Daniel Haseloff (AfD)

Thüringen Radikal, loyal, austauschbar - die neuen AfD-Landtagsabgeordneten

Stand: 11.09.2024 16:08 Uhr

32 AfD-Abgeordnete ziehen in den Landtag ein, 18 davon zum ersten Mal. Viele sind bisher unbekannte Politik-Neulinge oder "Wahlkreistouristen". Alle wirken linientreu und loyal. Einige zeigen sich besonders radikal.

Von Bastian Wierzioch und Ludwig Kendzia, MDR INVESTIGATIV

Die Stimmung schien ausgezeichnet gewesen zu sein bei der kleinen Zusammenkunft Ende Dezember. AfD-Co-Landessprecher Björn Höcke lehnte sich entspannt in seinen Stuhl zurück und lächelte wohlwollend in die Männer-Runde. Daniel Haseloff, der inzwischen als Direktkandidat den Wahlkreis Sömmerda-Gotha für die AfD gewonnen hat, hat Fotos von dem Treffen im Internet veröffentlicht. Ebenfalls mit dabei bei der Besprechung, die mutmaßlich im Thüringer Landtag stattfand, waren die extrem rechten Szenegrößen Matthias Helferich sowie Benedikt Kaiser. Beide gehören nicht der Thüringer AfD an.

Kaiser, ehemaliger Neonazi, heute völkischer Szene-Publizist, gilt als neurechter Vordenker und Stratege. Die Thüringer AfD wird vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft, weil sie ähnliche Positionen wie er vertritt. Gegen den vierten Mann in der Runde, Matthias Helferich, ein Rechtsanwalt aus Dortmund, hat der AfD-Landesverband Nordrhein-Westfalen ein Parteiausschlussverfahren in Gang gesetzt. Der fraktionslose Bundestagsabgeordnete soll Parteifreunde bedroht und Abschiebungen deutscher Bürger mit Migrationshintergrund gefordert haben. Zudem hatte sich Helferich in Chatprotokollen als das "freundliche Gesicht des NS" bezeichnet.

Radikale Verstärkung

Im Wahlkampf sind AfD-Direktkandidat Haseloff und der im ultrarechten Milieu stark vernetzte Helferich teilweise gemeinsam aufgetreten. Mit einem Flyer warben die beiden für einen gemeinsamen Bürgerabend. Darauf zu sehen war ein Passagierflugzeug mit der Aufschrift: "Abschiebe Hansa". Auf eigenen Flugblättern Haseloffs war "Sommer, Sonne, Remigration" zu lesen. Bereits im Oktober 2023 war er in Erfurt bei einer Demonstration der Jungen Alternative (JA) Thüringen zugegen. Der Jugendverband der AfD wird ebenfalls als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Das Motto des Aufzugs in Erfurt lautete: "Deutsche Jugend fordert Remigration". Auf eine MDR-Anfrage hat Haseloff nicht reagiert.

Der Begriff "Remigration" wird von Politikern und Sicherheitsbehörden als problematisch angesehen, weil damit Massen-Abschiebungen gemeint sind, von denen auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund betroffen wären. Daniel Haseloff wurde in der vergangenen Woche zum stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag gewählt. Seine Personalie bedeutet radikale Verstärkung für die Fraktion.

Dasselbe gilt für die Juristin Vivien Rottstedt, die den Wahlkreis Schmalkalden-Meiningen I gewonnen hat sowie für den Wirtschaftsingenieur Peter Gerhardt, der im Wahlkreis Weimar I/Weimarer Land II erfolgreich war. Beide gehören neben der AfD auch der JA an - Rottstedt als Beisitzerin im Landesvorstand. Im Netz teilte die Juristin Inhalte von Benedikt Kaiser sowie einen Flyer von Matthias Helferich, auf dem er "millionenfache Remigration" forderte. Auch Peter Gerhardt bezeichnete vor der Wahl "Remigration" als einen seiner "politischen Schwerpunkte".

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Höcke-Fans und Abstimmungs-Garanten

Rottstedt und Gerhardt sind wie einige weitere Fraktions-Neuzugänge politische Neulinge. Selbstbewusste und erfahrenere Köpfe wie Jörg Prophet, der im vergangenen Jahr gute Chancen hatte, Oberbürgermeister von Nordhausen zu werden und dort nun den Landtagswahlkreis gewonnen hat, sind kaum hinzugekommen. Prophet war in der Vergangenheit mit geschichtsrevisionistischen Positionen aufgefallen, weswegen ihn die Leitung der KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora kritisierte. Prophet wurde ebenfalls zum Fraktions-Vize-Vorsitzenden ernannt.

In der Gesamtschau wirkt die Mehrheit der Parlaments-Neulinge wie eine loyale und linientreue Mannschaft, auf die sich die Fraktionsführung bei Abstimmungen verlassen kann. Da ist der Autohändler Thomas Luhn aus Suhl, der dem Portal "Watson" sagte: "Höcke ist mein Martin Luther". Da sind der gelernte Koch Marcel Kramer aus Gotha, der Bauingenieur Jan Abicht aus Schmalkalden oder die Friseurmeisterin Kerstin Düben-Schaumann aus Nordhausen. Diese Abgeordneten scheinen weniger auf die eigene politische Profilierung und Selbstvermarktung zu achten als beispielsweise Daniel Haseloff.

