Brandenburg Berlin Resilienzforscher: "Jeder Mensch hat Faktoren und Kräfte in sich, die ihn resilient machen"
Resilienz ist die Fähigkeit, Krisen gesund zu bewältigen. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist der Begriff omnipräsent. Im Interview spricht der Psychiater Klaus Lieb über innere Widerstandskraft - und wie man sie trainieren kann.
rbb|24: Hallo Herr Lieb, liegt es an der Resilienzfähigkeit, dass Menschen gut durch die Corona-Krise kamen?
Klaus Lieb: Ja. Resilienz ist die Widerstandsfähigkeit, also die Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit trotz belastender Ereignisse. Die Corona-Pandemie war für die gesamte Bevölkerung ein massiver Stressfaktor. Da haben wir gesehen, dass ein sehr großer Teil der Menschen gut damit zurechtgekommen ist. Mehr als zwei Drittel der Menschen konnten ihre psychische Gesundheit aufrechterhalten oder sehr schnell zurückgewinnen. Das bezeichnen wir als Resilienz.
Sie selbst sind dann vermutlich ein resilienter Mensch, denn Sie haben den Fokus Ihrer Antwort auf das halbvolle Glas gelegt - und nicht auf das eine Drittel der Menschen, die psychisch nicht gut durch die Corona-Pandemie kamen.
Genau darum geht es. Den Blick auf das Positive – auch im Rahmen von Stressfaktoren oder belastenden Ereignissen – zu richten. Das sehen zu können, ist ein wesentlicher und wichtiger Resilienzfaktor. Menschen, die das Glas halb voll sehen, tun sich leichter mit der Bewältigung von Krisen. Das sind die Menschen, die dann auch aktiv an die Problemlösung schwieriger Situationen herangehen. Sie betreiben, wie wir hier sagen, aktives Coping. Sie ziehe sich nicht zurück und verharren in schlechtem psychischem Zustand, sondern sie versuchen, das Problem zu lösen und Veränderungen herbeizuführen.
Woran erkennt man einen resilienten Menschen noch?
Resilienz ist der Outcome – also das, was am Ende nach einer belastenden Situation rauskommt. Man bezeichnet Menschen grundsätzlich als resilient, wenn sie nach einer belastenden Situation ihre psychische Gesundheit aufrechterhalten oder eben sehr schnell zurückgewinnen. Es ist ganz normal, wenn während kritischer Lebensereignisse wie beispielsweise Schwierigkeiten in der Partnerschaft, einer Trennung oder sogar dem Verlust eines nahen Angehörigen psychische Belastungsreaktionen auftreten. Wenn diese sich dann aber sehr schnell zurückbilden und die Menschen wieder stabil sind, spricht man von Resilienz.
Ist Resilienz-Therapie jetzt - nach vor einigen Jahren NLP - das nächste große Ding? Das Schlagwort ist überall anzutreffen.
Resilienz ist tatsächlich in aller Munde. Wir Wissenschaftler im Leibniz-Institut für Resilienzforschung erforschen, was da im Gehirn passiert. Also was hinter der Resilienz steht. Wir forschen also zu den Ursachen. Und das ist sehr komplex. Gleichzeitig ist die Resilienz auch etwas, was als "ordinary magic" (gewöhnliche Magie) bezeichnet wird, also als etwas, das Menschen als Fähigkeit innewohnt. Die Menschheit ist evolutionär immer wieder mit Krisen und Belastungen konfrontiert worden. Da war es ein Überlebensvorteil, resilient zu sein. Insofern hat jeder Mensch Faktoren und Kräfte in sich, die ihn resilient machen. Menschen können diese in der Regel selbst wecken und trainieren. Dafür muss man nicht unbedingt einen Psychologen aufsuchen.
Die Menschheit ist evolutionär immer wieder mit Krisen und Belastungen konfrontiert worden. Da war es ein Überlebensvorteil, resilient zu sein
Wie geht das als Do-it-Yourself-Maßnahme?
