Unterschiedliche Rechtslage Wann wird ein Raser zum Mörder?
Fünf Jahre Jugendstrafe für einen Raser, dessen Unfall zwei Menschen das Leben kostete - ein Urteil, das für Diskussionen sorgt und Fragen aufwirft. Warum hat das Landgericht Stuttgart nicht auf Mord erkannt?
"Eine hirnlose Raserei" nannte die Vorsitzende Richterin das Fahrverhalten des 20-jährigen Angeklagten, der im März 2019 zwei junge Menschen totfuhr. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart und auch die Anwälte der Eltern der Opfer hatten eine Verurteilung wegen Mordes gefordert. Doch dazu kam es nicht.
Vorsatz erforderlich
Für eine Verurteilung wegen Mordes ist, im Übrigen genauso wie für eine Verurteilung wegen Totschlags, vor allem eines entscheidend: Der Täter muss zum Tatzeitpunkt, also während der Fahrt, einen sogenannten Tötungsvorsatz gehabt haben. Vorsatz bedeutet nicht unbedingt, dass der Täter den Tod gewollt haben muss, also absichtlich tötet. Er muss aber den Tod zumindest "billigend in Kauf genommen" haben. Wenn das nicht der Fall ist, ist der Tod fahrlässig herbeigeführt worden.
Wann nimmt man etwas "billigend in Kauf"?
Immer wieder hört man: "Wer so schnell durch eine Innenstadt fährt, dem muss doch klar sein, dass dabei jemand zu Tode kommen kann." Das stimmt auch - und das betonte auch die Vorsitzende Richterin in ihrem Urteil zum Stuttgarter Raser.
Dem Angeklagten sei auf jeden Fall bewusst gewesen, dass seine "hirnlose Raserei" hoch gefährlich war. Und ihm sei auch bewusst gewesen, dass dadurch Menschen zu schaden kommen und auch sterben konnten.
Das allein reicht aber für einen Tötungsvorsatz noch nicht aus. Entscheidend ist, was der Täter bei der Tat dachte. Der Angeklagte in Stuttgart habe darauf vertraut, dass er das Auto im Griff habe und dass nichts passieren werde. Darauf durfte er natürlich nicht vertrauen, sagte die Richterin. Deshalb ist er auch verantwortlich für den Tod der beiden Opfer und auch dementsprechend zu verurteilen. Aber für einen Mord hätte ihm der Unfall vorher egal sein müssen. Davon konnte sich das Gericht jedoch nicht überzeugen.
In anderen Fällen auf Mord entschieden
Das Landgericht Berlin verurteilte 2017 zum ersten Mal zwei Raser wegen Mordes. Die Folge im Erwachsenenstrafrecht: zwingend lebenslange Freiheitsstrafe. Das Urteil wurde wegen rechtlicher Fehler vom Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben.
Allerdings hat der BGH in seinem Urteil keinesfalls ausgeschlossen, dass Raser unter Umständen auch wegen Mordes verurteilt werden können. In der erneuten Verhandlung vor dem Landgericht Berlin kamen die Richter dann auch erneut zum Urteil: Mord. Der BGH wird sich in der Revision erneut mit diesem Fall beschäftigen müssen.
Jeder Raserfall ist anders
Bei einem Hamburger Fall haben die obersten Strafrichter am BGH eine Verurteilung wegen Mordes bestätigt. Allerdings war der Fall hier ganz anders gelagert. Ein Mann hatte betrunken ein Auto gestohlen und war damit vor der Polizei geflüchtet und bewusst auf die Gegenfahrbahn gefahren, wo es zum tödlichen Unfall kam. Es war also kein klassischer Raserfall, kein Autorennen - und der Mann raste quasi als Geisterfahrer durch die Stadt.
Im Hamburger Raser-Fall wurde der Täter wegen Mordes verurteilt.
Die Fälle zeigen, dass es immer auf den Einzelfall ankommt. Die Richter müssen sich immer fragen: Was haben die Täter in diesem konkreten Fall gedacht? Deshalb ist es nicht möglich zu sagen, dass ein Todesfall durch Rasen immer oder auch nie ein Mord ist.
Richter können nicht in Köpfe der Angeklagten schauen
Weil die Richter natürlich nicht in die Köpfe der Angeklagten hineinschauen können und weil die Angeklagten selten den Vorsatz zugeben, müssen die Gerichte diese Gedanken der Täter oft aus dem herleiten, was geschehen ist.
Hier spielt auch das Verhalten vor und nach der Tat eine Rolle. Wenn ein Gericht von Vorsatz ausgeht, muss für eine Verurteilung wegen Mordes noch ein so genanntes Mordmerkmal hinzukommen. Sonst handelt es sich um Totschlag.
Raser-Paragraf für solche Fälle geschaffen
Früher lautete in den Raser-Fällen mit tödlichem Ausgang das Urteil oft auf fahrlässige Tötung. Höchststrafe: fünf Jahre. Manches Mal fielen die Urteile deutlich milder aus, Strafen von bis zu zwei Jahren wurden sogar zur Bewährung ausgesetzt.
Das stieß auf heftige Kritik. Der Gesetzgeber befand die Höchststrafe bei der einfachen "fahrlässigen Tötung" als zu milde für diese extremen Fälle, bei denen Menschen rasen und sich der Gefährdung bewusst sind. Der Straftatbestand des Mordes passte aber auch nicht so richtig mit seiner zwingend lebenslangen Haftstrafe.
Deshalb hat der Gesetzgeber 2017 den Straftrechtsparagrafen 315d StGB geschaffen - extra für diese illegalen Autorennen und Raserfälle. Höchststrafe, wenn jemand zu Tode kommt: zehn Jahre, also doppelt so viel, wie bei der fahrlässigen Tötung. Genau dieser Paragraf kam nun in Stuttgart zum ersten Mal zur Anwendung bei einer Fahrt, bei der Menschen zu Tode kamen.
Jugendstrafrecht einschlägig
Zum Zeitpunkt der Tat im März 2019 war der Angeklagte 20 Jahre alt. Deshalb gilt er nach dem Gesetz als Heranwachsender. Bei Heranwachsenden muss das Gericht immer entscheiden, ob der Angeklagte nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung eher einem Jugendlichem gleichsteht, also ob es Reifeverzögerungen gibt oder ob er wie ein Erwachsener auftritt.
Hier hat die Richterin gesagt: Er glich in seiner reiflichen Entwicklung eher einem Zwölf- bis 16-Jährigen. Er lebte in völliger Abhängigkeit zu seiner Familie und hatte deutliche Reifeverzögerungen, wie es ein Gutachter bestätigt hat. Deshalb kam hier Jugendstrafrecht zur Anwendung. Zudem war der Angeklagte nicht vorbestraft, gestand seine Tat und zeigte deutliche Reue. Das Stuttgarter Urteil lautet deshalb auf fünf Jahre Jugendstrafe.