Deutsche Israel-Politik Seit dem Krieg wachsen die Differenzen
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober ringt die Bundesregierung darum, Israels Recht auf Verteidigung zu betonen, aber auch auf das Elend der Palästinenser hinzuweisen. Gelingt der Drahtseilakt?
"Als Freunde sagen wir der israelischen Regierung: Lasst uns helfen", so Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrer jüngsten Reise. "Helfen in diesem brutalen Terror-Krieg, dass euer Land, dass eure Regierung sich nicht darin verliert."
Seit fast sechs Monaten ringt Baerbock um kleinste Schritte, spricht mit allen Beteiligten in der Region, immer in enger Abstimmung - zu Hause mit dem Bundeskanzler, im Ausland mit den Verbündeten, vor allem mit dem amerikanischen Außenminister. Ein Balanceakt zwischen klarer, oft auch kritischer Sprache hinter verschlossenen Türen und Zurückhaltung vor den Kameras.
Die Sorge, den falschen Ton zu treffen, reist immer mit. Und so gehört es seit dem 7. Oktober zum Standard, bei allen Reden und Pressekonferenzen zuerst zu betonen, dass Israel das Recht, nein, die Pflicht habe, seine Bürger zu verteidigen, und dann aber auch darauf hinzuweisen, dass Israel alles tun müsse, um das humanitäre Elend der Palästinenser zu lindern.
International kaum noch Verständnis
Baerbock legt großen Wert darauf, immer die Not beider Seiten anzusprechen. Sie hofft, dass Deutschland so als Vermittler für beide Seiten glaubwürdig bleibt. Doch das wird immer schwieriger, je katastrophaler die Lage in Gaza ist.
International gibt es kaum noch Verständnis dafür, warum Deutschland und die USA nach wie vor unverbrüchlich zu Israel stehen. Das schwächt ihre Verhandlungsposition - in der arabischen Welt, im globalen Süden. Der Vorwurf: Deutschland messe mit zweierlei Maß. Wo sonst hohe völkerrechtliche Standards angelegt werden, sei man gegenüber Israel zu nachsichtig.
Dabei hat sich der Ton der deutschen Politik gegenüber der israelischen Regierung in den vergangenen Wochen deutlich verschärft. Als Bundeskanzler Olaf Scholz am 17. März an der Seite des israelischen Regierungschefs vor die Presse trat, sagte er an Benjamin Netanyahu gerichtet mit Blick auf die geplante Bodenoffensive in Rafah: "Egal, wie wichtig das Ziel auch sein mag: Kann es so schrecklich hohe Kosten rechtfertigen, oder gibt es andere Wege, dieses Ziel zu erreichen?" Scholz appellierte, man könne nicht zusehen, wie Palästinenser der Gefahr eines Hungertods ausgesetzt würden.
Die Außenministerin wird meist noch deutlicher - man kann wohl davon ausgehen, in enger Absprache mit dem Kanzler: "Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen. Die Menschen in Rafah, sie können sich nicht in Luft auflösen. Sie sind in den Süden des Gazastreifens gegangen, auf Aufforderung der israelischen Armee, um ihr Leben zu schützen. Deswegen gibt es eine Verantwortung für den Schutz dieser Menschen." Baerbock hat bereits mehrfach die humanitäre Lage in Gaza als Hölle bezeichnet.
Hinter verschlossenen Türen Klartext sprechen
Es sind fast schon flehentliche Appelle, immer und immer wieder bei einer Regierung vorgebracht, die sich davon unbeeindruckt zeigt. Das Bemühen der Bundesregierung zu vermitteln, etwas zur Lösung des Konflikts beitragen zu wollen, scheint ins Leere zu laufen.
Am Montag dieser Woche fragt daraufhin bei der Regierungspressekonferenz eine Journalistin, warum es die Bundesregierung bei Appellen belasse und Konsequenzen bisher ausschließe. Die Antwort von Regierungssprecher Steffen Hebestreit: "Ich finde das so etwas schwach, wenn man sagt, ach, Ihr macht ja nur Appelle. So funktioniert Diplomatie in der Regel, dass wir appellieren, dass wir mit unseren engsten Freunden - und Israel ist einer der engsten Freunde Deutschlands - das klare Wort sprechen."
Es gehöre sich auch für Freunde, dass sie hinter verschlossenen Türen Klartext sprechen, so Hebestreit. "Und so tun wir das auch, und gleichzeitig kann sich Israel darauf verlassen, dass wir an seiner Seite stehen."
Auf den Hinweis, dass aber die USA mit Konsequenzen drohe - sprich, warum Deutschland nicht - verweist Hebestreit auf die deutsche Geschichte. Die Grundlage der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sei etwas sehr Eigenständiges. "Und das sollte man bei all den Überlegungen, die man anstellt, nie vergessen."
Nahostexperte: Nur ganz geringer Einfluss
Aus Sicht von Nahostexperte Guido Steinberg hat die Bundesregierung nur ganz geringen Einfluss. Die Forderung, die Bundesregierung solle mehr Druck auf Israel ausüben, verkenne die politischen Realitäten.
"Deutschland hat keine Druckmittel," sagt er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. "Wir haben in Israel Freunde, Verbündete, aber keine Befehlsempfänger. Druck würde keine Verhaltensänderung bewirken und stattdessen nur das Verhältnis schädigen."
Die Enthaltung der USA bei der jüngsten UN-Resolution zeige, wie verstimmt die Biden-Regierung darüber sei, wie wenig die Israelis auf die Wünsche der Amerikaner eingehen würden. "Wenn noch nicht einmal Joe Biden auch nur ansatzweise durchdringt mit seinen Mahnungen, kann das auch Annalena Baerbock nicht."
Die deutsche Position werde von Israel geschätzt, aber Deutschland werde nicht als sicherheitspolitischer Akteur ernst genommen, so Steinberg. "Die Israelis sehen viel bewusster als viele in Deutschland die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der deutschen Politik. Auf der einen Seite erklärt Deutschland die Sicherheit Israels zur Staatsräson, auf der anderen Seite können wir aber nur eine Fregatte ins Rote Meer schicken."
Die Union begrüßt die Vermittlung
Dass die Bundesregierung trotzdem weiter versucht, in dem Konflikt zu vermitteln, findet auch die Zustimmung der größten Oppositionspartei. "Diese Art von Politik, mit allen zu sprechen, mit allen Seiten zu sprechen, auch mit der arabischen Welt, aber auch mit der israelischen Regierung, wird meines Erachtens von allen Seiten geschätzt. Und das ist gut so", sagte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, im Deutschlandfunk.
Aber dass Baerbock deutlich ausspricht, eine Großoffensive auf Rafah dürfe es nicht geben, geht ihm in dieser Deutlichkeit zu weit. Deutschland solle mit solch klaren Forderungen sehr vorsichtig sein, so Hardt. Zumindest solang es keine Antwort darauf gebe, wie die Sicherheit Israels aussehe, wenn die Hamas weiter existiere.
Baerbocks Antwort: Sie tritt für eine Zwei-Staaten-Lösung ein - auch wenn sie einräumt, dass das noch ein langer, schwieriger Weg sei. Momentan hat sie sich darauf verlegt, den Reformprozess der Palästinensischen Autonomiebehörde einzufordern und in den Vordergrund zu stellen. Wohl auch in der Hoffnung, dass sich die israelische Regierung bewegen wird, wenn es nicht zu leugnende Reformen gibt.
Was also tun? Reden, reden, reden. Wie sagte noch der Regierungssprecher: So funktioniere Diplomatie in der Regel, "dass wir appellieren, dass wir das klare Wort sprechen".