichen Dolmetscher vorzuhalten", heißt es auf Anfrage vom Landratsamt in Saalfeld. "Oftmals ist die Scheu der Ärzte, Apotheker, Physio- und Psychotherapeuten, den telefonischen Sprachmittler zu nutzen, noch sehr verbreitet."
Neun Hausarzt-Stellen in Saalfeld-Rudolstadt nicht besetzt
In akuten Fällen kommen viele Ärzte den Betroffenen aber auch entgegen. Aus ihrer Sicht ist die Zusammenarbeit mit den ansässigen Ärzten trotzdem gut. "Trotz der Tatsache, dass alle ärztlichen Versorgungseinrichtungen aufgrund des Fachkräftemangels am Limit arbeiten, ist die Versorgung der einheimischen Bevölkerung und der Zugezogenen gewährleistet." Seit 2015 die medizinische Chipkarte für Geflüchtete eingeführt wurde, sei es für Geflüchtete insgesamt unkomplizierter geworden, einen Arzttermin zu vereinbaren.
Trotzdem bleibe es "enorm schwierig, Frauenärzte, Kinderärzte, überhaupt Fachärzte konsultieren zu können, da dort die vorhandene Dichte an Ärzten den Bedarf nicht abdeckt". Gerade in Rudolstadt fehle ein Kinderarzt." Das gelte auch für Frauenärzte, Zahnärzte, Orthopäden, Psychotherapeuten und Augenärzte.
Laut Kassenärztlicher Vereinigung Thüringen (KVT) fehlen in der Region vor allem aber Hausärzte. Allein im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt gebe es neun freie Hausarzt-Sitze. Im Saale-Orla-Kreis sind neun Hausarztplätze frei und im Landkreis Sonneberg sind es sogar zehn. Damit liegt die Region thüringenweit an der Spitze - neben dem Geraer Land mit ebenfalls zehn freien Hausarzt-Plätzen und der Region Eisenach mit sogar 13 nicht besetzten Hausarzt-Stellen.
Nach Angaben der KVT dürfen laut dem Thüringer Krankenhausgesetz Ärzte zwar keine Patienten abweisen, die in die Notaufnahme kommen. Patienten, die keinen lebensbedrohlichen Notfall haben, sollten jedoch statt der Notaufnahme eines Krankenhauses den kassenärztlichen Notdienst unter der Telefonnummer 116-117 (Es fallen die üblichen Kosten für Anrufe ins deutsche Festnetz an.) anrufen oder hier nach einer Bereitschaftspraxis suchen.
MDR (rom)