Regisseur Volker Schlöndorff im November 2024 im Interview. (Quelle: rbb)

Brandenburg Berlin Regisseur Volker Schlöndorff: "Über den Krieg im Libanon zu sprechen, ist schon immer schwierig gewesen"

Stand: 05.11.2024 14:03 Uhr

Im Libanon herrscht Krieg - auch in Beirut. Regisseur Volker Schlöndorff kennt die Stadt aus den 80er Jahren, als er im Bürgerkrieg "Die Fälschung" drehte. Im Interview spricht er über seine Beziehung zu dem Ort - und sich wiederholender Geschichte.

rbb: Herr Schlöndorff, wann waren Sie das letzte Mal im Libanon?
 
Volker Schlöndorff: Im Libanon war ich zuletzt gestern Abend, als ich die Nachrichten gesehen hab. Wenn man einmal da war, versetzt man sich sofort wieder in die Lage. Physisch war ich zuletzt vor fünf Jahren dort, also im September 2019.
 
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder aus Beirut sehen?
 
Das erste ist Empörung. Es gibt eine innere Stimme, die sagt: 'Das darf doch nicht wahr sein, dass das jetzt wieder anfängt.'
 
Der Libanon hatte seinen eigenen Krieg, angefangen in den 1970er Jahren. Der hat ungefähr bis 1981/82 gedauert - bis zur ersten Invasion der Israelis. Ungefähr 20 Jahre später sind die abgezogen. Und man dachte: Jetzt ist hier Frieden. Und 20 Jahre später geht der Krieg wieder los. Und es sind immer die gleichen Stadtteile, die bombardiert werden.

Ist es schwieriger geworden, über diesen Konflikt zu sprechen? Oder war es schon früher schwierig?
 
Über den Krieg im Libanon zu sprechen, ist schon immer schwierig gewesen. Damals, als wir den Film gemacht haben, wollten die Leute immer wissen: Welche sind denn die Guten und welche sind die Bösen? Es gab damals ein Dutzend Kriegsparteien, wie so oft im Bürgerkrieg. Man konnte nicht sagen, es sind die Christen oder es sind die Moslems oder es sind die Palästinenser oder es sind die Libanesen. Deshalb ist es sehr schwer, darüber zu sprechen, weil kaum spricht man über die einen, sind die anderen beleidigt und man kann es natürlich nie allen recht tun.
 
Und heute?
 
Heute ist es noch viel unmöglicher, darüber zu sprechen. Denn klar ist, dass die Hisbollah Israel beschossen und angegriffen hat. Die Frage ist dann immer die der Verhältnismäßigkeit des Gegenschlags. Es ist ein vermintes Gelände. Wenn man sich nur um zehn Prozent falsch ausdrückt, dann ist man sofort entweder Antisemit - oder Sie sind ein Feigling, weil Sie es nicht wagen, eine Meinung zu haben und sich zu empören. Das Gespräch darüber ist vollkommen vergiftet.

Bevor Ihr Film "Die Fälschung" im Jahr 1981 erschien, haben Sie mit der Verfilmung des Romans “Die Blechtrommel” einen Oscar gewonnen. Sie hätten auch nach Hollywood gehen können. Warum haben Sie sich dagegen entschieden?
 
Die Blechtrommel war ein sehr europäischer Film. Und wenn man erkennt: Man kann eine europäische Geschichte so erzählen, dass man damit sogar einen Oscar gewinnt und auf den Weltmarkt kommt, dann brauche ich ja die Angebote aus Hollywood nicht mehr. Ich kann jetzt erst recht meine eigene Sache machen.
 
Und die eigene Sache war, dass just in diesem Jahr Nicolas Born gestorben ist. Ich habe sein Buch "Die Fälschung" gelesen und habe gedacht: Das ist doch das Thema, das man machen muss. Dann kommen wir raus aus der Bundesrepublik, beziehen die Dritte Welt mit ein, aber sprechen doch von uns. Denn die Hauptperson ist ja ein deutscher Journalist und man hat sofort die Verbindung zwischen Beirut und Berlin.

Man konnte praktisch alles machen. Man musste sich nur in der Straße oder in dem Stadtteil, wo man war, mit der jeweiligen Miliz einigen, dass sie einen nicht beschießen.

Sie haben dann in Beirut gedreht, mitten im Bürgerkrieg. Wie ging das?
 
Ich hatte sehr gute junge libanesische Filmemacher an meiner Seite. Die haben gesagt: Wenn du einen Film über uns machst, dann musst du ihn auch hier bei uns machen. Meine Frage war dann: Bekommen wir denn da überhaupt Drehgenehmigungen? Da haben sie gelacht: Drehgenehmigung von wem? Es gab keine Autoritäten mehr, jeder Stadtteil wurde von einer anderen Miliz regiert.
 
Man konnte praktisch alles machen. Man musste sich nur in der Straße oder in dem Stadtteil, wo man war, mit der jeweiligen Miliz einigen, dass sie einen nicht beschießen. Und die beste Art, deren Genehmigung zu bekommen, war, sie als Komparsen anzuheuern. Und so kommt es, dass in dem Film alle, die mit einer Waffe rumlaufen, wirkliche Kämpfer sind und mit ihrer eigenen Waffe auftreten.

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Sie haben am Anfang des Interviews erzählt, dass Sie zuletzt 2019 in Beirut waren - und zwar zum ersten Mal, seit den Dreharbeiten zu "Die Fälschung" [goethe.de]. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie zurückgekehrt sind?
 
Ich wollte natürlich sofort wieder hin, nachdem der Film abgedreht war. Und da habe ich eine Morddrohung bekommen: Wenn ich nochmal einen Fuß in den Libanon setze, dann wird das meine letzte Reise gewesen sein. Das kam wohl aus Paris, wo viele Libanesen leben, die empört über die Darstellung des Krieges waren.
 
Und deshalb hat es sich nicht mehr ergeben danach. Es kam dann wieder eine Einladung, wo es aber gerade unruhige Zeiten gab. Der Flughafen war gesperrt und irgendwann ist es in Vergessenheit geraten. Erst 2019 ist der Film zum ersten Mal richtig in einem Kino vorgeführt worden. Bis dahin kannten ihn alle von DVDs. Warum kannten sie ihn? Das waren die einzigen Bilder von ihrer Stadt, die richtig mit einer Kamera aufgenommen worden sind, mal abgesehen von Videoreportagen vom Fernsehen. Und insofern ist kurioserweise ein Spielfilm der Dokumentarfilm über die Stadt geworden.
 
Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Max Burk.
 
Sendung: rbbKultur - das Magazin, 02.11.2024, 18:30 Uhr