Gedenkstätte Berliner Mauer auf dem ehemaligen Grenzverlauf zwischen der DDR und Westberlin zwischen den Bezirken Mitte und Wedding.Touristen blicken am 04.08.2023 durch den Nachbau eines Stücks der Mauer. (Quelle: Picture Alliance/Christian Ditsch)

Berlin "Die Menschen wollen ihr persönliches Berlin-Erlebnis"

Stand: 02.06.2025 06:35 Uhr

Auch Städtereisen – etwa nach Berlin – beginnen heute meist mit einem Blick in die sozialen Medien. Visitberlin vermarktet die Hauptstadt als Reiseziel und setzt dabei längst auch auf Social-Media-Kampagnen und Influencer.

Visitberlin vermarktet Berlin als Reiseziel im In- und Ausland und ist für das touristische Stadtmarketing verantwortlich. Christian Tänzler ist Pressesprecher von Visitberlin, Susanne Schreiber leitet den Bereich Kommunikation.

rbb|24: Hallo Herr Tänzler, hallo Frau Schreiber, viele junge Leute planen ihre Reisen inzwischen mit Socia Media oder Chatgpt. Merken Sie bei Visitberlin ebenfalls, dass sich das Verhalten ändert?

Christian Tänzler: Ja, das merken wir. Früher waren es vor allem klassische Medien, heute bekommen wir viele Anfragen von Influencern aus aller Welt, die mit uns kooperieren wollen.

Symbolbild Influencerin (Quelle: Picture Alliance/Addictive Stock/Shotshop)
Die enorme Mode-Macht der Influencer:innen
Keine Fashion Week ohne Tausende Videos auf Social Media.  Kaum ein Modelabel, das nicht direkt mit Influencer:innen zusammenarbeitet. Sie bestimmen Trends, doch ihre Macht hat auch ihre Schattenseiten. Von Nathalie Daibermehr

Was genau wollen die?

Tänzler: Oft geht es um Reisekosten, Übernachtungen oder Tickets für den Nahverkehr – und natürlich um Informationen. Die schreiben uns zum Beispiel eine Mail mit dem Betreff "Kooperation mit Visitberlin". Wenn dann auch im Text klar wird, dass sie über Berlin berichten wollen, ist das ein Anfang. Im besten Fall haben sie ein echtes Interesse an der Stadt. Im schlechtesten Fall steht in der Anrede "Berlin", im Text dann aber irgendeine andere Stadt. Das sind dann Massenmails.

Wie viele solcher Anfragen bekommen Sie?

Tänzler: Rund 200 pro Jahr – also öfter als alle zwei Tage. Die meisten lehnen wir ab. Wir schauen genau: Wer postet was auf welchen Kanälen? Und hat das überhaupt einen Berlin-Bezug? Es fragen ja nicht nur Reise-Influencer an, sondern auch viele aus dem Mode- und Lifestylebereich. Ein rotes Kleid vorm Brandenburger Tor ist nett – aber wenn man das Tor nicht sieht, bringt uns das nichts.

Gehen Sie auch selbst aktiv auf Influencer zu, Frau Schreiber?

Susanne Schreiber: Ja, gezielt. Zum Beispiel wenn es um Themen geht, die noch nicht so bekannt sind. Klar, Currywurst und Döner kennt jeder – aber dass man in Berlin auch richtig gut essen kann, von Sterneküche bis vegan, ist weniger verbreitet. Da suchen wir passende Influencer-Kooperationen, etwa aus dem Food-Bereich. Wir hatten letztes Jahr eine Kampagne mit Sterneköchen, die zusammen mit Influencern Empfehlungen gegeben haben: Wo kann man gut essen, wo gibt’s gute Bäckereien? So erreichen wir Zielgruppen, die wir mit klassischem Marketing kaum erreichen würden.

Wen erreicht man über Plakatkampagnen, wen über Social Media?

