Karl Lauterbach
Analyse

Corona-Maßnahmen laufen aus So endet die Pandemie

Stand: 07.04.2023 09:32 Uhr

Die letzten Maßnahmen im Kampf gegen Corona laufen aus, für Gesundheitsminister Lauterbach ist die Pandemie beendet. Welche Lehren noch gezogen werden müssen und was nun auf Lauterbachs To-do-Liste steht.

Eine Analyse von Nadine Bader, ARD-Hauptstadtstudio

"Es ist ernst, nehmen sie es auch ernst!" Es ist ein Mittwoch im März 2020, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer außerordentlichen Fernsehansprache diese Worte spricht. Und es ist einer der Momente, in denen gefühlt die ganze Nation auf den Bildschirm schaut.

Merkel trägt ein blaues Jacket, hinter ihr auf dem Fernsehbild ist der Bundestag zu sehen. Das Setting erinnert eher an die alljährliche Neujahrsansprache, aber der Anlass ist ein ernster: Die Corona-Pandemie hat Deutschland erreicht. Merkel ruft die Bürgerinnen und Bürger zu einem "gemeinsamen solidarischen Handeln" in der Coronakrise auf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgenommen bei der Aufzeichnung einer Fernsehansprache im Bundeskanzleramt.

Die damalige Bundeskanzlerin Merkel mahnte im März 2020 eindringlich vor den Gefahren der Corona-Pandemie.

Und dann geht es ganz schnell. Wenige Tage später verhängt die Bundesregierung den ersten Lockdown. Zunächst für zwei Wochen. Aber dann folgt eine lange Zeit mit Kontaktbeschränkungen: Kultur, Sport, Reisen, Treffen mit Freunden und Verwandten - vieles wird eingeschränkt. Schulen und Kitas bleiben geschlossen. Wer kann, bleibt im Homeoffice.

Die Politik handelt, aber sie steht vor nie dagewesenen Herausforderungen. In sich schier endlos ziehenden Runden mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ringt die Kanzlerin um den richtigen Weg. Fehler bleiben nicht aus. In einer Regierungsbefragung im Bundestag bittet der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im April 2020 um Verständnis für schwierige, politische Entscheidungen. Man werde einander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel verzeihen müssen, sagt der CDU-Politiker.

Andere Themen rücken in den Vordergrund

Es wird ganze drei Jahre dauern, bis Spahns Nachfolger, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die Corona-Pandemie Anfang April 2023 offiziell für beendet erklärt. Fast geräuschlos am Rande einer Pressekonferenz. Der SPD-Politiker hat längst alle Hände voll zu tun mit anderen Themen, unter anderem mit Lieferengpässen bei Arzneimitteln, einer Krankenhaus- und einer Pflegereform. Die meisten Corona-Maßnahmen sind da längst gefallen.

Nun folgen noch die Maskenpflicht in Arztpraxen und für Besucher in Pflegeheimen. Wie immer bei ihm wichtigen Anliegen twittert Lauterbach auch an seine mehr als eine Millionen Follower: In Anbetracht auch der letzten Erkenntnisse im Corona-Expertenrat und der Auswertung der Entwicklung der Krankheitslast könne man sagen, dass die Pandemie auch für Deutschland beendet sei.

"Bewältigungsstrategie insgesamt aufgegangen"

Aus Sicht Lauterbachs ist die "Bewältigungsstrategie insgesamt aufgegangen". Im Hinblick auf die erhebliche Bedrohung, die es gegeben habe, spricht der Minister von einem Erfolg. Die Impfungen hätten gewirkt, die meisten wissenschaftlichen Annahmen, auf die sich die Regierung bezogen habe, seien richtig gewesen - zum Beispiel, dass auch Kinder ansteckend seien.

Doch manches hätte besser laufen können, das räumt auch Lauterbach längst ein. Vor allem die langen Schulschließungen sehen viele mittlerweile als Fehler an. Lehrer, Psychologen, Kinder- und Jugendärzte berichten heute über die Folgen, die noch andauern würden: Depressionen, Essstörungen, psychische Belastung und Rückstand im Schulstoff. Die langen Schulschließungen seien so nicht notwendig gewesen, sagt auch Lauterbach.

Enquete-Kommission gefordert

Doch die Kritikliste ist länger. Umstritten sind auch die weitreichenden Verbote von Kontakten, Reisen und Krankenbesuchen. Längst haben sich auch Gerichte mit Maßnahmen wie den Ausgangsbeschränkungen befasst und sie teilweise für unverhältnismäßig erklärt. Zum Beispiel die weitgehenden Ausgangsbeschränkungen in Bayern während der ersten Corona-Welle, als die Bürger das Haus nur aus triftigem Grund verlassen durften, etwa, um zur Arbeit zu gehen oder Sport zu treiben.

