Niedersachsen Hand in Hand: Forscher über Einsamkeit und ihre Gefahren
Einsamkeit erleben viele Menschen. Und oftmals kann sie negative Folgen haben: für die Gesundheit der Betroffenen und sogar für die Demokratie, sagt Einsamkeitsforscher Martin Gibson-Kunze im NDR Interview.
Martin Gibson-Kunze ist Einsamkeitsforscher im Kompetenznetz Einsamkeit des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main. Er ist außerdem Co-Autor des Einsamkeitsbarometers. Diese Studie beschäftigt sich damit, wer von Einsamkeit betroffen ist, welche Auswirkungen es gibt und wie Menschen geholfen werden kann, aus der Einsamkeit wieder herauszufinden.
Herr Gibson-Kunze, was ist Einsamkeit?
Martin Gibson-Kunze: Einsamkeit ist ein Gefühl. Es ist keine Krankheit, kann aber krank machen. Sie begegnet uns im Lebenslauf an verschiedenen Stellen: Wohnortwechsel, Jobwechsel, die Schule ist zu Ende, ich beginne eine Lehre an einem neuem Standort, gehe wegen des Berufes oder auch der Liebe wegen an einen neuen Ort - und finde dort keine Anbindung.
Wann wird Einsamkeit problematisch?
Auch ein voller Terminkalender schütze nicht vor Einsamkeit, sagt der Forscher Martin Gibson-Kunze.
Gibson-Kunze: Einsamkeit betrifft tatsächlich jeden von uns. Es ist etwas, was wir alle erfahren, problematisch ist es dann, wenn dieser Zustand länger anhält. Wir gehen aber auch davon aus, dass Einsamkeit per se auch erst mal nichts Schlimmes ist. Einsamkeit ist quasi einfach nur erst mal ein Signal von unserem Körper, vergleichbar mit Hunger oder Durst, wieder in Verbindung zu Menschen zu treten. Problematisch wird es dann, wenn wir auf dieses Signal nicht adäquat reagieren können, es nicht schaffen, diesem ersten Impuls zu folgen, wieder in Kontakt mit anderen zu treten. Dann hat das Auswirkungen auf mein Denken, dann laufen gewissen Prozesse ab.
Welche Prozesse sind das?
Gibson-Kunze: Einsamkeit ist ein sozialer Stress. Sie adressiert im Hirn die gleichen Areale, wie auch physischer Schmerz. Diese Stresshormone, die dadurch abgesondert werden, führen dazu, dass ich soziale Interaktionen eher kritisch wahrnehme und misstrauisch werde gegenüber meinen Mitmenschen. Im Übrigen finden wir im Einsamkeitsbarometer auch sehr deutliche Zeichen, dass Einsamkeit mit einem geringeren Vertrauen in die Institutionen der Demokratie einhergeht: In Parteien, in Politiker und Politikerinnen, in die Polizei.
Gibt es Menschen, die mehr von Einsamkeit betroffen sind als andere?
Gibson-Kunze: Im Einsamkeitsbarometer erfassen wir Einsamkeit seit 1992. Mit der Corona Pandemie hat sich erstmals die Altersgruppe umgedreht. Bis dahin waren es die Personen ab 75, die vor allem betroffen waren und mit der Corona-Pandemie sind es vor allem junge Erwachsene, Familien, Alleinerziehende, die stark betroffen sind. Ein Risikofaktor ist ganz klar auch Armut. Über Armut wird gesellschaftliche Teilhabe relevant: Das ist die Frage, wie viel Geld habe ich zur Verfügung, um mit meinen Freunden ins Café, Kino oder Theater zu gehen.
Warum trifft Einsamkeit auch berühmte Menschen, sogar Stars?
Gibson-Kunze: Ich kann einsam sein unter vielen Menschen. Ein voller Terminkalender schützt nicht vor Einsamkeit. Das gilt besonders für junge Menschen - auch durch digitale Medien, wo soziale Beziehungen rund um die Uhr verfügbar sind. Wenn es aber nicht die Beziehungen sind, die ich brauche, fühle ich mich deswegen einsam. Das wird noch dadurch verstärkt, dass ein 'Ideal' von Freundschaften verbreitet wird, das ich persönlich gar nicht habe oder haben kann. Und das suggeriert: Ein erfolgreiches Leben hat einen großen Freundeskreis, der viel unternimmt, enge Freunde. Aber tatsächlich finden das die wenigsten Leute.
Warum fällt es Menschen schwer, zuzugeben, dass sie einsam sind?
Gibson-Kunze: Einsamkeit ist stark tabuisiert, gilt als ein Stigma. Es fällt Menschen sehr schwer, zuzugeben, dass sie einsam sind. Wenn man sagt, dass ein erfolgreiches Leben mit glücklichen Beziehungen einhergeht, ich mich aber einsam fühle, dann heißt das ja, dass ich nicht fähig bin, diese glücklichen Beziehungen zu führen und vielleicht auch keinen großen Freundeskreis habe, der mich erfüllt. Aus der Psychotherapie wissen wir, dass Menschen auch eher über Depressionen sprechen, als über Einsamkeit.
Was kann man gegen diese Scham vor Einsamkeit tun?
Für uns als Kompetenznetzwerk Einsamkeit ist es eine wichtige Aufgabe, dieses Thema aus der Tabuzone zu holen. Wir müssen darüber sprechen, in der Familie, auf der Arbeit, im Studium. Dass ich äußern kann, dass ich einsam bin und es dann auch die entsprechenden Stellen gibt, wo man Hilfe finden kann.
Wie kann das Einsamkeitsbarometer da helfen?
Gibson-Kunze: Wir wissen, dass Einsamkeit mit vielen negativen Folgen verbunden ist. Aber wir wissen viel zu wenig drüber, wer betroffen ist, wie sich das konkret auswirkt und vor allem, wie wir Menschen helfen können, aus der Einsamkeit wieder herauszufinden. Ziel des Einsamkeitsbarometers ist es, das Wissen um das Thema Einsamkeit zu verbessern.
Das Interview führte Nadja Babalola, NDR.de.