SPD-Generalsekretär Kühnerts Zeitenwende
Es ist irgendwie still geworden um Kevin Kühnert. Der einstige Lautsprecher der Parteijugend fällt derzeit vor allem als Kanzler-Verteidiger und SPD-Erklärer auf. Passt die Rolle des SPD-Generalsekretärs zu ihm?
Was ist los mit Kevin Kühnert? Eine nicht ganz unberechtigte Frage, die nicht nur das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" jüngst aufwarf, und die man dem SPD-Generalsekretär jetzt einfach mal direkt stellen möchte. Der ist in Bayern unterwegs, sehr beschäftigt, man würde ihn gerne selbst fragen, was los ist, aber Kühnert hat keine Zeit, und was los ist, weiß man ja ohnehin: Die Zeitenwende ist los - sie hat auch Kühnert erfasst.
Kevin Kühnert und die SPD - das ist bislang eine Erfolgsgeschichte gewesen. Der junge, dynamische, wortgewandte Juso-Chef, dem die Seinen auf Bundeskongressen zujubelten, wie einem Popstar, der auf Parteitagen das linke Herz zum Pochen und Kochen brachte. Der es mit allerlei taktischer Finesse sogar schaffte, Olaf Scholz als SPD-Vorsitzenden zu verhindern. Ein Visionär im besten Sinne, ein rot-rot-grüner Weltverbesserer, der schon mal BMW kollektivieren wollte, aber da war er eben noch Juso-Chef.
Leisere Töne vom einstigen Lautsprecher
Die Wandlung erfolgte schleichend. Im Dezember 2019 wurde er stellvertretender Parteivorsitzender, und schon da kamen vom Lautsprecher Kühnert zunehmend leisere Töne, weniger zugespitzt, mehr ausgewogen. Die Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin etwa war auf einmal kein Thema mehr. Zwei Jahre später wurde Kühnert SPD-Generalsekretär. Nun muss er die Partei programmatisch neu aufstellen, ihre Strukturen modernisieren, sie perspektivisch weiterentwickeln - und sie nach außen vertreten, also die SPD erklären. Der entscheidende Unterschied zu früher: Er muss jetzt die ganze SPD erklären, nicht nur seine Sicht der Dinge.
Und da ist noch eine weitere echte Herausforderung, und die sitzt im Kanzleramt. Zwar haben Kühnert und Scholz eine Art Burgfrieden geschlossen, aber ein SPD-Kanzler macht Kühnert seine Aufgabe nicht unbedingt leichter. Zuletzt fiel der Generalsekretär als erster Kanzler-Verteidiger auf, er musste Scholz‘ langes Festhalten an Nord Stream 2 erklären, das Hin und Her um die Waffenlieferungen und jüngst die Wahlniederlage in NRW. Aber so ist das nun mal, wenn die eigene Partei den Kanzler stellt und dessen Kommunikation ausbaufähig ist. Kühnerts Wandlung ist daher gar nicht so absurd und bizarr, wie sie anmutet. Man stelle sich vor, der Generalsekretär Kühnert würde einfach weiter so agieren wie der Juso-Chef Kühnert. Man würde sich fragen: Was ist mit Kevin Kühnert los?
Neue Rolle, neuer Kühnert
Die neue Rolle erfordert einen neuen Kühnert, von der neuen Situation mit Kanzler und Krieg ganz abgesehen. Die sozialpolitischen Themen, mit denen die SPD ihr sozialdemokratisches Jahrzehnt prägen wollte, werden vom Krieg in der Ukraine und dessen Folgen vollkommen überlagert. Und die Entlastungspakete der Koalition, die von einem SPD-Kanzler angeführt wird, kommen derart langsam beim Bürger an, dass sie kaum wahrgenommen werden, weil der nächste Preissprung schon wieder Schockwellen durch die Gesellschaft schickt. Schon stellt sich die Frage: Wo und wofür steht die SPD in diesen Tagen?
Immerhin schießt die Partei nicht quer. Kühnert muss also nicht eine zerstrittene SPD einen wie sein Vorgänger, der jetzige Co-Parteichef Lars Klingbeil. Noch hält der linke Parteiflügel trotz aller Zumutungen - Sondervermögen, Aufrüstung, Waffenlieferungen - die Füße still, die Störgeräusche sind noch nicht so laut, womöglich auch, weil keiner den Kanzler beschädigen möchte. Und sicherlich hilft es auch, dass mit Kühnert ein dezidierter Parteilinker kritische Jusos besser einhegen kann.
Burgfrieden: Scholz und Kühnert
Schnell beleidigt und latent belehrend
Bleibt die Frage: Was macht die neue Rolle mit dem Mann, der als Posterboy der Parteilinken die perfekte Projektionsfläche war? Kühnerts alte Stärken aus seiner Juso-Zeit, Attacke, Klartext in die eigene Partei hinein, die richtigen Fragen stellen, sind in dieser Funktion weniger gefragt. Er könnte nun seine verbalen Angriffe gegen den politischen Gegner richten, vor allem die Union vor sich hertreiben. Aber hier ist wenig bis nichts zu hören. Vielmehr wirkt der SPD-Generalsekretär in Talkshows schnell beleidigt, latent belehrend, dabei ständig bemüht, dem Kanzleramt nicht in den Rücken zu fallen. Keine leichte Aufgabe. Vielleicht auch nicht die richtige. Kritisieren sei halt häufig einfacher als Entscheidungen zu treffen, heißt es bei denen, die Kühnert seine GroKo-Attacken der Vergangenheit übelgenommen haben.
Der Transformation einen Schritt voraus sein, daran arbeitet der Generalsekretär nach eigener Aussage. Die Partei müsse neben der Regierung sichtbar sein und bleiben. Was Kühnert nicht sagt, was aber immer mitschwingt: Die Partei darf die Regierung dabei nicht stören oder gar verstören - und das ist die Krux des neuen Kevin Kühnert. Der ganz nebenbei noch die Erneuerung und Verjüngung der SPD, sprich ihre Zukunftsfähigkeit sichern soll.
"Für Euch gewinnen wir das Morgen" - das Motto der NRW-Wahl sollte sich spätestens bei der nächsten Landtagswahl im Oktober in Niedersachsen bewahrheiten. Sonst könnte Kühnert trotz vielversprechender Zukunft bald wie ein Mann von Gestern dastehen.