Mittlerweile fordern Politiker die Einsetzung einer Enquete-Kommission. Nun sei es die Aufgabe der Politik, zusammen mit der Wissenschaft, die in der Vergangenheit getroffenen Maßnahmen zu evaluieren und auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus. Die Hürden für Grundrechtseingriffe müssten künftig höher angesetzt werden und der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, sagt Aschenberg-Dugnus.

Die Lehren müssen noch gezogen werden

Drei Jahre, nachdem alles angefangen hat, hat die Pandemie nun also ihren Schrecken verloren: Harmlosere Virusvarianten und der Schutz durch die Impfung führen meist zu weniger schweren Infektionen, Medikamente erleichtern den Umgang damit. Doch die Lehren aus dem Umgang mit der Pandemie muss die Politik noch ziehen, Menschen mit Long Covid oder Impfschäden müssen besser unterstützt werden.

Lauterbach versprach kürzlich, er werde mit dem Bundesgesundheitsministerium ein Programm auflegen, um die Folgen von Long Covid und auch dem Post-Vac-Syndrom, also gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach Impfungen, zu untersuchen und die Versorgung zu verbessern. Dazu sei er bereits in Verhandlungen mit dem Haushaltsausschuss. Mitglieder des Ausschusses wollten das so nicht bestätigen. Das Thema bleibt also eine offene Flanke, die Minister Lauterbach noch schließen muss.

Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio sagte der Minister, der Gemeinsame Bundesausschuss, also Vertreter von Ärzteschaft und Krankenkassen, würden an einer evidenzbasierten, das heißt wissenschaftlich gesicherten Richtlinie arbeiten, wie behandelt werden solle. Lauterbach selbst arbeite außerdem daran, ein Programm im Bereich Versorgungsforschung aufzubauen.

Zudem soll ein Informationsportal geschaffen werden: webbasiert, aber auch mit einer Hotline des Bundesgesundheitsministeriums, an die Betroffene sich wenden können. Sie sollen dort Informationen bekommen zu ihrer Erkrankung, aber auch Hinweise, wo man sich behandeln lassen kann. "Wir schulden das diesen Menschen wirklich", sagt Lauterbach. Denn für diese Menschen sei die Pandemie noch lange nicht vorbei.

"Es ist eine schwierige Bilanz, aber im Großen positiv", Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister, zu der Bilanz nach Corona

Gewappnet für mögliche neue Pandemien?

Eine Baustelle bleibt auch die Vorbereitung auf mögliche neue Pandemien und Gesundheitskrisen. Schlagzeilen wie "Nationale Pandemiereserve kommt nicht voran" machen derzeit die Runde. Ein Thema, das auch Professor Christian Karagiannidis beschäftigt. Er ist Mitglied im Corona-Expertenrat, der seine Arbeit nach einem vorerst letzten Treffen im Kanzleramt diese Woche beendet hat. Fast 16 Monate lang hatte das Gremium die politischen Entscheider beraten. Insgesamt sei die Runde froh, dass die Pandemie nun zu einem Ende gekommen sei, sagt Karagiannidis.

Aus Sicht des Intensivmediziners ist Deutschland in Bezug auf Sterblichkeit und Krankheitslast im Vergleich mit anderen Ländern ganz gut durch die Pandemie gekommen. Aber es bleibe die Sorge, nicht ausreichend auf mögliche künftige Krisen vorbereitet zu sein. Vor allem brauche die Wissenschaft anonymisierte Patientendaten in einer elektronischen Patientenakte, um passgenaue Analysen machen zu können.

Für Masken und Schutzausrüstung empfiehlt Karagiannidis eine ausreichende dezentrale Einlagerung, etwa in Kliniken und bei der Feuerwehr, bei Arzneimitteln in allen Krankenhausapotheken. Das Entscheidende seien aber Produktionsstätten in Europa, um sich unabhängig zu machen von China und Indien.

Angebot für kostenlose Corona-Impfung läuft in vielen Bundesländern aus

Kerstin Breinig, RBB, tagesschau24 09:00 Uhr

In Bezug auf die Vorbereitung auf mögliche künftige Pandemien räumt Lauterbach im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio Verzögerungen beim Aufbau einer Nationalen Pandemiereserve ein. Der Haushaltsausschuss habe diesen Plan gestoppt und um mehr Informationen gebeten, was der Bund und was die Länder übernehmen sollen. "Wir sind da an der Erarbeitung eines Konzeptes", sagt Lauterbach. Eine der vielen Aufgaben auf seiner langen To-do-Liste, die trotz des Endes der Pandemie immer noch gut gefüllt ist.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 06. April 2023 um 20:00 Uhr.