Einmal gibt es ein Basis-Set an Faktoren, die Menschen in Stress-Zeiten gesundhalten. Sie ähneln den Dingen, die das Herz gesundhalten. Man kann also Herz und Psyche gleichzeitig stabilisieren und gesund halten. Beispielsweise durch regelmäßige Bewegung, guten Schlaf, gesunde Ernährung. Es hilft auch, abwechslungsreiche Tätigkeiten zu haben und sich dabei selbst herauszufordern. Stress-Situationen sollte man als Herausforderung sehen. Ein wichtiger Faktor ist auch, weniger Alkohol zu trinken. Denn Alkohol und Drogen führen dazu, dass Menschen weniger stressresilient sind.
Dann gibt es noch zusätzliche Faktoren, aber nicht den einen, von denen wir wissen, dass sie mit Resilienz assoziiert sind. Dazu gehört, für ein gutes, stabiles soziales Umfeld zu sorgen. Menschen die mehr soziale Kontakte haben, sind resilienter in Krisensituationen. Kognitiv flexible Menschen, die also auch das Positive im Negativen sehen können, ebenso. Wer vorher schon Krisen und Belastungssituationen überwunden hat, und somit gelernt hat, damit umzugehen, ist ebenfalls resilienter. Wir glauben, dass jede Resilienz in jedem einzelnen Menschen anders ist, und sie sich aus verschiedenen Faktoren und Netzen zusammensetzt. Die gilt es aufrechtzuerhalten. Dazu möchte ich die Menschen auch ermuntern.
Dazu braucht man nicht zwangsläufig einen Trainer. Man kann sich viel anlesen, es gibt auch gute Bücher.
Es ist auch vielfach zu lesen, eine gute frühe Kindheit sorge für mehr Resilienz. Ist das so? Und was ist dann mit den Menschen, deren frühe Kindheit alles andere als optimal verlaufen ist?
Wir gehen nicht davon aus, dass die Resilienz zu einem großen Teil angeboren ist. Sondern vermutlich spielen genetische, also Anlagefaktoren, eine deutlich untergeordnete Rolle. Lernfaktoren und Erfahrungen in der Kindheit, der Jugendzeit und dem jungen Erwachsenenalter sind sehr wichtig für die spätere Resilienz. Interessant ist, dass eine schwierige Kindheit bis hin zu Traumatisierungen und Gewalterfahrungen einerseits dazu führen können, dass Menschen weniger resilient sind. Andererseits kann eine belastende Kindheit auch Kräfte wecken. Wir sehen gleichzeitig, dass viele dieser Menschen sehr resilient sind. Sie haben in dieser Zeit vielleicht sogar gelernt, mit Krisen und Stress-Situationen umzugehen. Sie haben also ihren Weg gefunden.
Wie ist es insgesamt mit Kindern und Resilienz – gelten für sie dieselben Annahmen und Regeln wie für Erwachsene?
Grundsätzlich schon. Aber Kinder haben oftmals weniger als Erwachsene die Möglichkeit, auf bestimmte kognitive Fähigkeiten zurückzugreifen. Sie können teils auch weniger gut Zukunftsperspektiven und langfristige Ziele für sich in Anspruch nehmen. Aber insgesamt sind die Faktoren ähnlich.
Wenn jetzt jemand doch mit professioneller Hilfe seine Resilienz stärken möchte, wird er auf der Suche nach einem Trainer oder Therapeuten quasi zugeschüttet mit Annoncen im Netz. Wie findet man da seriöse Angebote?
Wir selbst schauen, dass die Angebote, die wir am Leibniz-Institut für Resilienzforschung anbieten, wissenschaftlich basiert sind. Das ist für jemand Außenstehenden bei den vielen Angeboten im Netz nicht ganz einfach. Ich würde raten, sich die Qualifizierung des Trainers anzuschauen. Wenn dieser beispielsweise Psychologie studiert hat und eine entsprechende Qualifikation aufweist, ist das sicher ein Hinweis darauf, dass ein Training fundierter angeboten wird. Das muss aber auch nicht immer zutreffen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
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