Schleswig-Holstein Forschung in Kiel: Wie Seegräser gegen multiresistente Keime helfen können
Ein Projekt am Kieler Geomar erforscht das Mikrobiom von Seegräsern. Im Blick haben die Forschenden dessen antibiotische Wirkung. Sie verringert die Zahl der Krankheitserreger im Wasser.
Deniz Tasdemir sitzt in ihrem Labor im Kieler Geomar am Arbeitstisch. Vor ihr steht eine Schale mit Seegräsern, die aus der Kieler Förde stammen. Sie nimmt einzelne davon heraus und schneidet mit einer Schere Stücke davon ab. Die Professorin für Marine Naturstoffchemie leitet am Kieler Geomar ein Forschungsprojekt, das das Mikrobiom von Seegräsern auf antibiotisches Potenzial untersucht. "Wir haben herausgefunden, dass manche Mikroorganismen, die auf der Blattoberfläche von Seegräsern leben, die Wirksamkeit kommerzieller Antibiotika sogar übertreffen", sagt Tasdemir.
Seegräser können Krankheitserreger im Wasser reduzieren
Mikrobiome sind die Gesamtheit von Mikroorganismen, die Menschen, Tiere oder Pflanzen besiedeln - darunter Pilze, Bakterien und Viren. Sie üben im Zusammenspiel eine schützende Wirkung gegen Krankheiten aus, so wie zum Beispiel auch das gesunde Darm-Mikrobiom beim Menschen. Bereits 2017 hatte ein internationales Forschungsteam nachgewiesen, dass in der Nähe von indonesischen Seegraswiesen die Anzahl von Krankheitserregern, die für Menschen und Meerestiere gefährlich werden können, im Wasser deutlich geringer ausfiel als in Meeresgebieten ohne Seegraswiesen.
Forscher vom Geomar wollen neue Naturstoffe entdecken
Für Deniz Tasdemir und ihr Team geht es nun darum, diesen Effekt zu verstehen. "Unser Hauptziel ist es neue Moleküle zu entdecken, die sehr hohe antibiotische Wirkung zeigen", sagt die Professorin. Sie nimmt mit einem Wattestäbchen Mikroorganismen von Oberfläche eines Seegrasblattes auf, um sie anschließend in eine Petrischale mit einer Nährlösung zu streichen. "Nach einigen Tagen sind die Mikroorganismen darin für uns sichtbar gewachsen und wir können sie separieren", erklärt Tasdemir.
Seegraswiesen: Hoher ökologischer Nutzen
Seegraswiesen sind ökologisch gesehen echte Schwergewichte: Sie dienen Meeresbewohnern wie Fischen, Muscheln, Krebsen und Co. als Schutz- und Laichraum, schützen Küsten vor Erosion und speichern obendrein noch Kohlendioxid. Die antibiotische Wirkung von Seegraswiesen auf Erreger im Wasser könnte im Zuge des Klimawandels zum Beispiel auch im Kampf gegen Vibrionen immer wichtiger werden. "Da sich Vibrionen vor allem bei Temperaturen oberhalb von 20 Grad Celsius vermehren, kann im Falle eines generellen Temperaturanstiegs auch mit einem vermehrten Vorkommen gerechnet werden", sagt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.
Prof. Deniz Tasdemir untersucht am Geomar das antibiotische Potenzial von Seegräsern.
Natürliches Reinigungssystem
Infektionen mit Vibrionen können für Menschen mit Immunschwäche oder Verletzungen der Haut gefährlich werden und im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen. Symptome sind unter anderem Fieber, Schüttelfrost und Sepsis. Im aktuellen Jahr gab es in Schleswig-Holstein laut Institut für Medizinische Mikrobiologie fünf gemeldete Fälle, tödlich verlief davon keiner.
Für Deniz Tasdemir ist es keine Frage, wie wichtig gesunde Seegraswiesen und ihre Vermehrung sind. "Mit ihnen haben wir ein natürliches Reinigungssystem, die Seegräser machen ihren Job ganz allein. Das wäre gut für die Ökosysteme an den Küsten, für die menschliche Gesundheit, nachhaltige Aquakulturen, und es wäre auch nachhaltig für den Tourismus", erklärt sie.
Bestand von Seegraswiesen nimmt ab
Zurzeit nimmt der Bestand der Seegraswiesen nicht nur in Schleswig-Holstein ab. Ein Grund ist laut Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) der hohe Eintrag von Nährstoffen ins Meer durch die Landwirtschaft. Bereits in den vergangenen Jahren gab es in Schleswig-Holstein einige kleinere Projekte zur Neupflanzung von Seegraswiesen. Im kommenden Jahr wollen verschiedene Organisationen, begleitet vom Geomar, weitere Flächen mit Seegras bepflanzen. Laut dem Kieler Institut laufen derzeit die Genehmigungsverfahren dafür.
Potenzial für die Entwicklung von Medikamenten
Das Geomar-Team um Deniz Tasdemir hat im Rahmen seines Forschungsprojekts 90 der zuvor kultivierten Viren und Pilze zu Extrakten verarbeitet und auf ihre antibiotische Wirkung untersucht. Diejenigen Naturstoffe, die sich als wirksam gezeigt haben, wollen die Wissenschaftler nun weiter analysieren. "Wir wissen, dass in ihnen so viele unbekannte Antibiotika stecken. Wir wollen sie charakterisieren und mit ihnen Medikamente entwickeln, vor allem gegen multiresistente Krankenhauskeime." Bis das Wirklichkeit werden könnte, räumt die Professorin ein, könne es aber noch Jahre dauern.
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NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 15.12.2024 | 19:30 Uhr