Thüringen "Extrem unklug" - Warum die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags nicht schon früher geändert wurde
Am Donnerstag soll der neue Thüringer Landtag einen Landtagspräsidenten wählen. Doch um das Prozedere gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen der AfD und den anderen Fraktionen. Nun wollen CDU und BSW die Geschäftsordnung des Landtags ändern, um Rechtssicherheit zu schaffen. Warum erst jetzt?
Wenn der neue Thüringer Landtag am 26. September zum ersten Mal zusammentritt, ist es seine wichtigste Aufgabe, eine Landtagspräsidentin oder einen Landtagspräsidenten zu wählen. Doch ob das an diesem Tag geschieht, ist ungewiss. Denn die AfD legt die Geschäftsordnung des Landtags, in der das Verfahren geregelt ist, anders aus als die übrigen Fraktionen.
Dabei geht es um die Frage, wer Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl vorschlagen darf. "Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Präsidentin beziehungsweise zum Präsidenten vor", steht in der Geschäftsordnung.
Und: "Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden."
Die AfD interpretiert dies so, dass ausschließlich die stärkste Partei - das ist im neu gewählten Landtag die AfD selbst - Kandidatinnen und Kandidaten vorschlagen darf. Die anderen Parteien sowie die Verwaltung des Landtags interpretieren den Abschnitt dahingehend, dass, wenn die Kandidatin oder der Kandidat der stärksten Fraktion keine Mehrheit findet, auch andere Fraktionen Vorschläge machen dürfen.
BSW und CDU wollen Geschäftsordnung ändern
Um diesen Punkt klar zu regeln, haben CDU und BSW eine Änderung der Tagesordnung beantragt. Sie wollen, bevor die Wahl beginnt, die Geschäftsordnung des Landtags ändern. Bei alldem stellt sich zwangsläufig eine Frage: Warum wurde die Geschäftsordnung des Landtags nicht schon längst geändert?
Denn schon vor Monaten haben Experten und Juristen auf diesen Regelungsspielraum hingewiesen, etwa der Verfassungsblog in seinem "Thüringen-Projekt". Und die Grünen im Landtag wollten bereits im Dezember 2023 diesen Punkt ändern.
Die damalige Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Madeleine Henfling, sagt MDR THÜRINGEN heute: "Damals haben wir zwei Varianten vorgeschlagen, wie man das Vorschlagsrecht zur Wahl regeln kann." Einmal die Variante, nach der es gar kein Vorschlagsrecht gibt und aus der Mitte gewählt wird und "eine abgeschwächte Variante, wo nach dem ersten gescheiterten Wahlgang das Vorschlagsrecht in die Mitte des Hauses übertragen wird."
CDU-BSW-Antrag ist deckungsgleich mit abgelehntem Grünen-Antrag vor einem Dreivierteljahr
Die erste Variante steht nun als Änderungsvorschlag auf der Tagesordnung der konstituierenden Sitzung, eingebracht von BSW und CDU. Sie wollen in der Geschäftsordnung festlegen, dass für die Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten niemand ein Vorschlagsrecht hat und stattdessen alle Fraktionen Kandidatinnen und Kandidaten vorschlagen können. Dabei orientieren sie sich an der der Thüringer Verfassung (Artikel 57): "Der Landtag wählt aus seiner Mitte den Präsidenten."
Die CDU hat das abgelehnt. Das war extrem unklug, wie man jetzt sieht. Madeleine Henfling, Spitzekandidatin der Grünen |
Doch weshalb erlangte derselbe Vorschlag, den die Grünen im Dezember 2023 und danach zur Diskussion stellten, keine Mehrheit? "Die CDU hat das abgelehnt", sagt Henfling. "Das war extrem unklug, wie man ja jetzt sieht." Einer der Hauptgründe dafür sei gewesen, "dass die CDU der Meinung war, sie werden schon stärkste Kraft."
Der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, bestätigt diese Sichtweise nicht. Stattdessen sagte er MDR THÜRINGEN, dass die CDU zu diesem Zeitpunkt keinen dringenden Handlungsbedarf gesehen hätte.
Grünen werfen CDU Blockade rechtzeitiger Klärung vor
"Wir waren generell skeptisch, kurz vor einer Landtagswahl auf offener Bühne diese Regeln zu ändern. Das macht man ja nicht mal aus dem Stegreif, sondern nur, wenn sich wirklich der Handlungsdruck daraufhin fokussiert", sagt Bühl. Das habe sich zum damaligen Zeitpunkt nicht so dargestellt. "Sicherlich kann man jetzt im Nachgang darüber diskutieren."
