Unzufriedenheit mit Parteiarbeit Grünen-Abgeordnete wechselt zur Unionsfraktion
Es kommt selten vor, dass Bundestagsabgeordnete die Fraktion wechseln. Die Mannheimer Grünen-Politikerin Sekmen will nun Mitglied der Unionsfraktion werden - offenbar aus Enttäuschung über die Wirtschaftspolitik der Grünen.
Die Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen aus Mannheim wechselt von der Grünen- zur Unionsfraktion. Sie habe am Montag ihren Austritt bei den Grünen und aus der Grünen-Bundestagsfraktion erklärt, sagte Sekmen. "Meine Entscheidung ist das Ergebnis eines langen Prozesses", sagte die Bundestagsabgeordnete und bestätigte damit einen entsprechenden Bericht des Nachrichtenportals "Table Media". Die 30-Jährige sprach von einem "Schritt nach vorne" und ergänzte: "Meine Vorstellung darüber, wie und in welchem Stil Politik gemacht wird, hat sich weiterentwickelt."
"Table Media" hatte unter Berufung auf Parteikreise berichtet, Sekmen habe aus Enttäuschung über die grüne Wirtschaftspolitik schon vor Wochen Kontakt zur CDU aufgenommen. Sie habe demnach unter anderem mit Unionsfraktionschef Friedrich Merz sowie dem Vorsitzenden der baden-württembergischen Landesgruppe im Bundestag, Andreas Jung, über ihren Wechsel zur CDU gesprochen.
Grünen-Kreisverband fordert Mandatsverzicht
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, bedauerte den Wechsel ihrer Kollegin. "Innerhalb der Fraktion werden wir nun beraten, wie wir organisatorisch damit umgehen", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Der Mannheimer Grünen-Kreisverband forderte Sekmen zum Mandatsverzicht auf. Sie sei "über die Grüne Landesliste in den Bundestag eingezogen", hieß es in einer Stellungnahme. "Wir fordern deshalb, dass Melis Sekmen ihr Bundestagsmandat abgibt, so dass eine andere Person der gewählten Grünen Liste statt ihr im Bundestag vertreten sein kann."
Sekmen wird heute schon in der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag erwartet. Die 30-Jährige werde als Gast an den routinemäßigen Beratungen der CDU/CSU-Abgeordneten teilnehmen, erfuhr die Nachrichtenagentur dpa aus Fraktionskreisen in Berlin.
Freude bei Unionsfraktion
Die Spitze der Unionsfraktion begrüßte das künftige Neu-Mitglied. "Ihre Entscheidung ist nicht nur zu respektieren, wir freuen uns natürlich auch darüber, weil offensichtlich auch unser politisches Angebot überzeugend ist", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei. Die Entscheidung sei über einen längeren Zeitraum herangereift, ergänzte der CDU-Politiker. Am Ende habe es dann natürlich auch persönliche Gespräche von CDU-Politikern mit Sekmen gegeben. Die Fraktion werde die neue Kollegin mit offenen Armen empfangen.
Er gehe davon aus, dass Sekmen bereits einen Aufnahmeantrag beim CDU-Kreisverband in ihrer Heimatstadt Mannheim gestellt habe - ansonsten werde sie dies im Laufe des Tages tun, sagte Frei. Es werde im Anschluss einige Tage dauern, bis sie CDU-Mitglied sein werde. Als Parteimitglied im Bundestag werde sie dann automatisch auch Angehörige der Unionsfraktion sein. Eine aktive Entscheidung der Fraktion dazu sei nicht notwendig.
Zuvor hatte sich auch Fraktionschef Merz erfreut geäußert. "Mit ihrer Familiengeschichte und ihren Themen verbindet Frau Sekmen vieles, wofür auch die CDU steht. Wir machen Politik für die fleißigen Menschen in unserem Land", sagte Merz.
Sekmen will "Debattenkultur ohne Schubladen"
Sekmen hat türkische Wurzeln - ihr Vater ist als Jugendlicher nach Deutschland gekommen. Sie ist in Mannheim geboren und war seit 2011 Grünen-Mitglied. 2014 wurde sie in den Mannheimer Gemeinderat gewählt, seit 2021 sitzt sie im Bundestag. Dort ist sie Obfrau der Grünen im Wirtschaftsausschuss und seit 2022 Vorsitzende des Parlamentskreises "Gründungen & Start-ups".
"Wir brauchen eine Debattenkultur, in der Menschen ihre Meinung und ihre Sorgen sagen können, ohne in Schubladen gesteckt zu werden", sagte Sekmen. "Diese Stimmen müssen aus einer starken Mitte und nicht aus den extremen Rändern der Politik kommen." Menschen über ihr Tun, ihr Wirken und nicht über ihre Herkunft zu definieren, dafür stehe für sie das neue Grundsatzprogramm der CDU, so die Politikerin.
Dass Abgeordnete die Fraktion wechseln, kommt selten vor. Die Unionsfraktion konnte zuletzt Ende 1996 einen Zugang aus einer anderen Fraktion verbuchen. Damals war die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld ebenfalls von den Grünen zur Union gewechselt. Ende vergangenen Jahres trat Lengsfeld, die von 1990 bis 2005 im Bundestag saß, aus der CDU aus. Nach dem Ausscheiden der CSU-Abgeordneten Andreas Scheuer und Stefan Müller im April und Mai hatte die CDU/CSU-Fraktion zuletzt 195 Abgeordnete, die Grünen-Fraktion hat 118 Abgeordnete.