Illerkirchberg nach Gewalttat "Seit der Tat beschimpft und bedroht"
Nach dem gewaltsamen Tod eines Mädchens in Illerkirchberg steht die Gemeinde unter Schock. Die Stimmung ist angespannt. Hass und Hetze erreichen auch das Rathaus.
Es ist weiß in Illerkirchberg. Auf Dächern und in Vorgärten liegt eine dünne Schneeschicht. Auch die Zweige des Weihnachtsbaums vor der katholischen Kirche tragen an diesem Abend weiß. Es könnte ein friedlicher Abend in der Vorweihnachtszeit sein. Doch die rund 5000-Einwohner Gemeinde im Alb-Donau-Kreis nahe Ulm steht nach dem tödlichen Messerangriff auf eine 14-Jährige vor mehr als einer Woche unter Schock. Das Friedenslicht, um das es an diesem Abend in dem ökumenischen Gottesdienst geht, stehe "für den Weihnachtsfrieden und für den Frieden dieser Welt", sagt Pfarrer Jochen Boos und meint das nicht nur im übertragenen Sinne. Licht in der Dunkelheit der Geschehnisse, das ist das, wonach sich die Gemeindemitglieder in diesen Tagen sehnen.
Still geworden sei es in Illerkirchberg, erzählen die beiden Pfarrer der evangelischen und katholischen Gemeinden dem SWR. "Man spricht nicht mehr so viel. Es liegt schon irgendwie ein Schleier über dem Ort", sagt Boos von der katholischen Kirche. Gleichzeitig habe man den Wunsch nach Austausch an sie herangetragen. Am Tag nach der Tat hatten die Kirchen zum gemeinsamen Trauern eingeladen. Seitdem gab es immer wieder Gedenkveranstaltungen. "Wir haben gemerkt, sobald man zusammenstehen und darüber sprechen konnte, dass das den Leuten gut getan hat", erinnert sich der evangelische Pfarrer Andreas Wündisch.
Die Frage nach dem "Warum"
Am hellsten leuchtet es in diesen Tagen in Illerkirchberg am Tatort. Es sind Hunderte Grabkerzen, die rot und weiß den Weg säumen. Der Tatort - er ist inzwischen vor allem eine Gedenkstätte. "Warum?" steht auf einem Schild inmitten des Lichtermeers. Eine Antwort auf diese Frage gibt es auch mehr als eine Woche nach der Tat nicht. Der mutmaßliche Täter, ein 27-jähriger Flüchtling aus Eritrea, liegt seit der Tat in einem Justizvollzugskrankenhaus. Zur Tat hat er sich nach Angaben der ermittelnden Staatsanwaltschaft Ulm noch nicht geäußert.
Der Bürgermeister der Gemeinde Illerkirchberg zeigt sich tief betroffen. "Wir sind geschockt, dass sich diese Tat hier bei uns ereignet hat", sagt Markus Häußler (parteilos). Seit der tödlichen Messerattacke ist das Leben in Illerkirchberg und im Rathaus ein anderes. Häußler und sein Team erreichen Medienanfragen aus ganz Deutschland: "Wir sind im Modus des Funktionierens."
In zwei offenen Briefen hatte sich der Bürgermeister schon kurz nach der Tat an die Öffentlichkeit gewandt und davor gewarnt, Geflüchtete unter Generalverdacht zu stellen. "Wir sind dagegen, dass diese Tat politisch vereinnahmt wird." Einzelne, kleinere Versammlungen von Rechten und Rechtsextremen haben aber genau das in den vergangenen Tagen versucht. Dafür hat Häußler kein Verständnis: "Ich persönlich halte es für höchst unpassend, diese Kundgebung in einer Gemeinde abzuhalten, die gesamtheitlich trauert."
Anonyme Schreiben und persönliche Bedrohungen
Inzwischen werden Häußler und sein Team massiv angegangen. Meist sind es anonyme Schreiben, in denen es um die Flüchtlingsunterbringung im Ort und die vermeintlich fehlende Sicherheit gehe: "Ich war und bin wirklich entsetzt über die Wortwahl, die sich hier manche Absender zu eigen machen und wie sie dann mit uns hier umgehen", sagt Häußler.
Auch persönliche Bedrohungen nähmen zu und richteten sich gegen den Bürgermeister persönlich. Man sei im Austausch mit der Polizei, heißt es. Näher möchte man im Gespräch mit dem SWR nicht darauf eingehen.
Auch der Landrat des Alb-Donau-Kreises, Heiner Scheffold, macht auf die Verrohung der Debatte aufmerksam: "Die Verwaltung der Gemeinde Illerkirchberg, Bürgermeister Häußler und sein Team, werden, genauso wie der örtliche Helferkreis, seit der Tat massiv angegangen, beschimpft und bedroht", berichtet Scheffold. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger sei stark beeinträchtigt, das sei ihm völlig klar. "Dass die Diskussionen darüber aber fast nur noch hochemotional und ohne jede Sachlichkeit geführt werden, ist ein großes Problem." Eine Gefährdungslage sieht die Polizei nicht.
Zurück zur Normalität?
Wichtig sei nun, nach dem Schock schnell zur Normalität zurückzufinden, sagt der Trauma-Experte und Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik Ulm, Jörg Fegert. "Routinen des Alltags geben uns Stärke und Halt", sagt Fegert. "Wenn Eltern zum Beispiel ihre größeren Kinder nach so einem Ereignis wieder zu sich ins Bett nehmen und weitere Ausnahmen machen, dann wird auch für die Kinder die große Besorgnis der Eltern deutlich. Deshalb appelliere ich, soweit das geht, den Kindern wieder einen normalen Rahmen zu geben."
Im Landtag von Baden-Württemberg betonte Innenminister Thomas Strobl heute, dass die Sicherheit im Land gewährleistet sei. "In Baden-Württemberg können unsere Kinder sicher zur Schule gehen", so der CDU-Politiker in einer Debatte, die von der AfD beantragt wurde.
Bis die Gemeinde Illerkirchberg die Tat aufgearbeitet hat, werde es noch lange dauern, sagt Bürgermeister Häußler. Ob es wieder eine Normalität geben wird? "Ich kann nur sagen, dass wir noch einen Weg vor uns haben, den wir gemeinsam gehen müssen."