Henfling hingegen erklärt: "Wenn man das vor einem halben Jahr gemacht hätte, hätte man den Vorteil gehabt, jetzt einfach in aller Ruhe eine konstituierende Sitzung mit einer klaren Regelung durchführen zu können. (...) Wir haben bis ins letzte Plenum hinein versucht, diese Geschäftsordnung noch zu ändern. Da war kein Reinkommen." Es habe über die Blockade der CDU hinaus "eine gewisse Diskussionsmüdigkeit" bei den anderen Parteien gegeben.
Auf einer Pressekonferenz kurz vor der konstituierenden Sitzung sagte Christian Schaft, Fraktionsvorsitzender der Linke, im Landtag dazu: "Man muss konstatieren, dass es in der letzten Legislatur dazu keine Mehrheiten gegeben hat. Das kann man bedauern, aber das ist jetzt ein Stückweit vergossene Milch." Den Geschäftsordnungsantrag von CDU und BSW werde die Linke unterstützen.
Und der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Lutz Liebscher, sagte: "Wir wollten das auch schon deutlich früher regeln, aber dazu ist es nicht gekommen. Jetzt macht das der Landtag halt morgen, ich bin da ganz entspannt." Die SPD stehe "voll" hinter dem Antrag zur Geschäftsordnungsänderung.
Verhalten der AfD verdeutlicht Druck zur Rechtssicherheit
Zurück zur letzten Legislaturperiode: Letztendlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Im März 2023 hatte der Ältestenrat mehrheitlich beschlossen, einem Verfahren zuzustimmen, nach dem nach zwei erfolglosen Wahlgängen für die Kandidatinnen und Kandidaten der stärksten Fraktion alle anderen Fraktionen ebenfalls Wahlvorschläge unterbreiten können.
Die AfD hatte sich bei dieser Abstimmung im Ältestenrat zwar enthalten. Doch: "Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als ob wir eine Klärung erreicht hätten", sagt Bühl. "Dass dieses Chaos jetzt entsteht, liegt ja daran, dass die AfD sich an das beschlossene Verfahren nicht gebunden fühlt."
Der AfD-Kollege sagte, dass er sich ganz und gar nicht (an das Wahlverfahren) gebunden fühlt. Andreas Bühl, ehemaliger Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion |
Bühl erzählt, dass er in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer, die sich Mitte September getroffen hat, explizit die Frage gestellt habe, ob sich die AfD an das Verfahren gebunden fühle. "Daraufhin sagte der AfD-Kollege, dass er sich daran ganz und gar nicht gebunden fühlt." Das habe Bühl den Handlungsdruck deutlich offenbart, "dass wir eine größere Rechtssicherheit ins Verfahren bringen müssen".
Grün: "Gewinnerin ist am Ende die AfD"
Tatsächlich ist ein Beschluss des Ältestenrates nicht bindend. Jedoch berät die Verwaltung auf dieser Grundlage den Alterspräsidenten. "Das hat natürlich eine Bindungswirkung, was diese Beratungsfunktion angeht", sagt Madeleine Henfling. Durch einen Beschluss im Landtag hätte man dieses Dilemma umgehen können.
"Das Thema war so offensichtlich und lag auf der Straße, man hätte es nur aufheben müssen", sagt Henfling. "Die Gewinnerin davon ist am Ende die AfD." Dass Ganze führe dazu, dass die AfD "wieder demokratische Institutionen vorführen kann", so Henfling. "Das ist ärgerlich und unwürdig in Bezug auf unsere Rolle als Abgeordnete."
Spannender Antrag, interessante Debatte, die wir nach der Wahl des Landtagspräsidenten gerne führen können. Torben Braga, Stellvertretender Landesparteichef der AfD |
"Wir haben jetzt diese Änderung eingebracht", sagt Bühl, "wir sehen uns mit dieser Änderung absolut im Recht, das bestätigen verschiedene Seiten", etwa Verfassungsrechtler. Dass dieser Änderungsantrag auf der Tagesordnung der konstituierenden Sitzung steht, eröffnet allerdings neue Streitfragen. Etwa ob die Geschäftsordnung überhaupt geändert werden kann, bevor eine Präsidentin oder ein Präsident gewählt sind.
Torben Braga, stellvertretender Landesparteichef der AfD, sagte dazu auf der Pressekonferenz: "Spannender Antrag, interessante Debatte, die wir nach der Wahl des Landtagspräsidenten gerne führen können." Aber eben erst nach der Wahl.
Die Geschäftsordnung sieht laut Braga eine klare Abfolge der Tagesordnung vor. "Der Alterspräsident stellt die Beschlussfähigkeit fest und führt die Wahl des Landtagspräsidenten durch. Und zwar in dieser Reihenfolge. Es gibt keine Klausel, dass eine Diskussion über die Geschäftsordnung oder Verfahrensfragen über die Wahl des Präsidenten dem vorgelagert werden könnten." "Das hätte man alles verhindern können", sagt Madeleine Henfling.
MDR (ost)