Außenaufnahme vom Workshop-Büro der Partnerschaft für Demokratie

Thüringen "Hätte ich mal etwas gesagt": Workshop zeigt, wie man Rassismus im Alltag kontert

Stand: 17.09.2024 12:05 Uhr

Beim Familientreffen fällt ein vermeintlicher Witz, im Freibad macht jemand eine Bemerkung wie: "Hier spricht ja keiner mehr Deutsch." Rassistische Äußerungen lieber überhören oder reagieren? Wie geht man am besten damit um? In Saalfeld gab es dazu einen Workshop.

Von Stefanie Reinhardt, MDR THÜRINGEN

Es ist eine Situation, die Wiebke Eltze in Berlin erlebt hat. Sie könnte so oder so ähnlich aber auch an einer Bushaltestelle in Thüringen passiert sein: An der Haltestelle wartet eine Frau mit Kopftuch auf den Bus, sie ist schwanger, ihr Bauch ist nicht zu übersehen. Ein Paar neben ihr unterhält sich laut und es fallen die Sätze: "Hier spricht ja keiner mehr Deutsch. Schon wieder eine schwanger. Bestimmt das sechste Kind, um Sozialhilfe abzukassieren."

Referentin: Rassistische Kommentare kommen häufiger vor

Situationen wie diese, in denen sich andere Menschen rassistisch äußern, haben die rund 20 Teilnehmenden des Workshops von Wiebke Eltze schon öfter erlebt. Ob im Freibad, bei der Familienfeier, in der Schule oder unter Jugendlichen - rassistische Kommentare kämen im Alltag immer öfter vor, sagt die Trainerin. Wiebke Eltze kommt aus Berlin, ist Politikwissenschaftlerin und seit zehn Jahren als Referentin zu dem Thema unterwegs.

Porträtfoto von Wiebke Eltze

Wiebke Eltze ist Referentin rund ums Thema Rassismus.

"Das hat zugenommen. Was früher nur bei rechtsradikalen Stammtischen ausgesprochen wurde, hat sich im Alltag normalisiert." Das könnten auch die Mitarbeitenden der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt bestätigen. Immer öfter würden sie mit rassistischen Äußerungen konfrontiert, sagt Aurelia Rohrmann, die ein Projekt zu demokratiefeindlichen Bestrebungen leitet. Auch die Sorge, dass rassistische Äußerungen nach der Landtagswahl öfter vorkommen könnten, war da.

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Als erstes den Schreck überwinden

Vor allem Sozialarbeiter, Pädagogen und Mitarbeiter aus der Jugendbildung sind der Einladung zum Workshop gefolgt. Sie alle wollen anonym in diesem Text auftreten, der Workshop soll ein geschützter Raum sein. "Ich erlebe, dass im öffentlichen Raum immer häufiger Begriffe benutzt werden, mit denen Menschen abgewertet werden", sagt ein Teilnehmer.

"Alltagsrassismus ist da", meint eine Teilnehmerin. Sie erlebt ihn zum Beispiel bei Projekten mit jugendlichen Migranten. Andere Teilnehmer haben nach eigenen Worten rassistische Aussagen an Schulen erlebt, unter Schülern, aber auch bei Lehrern. Die Teilnehmer wollen mit solchen Situationen richtig umgehen - und nicht überrascht und sprachlos dastehen.

Einige Sätze als Reaktion parat haben

"Man rechnet nicht damit und hat dann später häufig den Gedanken: Hätte ich mal etwas gesagt", sagt Wiebke Eltze. Wie man richtig reagiert, komme auf die Situation an. "Ein Patentrezept gibt es nicht. Jeder muss für sich die passende Reaktion finden", sagt sie. Aber es gebe Strategien, die Schrecksekunden zu überwinden. Sie empfiehlt, zwei bis drei Sätze parat zu haben. Zum Beispiel:

  • Ich möchte nicht, dass so über Menschen gesprochen wird.
  • Diese Aussage verletzt Menschen in ihrer Würde.
  • Ich kann deine Angst verstehen, aber ich erlebe das anders.
  • Was willst du damit sagen? Kannst du das belegen?

Die Sätze könnten dann in einer Schrecksituation aus dem Gedächtnis hervorgezogen werden. Aber auch mit Nachfragen und Gegenfragen wie "Wie meinst Du das?", "Habe ich das gerade richtig verstanden?" oder mit Humor könne man kontern.

Bushaltenstelle in Saalfelder Innenstadt

An Haltestellen wie dieser in Saalfeld kann es zu rassistischen Situationen kommen.

Einfach Muster hinter rassistischer Rhetorik

Außerdem stecke hinter rassistischen Äußerungen meistens eine einfache Logik. Wer diese erkennt, sei klar im Vorteil, wenn es darum geht, richtig zu reagieren. Die Referentin erklärt: "Als Grundstruktur erkennt man oft, dass mit 'die' und 'wir' gearbeitet wird."

Zum Beispiel: "Die kriegen alle immer mehr Geld und wir immer weniger" oder "Die haben alle teure Handys." In dieser Logik seien "die" meistens die Sündenböcke, und komplexe Sachverhalte vereinfacht dargestellt, so die Trainerin.

Das sei auch ein Zeichen unserer Zeit, die vor komplexen Problemen und Herausforderungen stehe, die nicht leicht zu erklären seien. "Es ist eine Herangehensweise, der sich auch Rechtspopulisten bedienen, die für diese komplexen Problemen vermeintlich einfache Lösungen bietet."

Rechtspopulisten würden außerdem mit Provokationen und Tabubrüchen arbeiten. "Später nehmen sie alles wieder zurück und behaupten, das Gesagte sei aus dem Kontext gerissen worden", sagt die Politikwissenschaftlerin.

Unterscheiden: Personen oder ihre Aussagen ablehnen

Oft würden hinter rassistischen Äußerungen auch Unsicherheiten und Ängste stecken, zum Beispiel die Angst vor Armut oder davor, nicht mehr alles sagen zu können, was man möchte - wie im Fall des Genderns.

Eltze rät dann dazu, die Ängste und Probleme anzuerkennen, aber nicht von oben herab zu reagieren. "Menschen möchten gesehen und gehört werden", sagt sie. "Man kann dann deutlich machen, dass man die Aussagen ablehnt, aber nicht die Person." Nicht immer müsse man in eine lange Diskussion einsteigen, auch sich mit einem Satz kurz zu positionieren reiche aus.

Rollenspiel: "Der Böse zu sein, ist leichter"

Während des Workshops schlüpfen die Teilnehmenden auch in die Rolle des verbalen Angreifers, der provoziert und diskriminiert. Schnell ist klar: "Der Böse zu sein, ist leichter. Der Gute zu sein deutlich schwieriger", meint ein Teilnehmer. Der, der die Äußerung ausspricht, scheint immer einen Schritt voraus zu sein.

Mit diesem Wissen fühlen sich die Teilnehmenden am Ende des Workshops selbstbewusster. "Was ich mitnehme, ist ein Rucksack mit alltäglichen Formulierungen, die man durchaus üben kann", sagt eine Teilnehmerin. Und mit denen man nicht mehr wortlos dasteht.

MDR (ost)