Ein Mann sitzt zwischen zwei Frauen vor einer Klasse im Sachsenwaldgymnasium in Reinbek.

Schleswig-Holstein Hand in Hand: Wie psychische Erkrankungen in die Einsamkeit führen können

Stand: 10.12.2024 05:00 Uhr

Rund 320.000 Schleswig-Holsteiner litten im Jahr 2022 an Depressionen. Das sind knapp 12 Prozent der Bevölkerung. Nach wie vor steckt das Thema in der Tabuzone. Das Projekt "Verrückt? Na und!" will helfen.

Von Christiane Stauss

"Ich habe zwei Diagnosen von psychischen Erkrankungen. Einmal eine bipolare Störung und dann bin ich seit vier Jahren trockener Alkoholiker." Nachdem Michael Biesel diese Sätze ausgesprochen hat, herrscht erst einmal Schweigen im Klassenraum der Klasse 10d des Sachsenwaldgymnasiums in Reinbek, Kreis Stormarn. 30 Augenpaare sind auf den 61-Jährigen gerichtet. Er ist heute quasi das "Anschauungsobjekt" eines ganz besonderen Projekts: "Verrückt? Na und!"

Erfahren, selbst earbeiten, vortragen

Die Schüler machen hier gemeinsam mit Biesel und Sozialpädagoginnen einen Workshop. Ziel ist es, sie für das Thema "psychische Krankheiten" zu sensibilisieren. Sie erarbeiten in Gruppen verschiedene Aspekte zu dem Thema und präsentieren diese dann. "Am Ende erzähle ich meine persönliche Lebensgeschichte", erklärt der 61-Jährige. Und seine Geschichte, die fängt schon in seiner Jugend an. Also in einem Alter, in dem die Schüler, die ihm heute zuhören, auch gerade sind.

"Meine depressiven Phasen sind am stärksten"

"Ich fand Alkohol schon recht früh cool", sagt Biesel. Also als Teenager. Der Alkohol habe sein kaum vorhandenes Selbstwertgefühl gesteigert. Dann schlich sich über die Jahre eine bipolare Störung ein, die sich manifestierte und nach Jahren als solche erkannt wurde. Früher hieß diese Krankheit "manisch-depressiv". Bei Michael sind die depressiven Phasen am ausgeprägtesten.

Schüler der Klasse 10d des Sachsenwaldgymnasiums in Reinbek sitzen im Kreis im Klassenraum bei einem Workshop.

Michael Biesel erzählt einer Schulklasse von seinem Leben mit Depressionen.

Die Folgen: Einsamkeit und Isolation

"In den schweren Phasen meiner Depression spielte Einsamkeit auf jeden Fall eine sehr große Rolle", erzählt Biesel. Er konnte sich fast nie aufraffen, Freunde oder Familie anzurufen. Das Haus zu verlassen sei kaum machbar gewesen. Sein Umfeld habe sich zum Teil von ihm abgewandt. "Weil sie einfach auch nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten", sagt er. Und so rutschte er in eine Isolation.

Was können Auslöser für psychische Krankheiten sein?

Über all das sprechen die Jugendlichen heute. Attilio und Sofia etwa sitzen vor einem großen, braunen Papier, auf das die Umrisse eines Menschen gemalt sind. "Unsere Aufgabe ist es jetzt, außen um den Menschen die Auslöser aufzuschreiben, warum jemand eine psychische Krankheit bekommen kann", erklärt der Schüler. Stress zu Beispiel. "Innen in den Menschen schreiben wir dann die Warnsignale, die der Mensch an seine Familie oder Freunde gibt, um zu zeigen, dass es ihm nicht gut geht."

Unterstützung von der Bürgerstiftung Stormarn

Dass hier heute so offen über Depressionen gesprochen und aufgeklärt werden kann, macht die Bürgerstiftung Stormarn möglich. Sie finanziert das Projekt "Verrückt? Na und!" zu Teilen, wie Ursula Pepper von der Stiftung erklärt. "Unser großes Ziel ist es, die Krankheit zu entstigmatisieren." Denn die erkrankten Menschen ziehen sich in ihren akuten Phasen zurück, schaffen es oftmals langfristig nicht, wieder Anschluss zu finden. Über das Projekt klären sie auf, damit Betroffene einen Lichtblick haben und erfahren: "Wir gehören zur Gemeinschaft dazu!"

Ein positives Fazit: Wir haben viel gelernt

Knapp fünf Stunden beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler heute mit Depressionen, deren Auslösern, deren Auswirkungen und damit, wie man Betroffenen helfen kann. Am Ende sind sie beeindruckt. "Ich finde es so mutig, dass Michael hier heute seine Geschichte erzählt hat und wir ihn alles fragen konnten. Wer nicht über seine Probleme redet und sich Hilfe sucht, der wird bestimmt irgendwann auch einsam", meint Leonie. Und Sofia ergänzt, dass sie ganz ergriffen sei: "Ich selbst kenne das auch, wenn es einem psychisch nicht gut geht", sagt sie. Sie habe viel aus dem Tag heute gelernt.

Ohne die finanzielle Unterstützung der Bürgerstiftung Stormarn wäre "Verrückt? Na und!" nicht möglich. Dabei ist Aufklärung der beste Weg raus aus der Stigmatisierung und der Einsamkeit.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 10.12.2024 | 19:30 Uhr