UN-Rede von Kanzler Scholz Auf Willy Brandts Spuren
Vor 50 Jahren hielt der Sozialdemokrat Brandt eine Rede vor den Vereinten Nationen. Mit Kanzler Scholz steht heute wieder ein SPD-Politiker am Pult. Der Krieg in der Ukraine überschattet dabei gewünschte Reformen.
Vor genau fünfzig Jahren stand Willy Brandt im Weltsaal der Vereinten Nationen in New York am Rednerpult - am 26. September 1973. "Gegenüber der Not darf es Resignation nicht geben", knarzte Brandt mit seiner markanten Stimme ins Mikrofon. Seit 50 Jahren ist Deutschland UN-Mitglied - und mittlerweile der zweitgrößte Geldgeber. Denn der Sozialdemokrat Brandt hatte schon damals erklärt: "Wer Krieg ächten will, muss den Hunger ächten."
Heute steht wieder ein Sozialdemokrat im Weltsaal in New York: Bundeskanzler Olaf Scholz. Und der Hamburger SPD-Politiker kennt seinen Brandt: "Heute erleben wir: Dieser Satz Willy Brandts gilt auch umgekehrt. Wer den Hunger ächten will, der muss Russlands Krieg ächten", hatte Scholz schon vor einem Jahr vor der Generalversammlung erklärt.
Jens Plötner ist der außenpolitische Berater des Kanzlers und sagt dem ARD-Hauptstadtstudio, auch der sonst so nüchterne Hanseat Scholz wisse um die Bedeutung dieses 50. Jahrestages: "Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass dieser historische Brückenschlag von Brandt zu Scholz für den Kanzler sehr bedeutungsvoll ist."
Blockierter UN-Sicherheitsrat
Scholz wisse, in was für große Fußstapfen er da trete, sagt Plötner. In die Fußstapfen des Mannes nämlich, der damals in seiner Rede weitsichtig die Bedeutung der Vereinten Nationen so beschrieben hatte: "Die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft hat die Vereinten Nationen möglich gemacht. Der Hang des Menschen zur Unvernunft macht sie notwendig."
Der Entspannungspolitiker Brandt hatte erklärt, dass nicht nur Spannung, sondern auch Entspannung ansteckend sein könne. Der Zeitenwendekanzler Scholz aber hat es jetzt mit einem russischen Angriffskrieg zu tun. Entspannung? Berater Plötner relativiert: Entspannung müsse das Ziel bleiben - "aber wird dürfen nicht blauäugig sein".
Scholz erlebt eine paralysierte UN. Einen blockierten Sicherheitsrat, in dem neben China vor allem Russland seit Jahren erst beim Thema Syrien und jetzt beim eigenen Angriffskrieg per Veto UN-Ziele systematisch ausbremst. Auch das wird der Kanzler thematisieren, in der Generaldebatte und dann auch bei seinem Auftritt im UN-Sicherheitsrat.
"Blanker Imperialismus Russlands"
Der außenpolitische Berater Plötner jedenfalls nimmt kein Blatt vor den Mund. "Der Sicherheitsrat ist blockiert aus einem Grund: Eines seiner ständigen Mitglieder ist in diesem Krieg Täter." Russland habe die grundlegenden Prinzipien der UN-Charta, die der Sicherheitsrat schützen sollte, mit Füßen getreten.
Scholz hatte bereits im Vorjahr vom "blanken Imperialismus Russlands" gesprochen. Trotzdem will er weiter für seine Idee der regelbasierten multipolaren Welt werben. Vor einem Jahr noch hielt Scholz am Rednerpult dazu die UN-Charta in die Höhe und rief: "Diese Charta ist unsere kollektive Absage an eine regellose Welt."
Das Problem, so sieht der Kanzler die Lage, seien nicht fehlende Regeln, sondern der fehlende Wille, sie durchzusetzen. Scholz will genau dafür sorgen. Gerne auch im derzeit lahm gelegten UN-Sicherheitsrat. Deutschland will 2027/28 erneut als nicht-ständiges Mitglied in das Gremium, das bisher aus fünf ständigen und ebenso vielen nicht-ständigen Mitgliedern besteht.
Rückzug russischer Truppen als Vorbedingung
Scholz und andere wollen das Gremium darüber hinaus weiter reformieren. Auch Deutschland hofft seit Jahren auf einen eigenen ständigen Sitz. Das aber scheint derzeit noch unrealistischer als ein schnelles Ende des Ukraine-Krieges.
Der Kanzler formuliert wohl auch in seiner diesjährigen Rede wieder als Vorbedingung für das Kriegsende einen Rückzug der Russen aus ukrainischem Territorium. "Da würde ein Befehl Putins genügen. Aber der Befehl kommt nicht, und das steht Friedensverhandlungen im Wege", sagt der außenpolitische Berater Plötner.
Was würde Willy Brandt tun?
Scholz will trotzdem am Mittwoch auch im Sicherheitsrat als Gast in der Sondersitzung zum Thema Ukraine sprechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird ebenfalls da sein - und möglicherweise im Saal auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen. Die Bühne dafür ist dann ein von der Vetomacht Russland blockierter Sicherheitsrat.
Für Plötner ist es dennoch keine überflüssige Veranstaltung. Der Sicherheitsrat sei "das Schaufenster der Weltgemeinschaft", in dem dann immerhin für jeden sichtbar die große Mehrheit den russischen Angriffskrieg erneut öffentlich verurteilen werde, sagt der außenpolitische Berater.
Er schlägt erneut den Bogen zum Entspannungspolitiker Brandt und dessen Auftritt in New York vor fünfzig Jahren. Natürlich könne man sich fragen: Was würde Willy Brandt in dieser Situation tun? Plötners Antwort: "Auch er würde sagen, gut, dass wir in der NATO sind, fest verankert in der EU, und gut, dass wir aus einer Position der Stärke heraus die Ukraine und ihr Volk unterstützen können."