Thüringen Fast jeder Dritte glaubt an verdeckte Organisation: TU Ilmenau erforscht Akzeptanz der Energiewende
Wie stehen Menschen zur Energiewende? Die Technische Universität Ilmenau befragt dazu bundesweit Tausende Menschen. Ein Großteil unterstütze den Ausbau der Erneuerbaren. Doch es gibt auch Kritik und Verschwörungsglauben.
Wie es um die Akzeptanz der Energiewende steht, untersucht ein Forschungsteam der Technischen Universität Ilmenau. Die Ergebnisse zeigen: Auch wenn die Mehrheit der Befragten hinter der Nutzung erneuerbarer Energien steht, gibt es große Skepsis in Sachen Energiewende.
Über die Hälfte der Befragten zählt die Energiewende zu den dringendsten Themen unserer Zeit. Allerdings stimmten nur 25 Prozent der Aussage zu, dass Deutschland die Energiewende gut meistern wird. Jeder Zweite ist der Meinung, dass es zukünftig nicht möglich sein wird, ganz ohne fossile Energien auszukommen.
Die Ergebnisse der Befragungen zeigen auch, dass umstrittene Maßnahmen - wie etwa der Bau von Windkraftanlagen oder Stromtrassen - von deutlich mehr Menschen unterstützt als abgelehnt werden. Wenn es allerdings die eigene Region betrifft, sinkt die Zustimmung.
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Umfrageergebnis: Kosten der Energiewende werden nicht gerecht verteilt
Auch wenn viele die Vorteile der Energiewende etwa in Bezug auf Lebensqualität, Naturschutz oder Chancen für die Wirtschaft in der Region sehen, haben einige Zweifel daran. Bei den wahrgenommenen Nachteilen sieht es ähnlich aus: Zwischen 22 und 28 Prozent finden, die Energiewende würde die Gesundheit der Menschen und die Arbeitsplätze in der Region gefährden sowie die Landschaft zerstören.
Ein klareres Bild zeigt sich dagegen bei der Frage, ob die Kosten der Energiewende gerecht verteilt werden. 63 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, die Kosten der Energiewende würden vor allem die "kleinen Leute" tragen. Ein Großteil findet: Politikerinnen und Politiker haben in Sachen Energiewende keine oder wenig Kompetenz.
Auch Ängste und Sorgen würden nicht ernst genommen werden. Die deutliche Mehrheit vertritt zudem die Annahme, dass die Bürger keinen Einfluss auf politische Entscheidungen hätten, die Regierung mit der Situation überfordert sei und dass für die Umsetzung der Energiewende zu wenig getan werde.
Komplexität ebnet Weg für Verschwörungsglauben
46 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, es gebe einflussreiche politische Zirkel, die nur ihre eigenen Interessen mit der Energiewende verfolgen würden. Nur 20 Prozent lehnten diese Aussage ab. Von den etwa 2.700 befragten Menschen waren 37 Prozent der Ansicht, die Energiewende werde durch politische Intrigen gesteuert.
30 Prozent stimmten der Aussage zu, es gebe eine verdeckt arbeitende Organisation, die großen Einfluss auf die Energiewende habe. Nur 31 Prozent hingegen stimmten dagegen. Viele sind zudem der Meinung, es gebe Risiken bei der Energiewende, über die die Öffentlichkeit nie informiert wird. Die Forscherinnen und Forscher schlussfolgern: Ein erheblicher Teil der Befragten vertritt die Vorstellung, dass es sich bei der Energiewende um eine politische Verschwörung handelt.
Die ersten Befragungsergebnisse aus diesem Jahr zeigen laut Jens Wolling, Professor für empirische Medienforschung und politische Kommunikation an der TU, ein ähnliches Bild. Auch wenn in diesem Jahr weniger Menschen diesen Aussagen zugestimmt haben, sind es immerhin noch durchschnittlich etwa 30 Prozent.
Interessant dabei: In allen Einkommensklassen ist die Zustimmung zum Verschwörungsglauben laut Wolling etwa gleich groß. Zudem fielen die Ergebnisse unabhängig von Alter, Geschlecht sowie weitestgehend bildungsunabhängig aus.
Unterschiede ließen sich demnach hingegen vor dem Hintergrund der politischen Einstellung erkennen. Ordneten sich die Befragten eher politisch rechts oder extrem links ein, waren die Zustimmungswerte größer.
Auch wenn die Befragten ein mögliches Bedrohungsszenario infolge der Energiewende, wie etwa den Verlust des Arbeitsplatzes, wahrnahmen, stimmten sie eher den Aussagen zu. Ähnlich verhält es sich laut Wolling mit dem Vertrauen in die Medien, der Nutzung sogenannter "alternativer Medien" oder einer allgemeinen Themenverdrossenheit.
Jens Wolling ist Leiter des Fachgebiets Empirische Medienforschung und Politische Kommunikation an der Technischen Universität Ilmenau.
Überforderung und Krisen als Ursache
Das Thema Energiewende sei ein "riesengroßes und komplexes Thema und überfordere", sagt Wolling. Die Befragung wurde zudem im Juni 2023 durchgeführt - inmitten kontroverser Debatten um das Heizungsgesetz, die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, steigende Preise oder etwa den Atomausstieg. "Das war zu viel. Wie soll man damit zurechtkommen?", fragt Wolling. Die "einfachste Strategie" sei es, zu sagen: "Da ziehen Leute im Hintergrund die Strippen".
Forscher: Probleme sollen offen diskutiert werden
Die durch den Klimawandel notwendige Energiewende wird zentrale Lebensbereiche weitreichend verändern. Gleichzeitig gibt es laut Wolling noch viele offene Fragen - etwa zur technischen Machbarkeit oder zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Kosten.
Hinzukommen globale und regionale Probleme: etwa der problematischer Lithium-Abbau, die Abholzung tropischer Regenwälder für Balsaholz, der Verlust von Ackerland durch PV-Anlagen oder etwa die Gefährdung von Vögeln durch Windräder.
"Diese Probleme sind unbestritten", sagt Wolling. "Dennoch muss man sagen: Im Vergleich zu den Konsequenzen, wenn wir diesen Weg nicht gehen, sind sie gering." Seine Empfehlung: Probleme müssen offen angesprochen und diskutiert werden - sowohl in der Politik, in öffentlichen Debatten, in persönlichen Gesprächen als auch in den Medien. Gleichzeitig sei es notwendig, unbegründetem Misstrauen etwas entgegenzusetzen.
Wissenschaftler setzt auf mehr Transparenz
Die Politik ist laut den Wissenschaftlern gefordert, den notwendigen Rahmen zu schaffen, damit sich die Bevölkerung mehr einbringen kann und eingebunden wird. Das Forschungsteam der TU Ilmenau führt bereits die nächste Befragung durch. Ziel sei es laut Wolling unter anderem auch, mit den Ergebnissen einen konkreten Handlungsleitfaden zu entwickeln.
MDR (wdy/cfr)