Schreiber: Plakate können wenig erzählen. Social Media bietet andere Möglichkeiten. Menschen verbringen dort viel Zeit – und gute Influencer erzählen echte Geschichten. Das ist nah dran an der Stadt. Wir zeigen hier keine Sehenswürdigkeiten, sondern authentische Erlebnisse. Und wenn die Kooperation gut ist, klappt das sehr gut mit Influencern.

Die Jüngeren orientieren sich online, über Social Media oder neue Tools wie Chatgpt. Wir passen unsere Inhalte an diese Kanäle an

Sie haben also etwas aufgegriffen, was Influencer ohnehin schon machen?

Schreiber: Ja, ein Stück weit. Influencer sprechen ihre Community an – ob es um Menschen geht, die gerne Essen gehen, Fans von Architektur oder Vintage-Shopping sind. Die bringen also ihr Publikum schon mit. Und das Vertrauen ist oft größer als bei klassischer Werbung. Natürlich steht da "Anzeige" – aber es bleibt ein Mensch, der spricht. Das wirkt anders als ein anonymes Plakat.

Ist Influencer-Marketing günstiger als klassische Werbung?

Tänzler: Das kann man so pauschal nicht sagen. Es hängt vom Influencer ab – und von der Kampagne. Influencer kriegen von uns für die Kooperation entweder Sachleistungen oder Honorare. Wir bekommen weiterhin aber auch viele klassische Medienanfragen, vor allem von Special-Interest-Magazinen. Wenn wir etwa mit einem Architekturmagazin zum Thema Berliner Architektur der 20er-Jahre zusammenarbeiten, funktioniert das sehr gut. Die Menschen wollen keine Pauschalangebote mehr – sie wollen ihr persönliches Berlin-Erlebnis. Und genau das können Influencer leisten.

Wie entdecken Menschen heute Berlin im Vergleich zu früher?

Tänzler: Früher gab es Reisesendungen im Fernsehen oder im Radio – gibt es heute immer noch, aber das Publikum ist ein anderes. Die Jüngeren orientieren sich online, über Social Media oder neue Tools wie Chatgpt. Wir passen unsere Inhalte an diese Kanäle an – möglichst maßgeschneidert. Es wird beides weitergeben – aber die Tendenz ist klar: Social Media nimmt zu.

Wie sieht das in Zahlen aus?
 
Tänzler: 2024 hatten wir knapp 200 Influencer-Anfragen. Realisiert haben wir rund ein Viertel. Ein großer Teil wird abgelehnt, ein großer Teil meldet sich nach Rückfragen nie wieder – vermutlich Massenmails. Und 2025 sind wir schon jetzt, nach fünf Monaten, fast bei der Hälfte der Anfragen von 2024. Die Tendenz ist steigend.
 
Schreiber: Wir müssen als Marke dahin gehen, wo die Menschen sind – und das ist eben auf
Instagram, auf Tiktok. Da erzählen wir Berlin. Und da muss Berlin auch stattfinden.
 
Tänzler: Genau. Storytelling ist da der Schlüssel. Die Menschen wollen inspiriert werden, durch Geschichten – und durch Empfehlungen von Menschen, denen sie vertrauen. Das ist nach wie vor sehr wirkungsvoll.

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Sind Ihre Kooperationen als Werbung gekennzeichnet?

Schreiber: Ja, wenn sie bezahlt sind, auf jeden Fall. Und die Influencer zeichnen das in der Regel auch korrekt als Anzeige aus.

Was sind Ihre Kriterien für eine Zusammenarbeit?

Tänzler: Erstens: Ist das Land oder der Markt überhaupt relevant für uns? Zweitens: Passt das Thema? Und drittens: Wie treten die Personen auf? Es gibt Accounts, bei denen geht es nur um Selbstdarstellung. Uns geht es um Qualität – auch bei der Bildsprache. Natürlich schauen wir auch auf die Zahl der Follower – aber nicht immer entscheiden wir uns für die Person mit den meisten Followern.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
 
 
Das Interview führte Helena Daehler

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.06.2025, 06:00 Uhr