Designierter SPD-Generalsekretär Kühnert Aufstieg eines Unbequemen
Er war das Enfant terrible der Genossen und hat einen großen Anteil daran, dass die SPD bald den Kanzler stellt. Jetzt soll Kevin Kühnert Generalsekretär der Partei werden. Es ist die Geschichte eines rasanten Aufstiegs.
Es ist der Parteitag im Dezember 2017. Jamaika ist gerade geplatzt und die SPD steht vor der Entscheidung: Nochmal GroKo oder Neuwahlen? Kevin Kühnert ist damals noch nicht sehr lange Juso-Vorsitzender und doch hält er insbesondere das Partei-Establishment in Atem.
Wenn Kühnert in jenen Tagen und Wochen auf den zahlreichen Parteitagen der SPD redet, kann man auf der Präsidiumsbank in versteinerte Gesichter blicken. Auf dem Parteitag im Dezember hält Kühnert eine Rede, an die sich auch noch Jahre danach viele erinnern, die dabei gewesen sind. An einer Stelle sagt er: "Wir, die wir hier in fünf, zehn, 20 Jahren Verantwortung übernehmen sollen, wollen und auch müssen, haben ein Interesse daran, dass auch was übrig bleibt von diesem Laden, verdammt nochmal!"
Diese Gefahr ist damals real, nicht wenige Beobachter gehen zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass, wie vielen europäischen Schwesterparteien, auch der deutschen Sozialdemokratie der Gang in die Bedeutungslosigkeit droht. Kühnert kommt aus einem SPD-Elternhaus, er hängt an der SPD und macht sich zu diesem Zeitpunkt ernsthafte Sorgen um die Partei. Doch den Kampf um die GroKo verliert der Juso-Chef. Die SPD entscheidet sich fürs Regieren mit der Union. Kühnert gibt nicht auf.
Die SPD-Parteispitze hat den früheren Juso-Chef Kevin Kühnert offiziell als neuen Generalsekretär vorgeschlagen. Das Präsidium hat der Personalie zugestimmt, eine offizielle Nominierung des Parteivorstands steht noch aus.
Kühnerts Posten als SPD-Vize soll dann an den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Thomas Kutschaty gehen. Für die Vize-Posten sind weiterhin die saarländische SPD-Landeschefin Anke Rehlinger, die SPD-Vorsitzende aus Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, die Brandenburgerin Klara Geywitz und der bisherige Arbeitsminister Hubertus Heil vorgesehen. Gewählt wird die neue SPD-Spitze auf einem Parteitag am 11. Dezember.
"Nikolaus ist GroKo-Aus"
Im Gegenteil: Er nimmt sein Zitat wörtlich und sucht die Verantwortung in der SPD. Als 2019 Andrea Nahles vom Amt der Partei- und Fraktionsvorsitzenden zurücktritt, ist seine Chance gekommen. Er überlegt zunächst, ob er selbst als möglicher Parteichef antritt, entscheidet sich aber dagegen. Stattdessen unterstützt er die Kandidatur von Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans.
Unter dem Motto "Nikolaus ist GroKo-Aus" machen die Jusos erfolgreich Wahlkampf für die beiden Anti-Establishment Kandidaten. Nach der Entscheidung gibt es nochmal Streit in der SPD. Kühnert will Parteivize werden, andere wollen das verhindern. Am Ende einigt man sich auf eine Vergrößerung des Präsidiums. Kühnert ist in der Verantwortung angekommen. Und das nicht erst nach fünf Jahren, sondern bereits nach zwei.
Die Wandlung der SPD
Ab da beginnt die wundersame Wandlung der SPD. Kühnert ist dabei nicht unbeteiligt. Sein Verhältnis zum Generalsekretär Lars Klingbeil wird mit der Zeit immer enger. Beide sind Fans des FC Bayern, in der SPD eher eine untypische Leidenschaft, beide wollen in und durch die SPD noch etwas werden. Immer häufiger treten die beiden nun auch öffentlich gemeinsam auf, sie haben unter anderem eine gemeinsame Sendung auf Instagram. Und ein weiterer SPD-Mann ist eng in das Netzwerk Kühnert-Klingbeil eingebunden: der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch.
Anders als Klingbeil kommt Miersch wie Kühnert vom linken Parteiflügel. Die drei Männer sprechen sich oft ab und beraten sich gegenseitig. Miersch ist wichtig für Kühnert, aber die Freundschaft zum wertkonservativen Klingbeil ist wichtiger für die Partei. Durch die Verbindung beruhigt sich der Flügelstreit in der SPD. Die SPD bleibt auch unter Esken und Walter-Borjans in der GroKo und nominiert im Sommer 2020 sogar den oft ungeliebten Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Kühnert wird in diese Entscheidung erst auf den letzten Metern eingebunden. Darüber ist er erkennbar sauer.
Es zeigt sich, dass die Parteivorsitzenden sich von ihrem Unterstützer emanzipiert haben. Trotzdem bleibt Kühnert loyal. Er versucht die Kritik einzufangen, die an der Personalie Scholz besonders von Juso-Seite kommt. Mit Erfolg. Die Stimmung in der Partei beruhigt sich schnell wieder. Kühnert schafft es, dass auch die Jusos Wahlkampf für den früher ungeliebten Kandidaten machen. Erkennbar wird, dass Kühnert sich weiterentwickelt hat.
Innerparteiliche Bündnisse
Keine Fundamentalopposition mehr, stattdessen innerparteiliche Bündnisse. Seit Anfang 2021 ist Kühnert nicht mehr Juso-Chef. Im September wird er in den Bundestag gewählt, gewinnt seinen Wahlkreis sogar direkt. Als er seine erste Rede im Bundestag hält, trägt er ein Sakko, damit hat man ihn in den Jahren vorher nur sehr selten gesehen. Kühnert ist angekommen und hat nebenbei einen großen Anteil daran, dass die SPD bald wieder den Kanzler stellen wird. Nun kommt der große Karrieresprung.
Als Generalsekretär muss Kühnert auch dann für die SPD sprechen, wenn alle anderen sich wegducken können. Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht darin eine Bewährungsprobe, nicht zuletzt, weil sein in der Partei sehr geschätzter Vorgänger Klingbeil nun sein Chef werde. Das persönlich gute Verhältnis zwischen den beiden werde aber sicherlich hilfreich sein.