Ideologisch auf Linie

Dennoch wirken auch die Unauffälligen ideologisch auf Linie. Das zeigte sich im Wahlkampf, als etwa der Handwerker Thomas Hoffmann, der im Altenburger Land gewonnen hat, forderte "Schulen, Hochschulen und Berufsbildungszentren von schädlichen Ideologien" zu befreien. Oder als der Erfurter Wahlkreis-Gewinner Marek Erfurth im Jahr 2020 als Stadtrat verlangte, dem Theater Erfurt Mittel zu kürzen. Hintergrund war eine Wort-Collage im Zusammenhang mit einer Lohengrin-Inszenierung, die dem Stadtrat nicht passte.

Insgesamt haben es fünf Erfurter AfD-Stadträte in den neuen Landtag geschafft. Darunter auch der Rechtsanwalt Sascha Schlösser, vor dem im Internet auf mehreren Homepages gewarnt wird. Dort wird er als "Abmahn-Anwalt" bezeichnet. Laut einem Rechtsanwalt aus Schwäbisch Gmünd mahnt Schlösser systematisch Nutzer von bestimmten Bildern ab. Dabei fordere er die "Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie einen Schadensersatzbetrag, der sich aus Anwaltskosten und fiktiven Lizenzgebühren" zusammensetze.

Auf MDR-Anfrage teilt Schlösser dazu mit: "Ich suche mich nicht jeden Tag im Internet und kann keine Aussage zu allen 'kritischen' Aussagen treffen. Das müssen die Kollegen mit ihrem Gewissen ausmachen, wenn diese bei ihrer potentiellen Mandantschaft falsche Erwartungen wecken. Für meinen Geschäftsbetrieb war es stets eher positiv, weshalb ich keinen Grund zum Einschreiten sehe." Gerichte bestätigten sein Vorgehen, schreibt der Fachanwalt für Medien- und Urheberrecht, "seit 20 Jahren in fast allen Fällen".

AfD-Bundestagsabgeordneter spricht von Kandidatentourismus

Immerhin hat Sascha Schlösser sein Landtagsmandat in Erfurt errungen, also dort, wo er lebt. Für die vier weiteren Erfurter Stadträte, die ins Parlament einziehen, gilt das nicht. Die JA-Funktionärin Vivien Rottstedt ist in Schmalkalden-Meiningen angetreten. Der Erfurter Stadtrat und langjährige Landtagsabgeordnete Ringo Mühlmann hat im Saale-Orla-Kreis gewonnen. Der mächtige Co-Landessprecher Stefan Möller kandidierte erfolgreich im Unstrut-Hainich-Kreis. Auch der langjährige Abgeordnete Torben Braga (Jena) hat das Direktkandidat in einem Wahlkreis gewonnen, in dem er nicht lebt. Björn Höcke hingegen scheiterte, obwohl er seinen Wahlkreis im Eichsfeld verließ und in Greiz antrat.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Klaus Stöber aus dem Wartburgkreis hatte vor der Wahl in diesem Zusammenhang wort- und lautstark von einer "Reisegruppe Kandidatentourismus der AfD Thüringen" gesprochen. Stöber bezog sich in seinen sehr kritisch formulierten Wortmeldungen auch auf Robert Teske, den Büroleiter von Björn Höcke, der erfolglos im Kyffhäuserkreis angetreten war. In einem bald wieder gelöschten Facebook-Post, der MDR INVESTIGATIV vorliegt, hatte Stöber sogar kurzzeitig zur Nicht-Wahl von Co-Landessprecher Stefan Möller aufgerufen.

Klaus Stöber (AfD), Mitglied des Deutschen Bundestages, spricht im Plenum des Deutschen Bundestages.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Klaus Stöber

Kandidaten zweitrangig

Darüber hinaus zeigen die Wahlergebnisse: Mancherorts wirkt es, als würden die Wähler vor allem der Partei AfD ihre Stimmen geben. Die konkreten Kandidaten scheinen dabei zweitrangig zu sein. Beispiel Jürgen Treutler, der als Direktkandidat in Sonneberg gewonnen hat: Der Rentner war bisher politisch kaum in Erscheinung getreten. Bekannt wurde er, weil er in Südthüringen bei der vergangenen Bundestagswahl von der AfD gegen den umstrittenen Ex-Verfassungsschützer und CDU-Kandidaten Hans-Georg Maaßen ins Rennen geschickt wurde. Ein anderes Mal wurde über Treutler gesprochen, weil der Sonnberger Landrat, der ebenfalls der AfD angehört, im Landtagswahlkampf zu dessen Wahl aufgerufen hatte. Landräte sind eigentlich zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet.

Oder Stephan Steinbrück, der für die AfD den Gothaer Wahlkreis gewonnen hat. Gegen ihn hat bemerkenswerterweise Matthias Hey den Kürzeren gezogen. Hey, ein politisches Schwergewicht, sitzt seit 2009 für die SPD im Landtag, zuletzt als Fraktionsvorsitzender. Weil Hey auf Platz drei der SPD-Liste für die Landtagswahl stand, kann er ins Parlament einziehen. Das Direktmandat aber ging an den politisch relativ unbekannten Steinbrück. Der 48-Jährige arbeitet als Maschinenbediener in einer Brauerei und ist AfD-Stadt- und Kreisrat. Nach Informationen der "Thüringischen Landeszeitung" aus dem Mai war Steinbrück in diesen Gremien der Mandatsträger, der am häufigsten bei Sitzungen fehlte. Der "Thüringer Allgemeinen" sagte Steinbrück: Sollte er ein Landtagsmandat erringen, werde er viele Dinge neu lernen müssen. Dies werde eine "Riesenaufgabe".

MDR (luke/baw/sar)