Gutachten liegt vor Wie der Bundestag besser geschützt werden könnte
Rechtsextreme AfD-Mitarbeiter, Verfassungsfeinde, Cyberattacken: Die Verwaltung prüft seit langem, wie der Schutz des Bundestags verbessert werden kann. Ein Gutachten zeigt, was möglich wäre.
Im Bundestag macht man sich Sorgen um die eigene Sicherheit, oder genauer: um die Sicherheit der Institution. Man fürchtet, zum Ziel von Verfassungsfeinden werden zu können.
Die Sorgen sind berechtigt: Bereits 2015 wurde der Bundestag Ziel einer Cyberattacke, die dem russischen Militärgeheimdienst zugeordnet wird. Mit Birgit Malsack-Winkemann sitzt seit eineinhalb Jahren eine ehemalige AfD-Abgeordnete in Untersuchungshaft, weil sie als Mitglied der "Reichsbürger"-Gruppe um Prinz Reuß einen gewaltsamen Umsturz geplant haben soll.
Der BR berichtete im Frühjahr über mehr als 100 AfD-Mitarbeitende aus dem rechtsextremistischen Milieu. Gegen den AfD-Abgeordneten Petr Bystron, der im Auswärtigen Ausschuss sitzt, wird ermittelt. Er soll Verbindungen zu prorussischen Netzwerken haben. Mit Hannes Gnauck sitzt ein AfD-Abgeordneter im Verteidigungsausschuss, den der Militärische Abschirmdienst (MAD) 2020 als "Verdachtsfall Rechtsextremismus" einstufte.
Gutachten zu "politisch motivierten Sicherheitsrisiken"
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas prüft auch wegen dieser Vorfälle seit geraumer Zeit, wie sich der Bundestag besser vor Verfassungsfeinden schützen lässt. Ein Gutachten, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt und das am Montag an die Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen weitergeleitet worden ist, legt nun dar, wie sich der Bundestag besser gegen solche "politisch motivierte Sicherheitsrisiken" schützen könnte.
Das Ergebnis des Gutachters: Aus seiner Sicht geht verfassungsrechtlich ziemlich viel. Trotz der Grenzen, die das Grundgesetz zieht, wenn es um die Freiheit und Gleichheit des Mandats der Abgeordneten geht.
Besonders sensibel war dabei die Frage, ob für die Entscheidung, wer einen Hausausweis bekommen soll, Erkenntnisse beim Verfassungsschutz abgefragt werden dürfen. Und ob auch Abgeordnete, die in sicherheitsrelevanten Gremien und Ausschüssen tätig sind, einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden dürfen.
Abfrage beim Verfassungsschutz
Um einen Hausausweis für den Bundestag zu bekommen, müssen Mitarbeitende eine sogenannte Zuverlässigkeitsüberprüfung bestehen. Dafür werden Informationen bei der Polizei und aus dem Bundeszentralregister abgefragt.
Künftig könnten darüber hinaus auch Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz herangezogen werden. Aus Sicht des Gutachters wäre eine solche Regelung verfassungskonform möglich. Der demokratische Prozess wäre "massiv gefährdet, wenn das Parlament durch Unterwanderung durch Extremisten Sabotage, Spionage oder operativen Funktionsstörungen ausgesetzt wäre".
Auch anlasslose Regelabfragen wären zulässig
Laut dem Gutachten wäre auch eine sogenannte anlasslose Regelabfrage beim Verfassungsschutz zulässig. Dabei wird der Verfassungsschutz ohne konkreten Verdacht gefragt, ob Erkenntnisse zu der jeweiligen Person bestehen.
Denn es bestehe das Risiko, dass die Bundestagsverwaltung in der Regel nicht von heimlichen verfassungsfeindlichen Betätigungen wisse. Wer im Hintergrund in extremistischen Kleingruppen oder unter Pseudonym auf Social Media extremistisch agiere oder sich im möglichen Rekrutierungsmilieu ausländischer Nachrichtendienste bewege, würde ohne anlasslose Regelabfrage nur ausnahmsweise rechtzeitig auffallen.
Für eine anlasslose Regelabfrage spreche außerdem, dass sie nicht diskriminierend sei. Denn alle Mitarbeitende wäre ihr unterworfen. Niemand werde stigmatisiert.
Keine Zugangsverweigerung für Abgeordnete
Fällt die Zuverlässigkeitsüberprüfung negativ aus, könne sowohl der Zugang zum Bundestag als auch der Zugriff auf das IT-System des Bundestags verwehrt werden. Wichtig sei dabei, dass die Bundestagsverwaltung jeden Einzelfall "in eigener Verantwortung" prüfe. Das heißt, liegen beim Verfassungsschutz Erkenntnisse vor, dürfe das nicht automatisch dazu führen, dass der Hausausweis versagt wird.
Eine solche Zuverlässigkeitsprüfung komme auch für Mitarbeitende aus dem Wahlkreis in Betracht, die kein Büro im Bundestag haben, aber Zugriff auf das IT-System.
Etwas anderes gelte für Abgeordnete: Eine Zugangsverweigerung komme auch für verfassungsfeindliche Abgeordnete nicht in Betracht. Denn das Grundgesetz schützt in Artikel 38 die Freiheit und Gleichheit des Mandats. Daraus folge, dass es Abgeordneten stets möglich sein müsse, die Parlamentsgebäude zu betreten, um ihre Aufgaben wahrzunehmen, die mit dem Mandat verbunden sind.
Überprüfung von Abgeordneten in bestimmten Ausschüssen
Etwas anderes wäre aus Sicht des Gutachters dagegen durchaus mit der Freiheit des Mandats zu vereinbaren: eine Sicherheitsüberprüfung für Abgeordnete, die "in sicherheitsempfindlichen Gremien oder Ausschüssen" tätig werden wollen.
Das ist ein tiefer Eingriff in die Rechte der Abgeordneten. Denn wenn die Sicherheitsüberprüfung negativ ausfällt, darf der betroffene Parlamentarier nicht in dem jeweiligen Ausschuss oder Gremium tätig werden. Es geht dabei etwa um den Verteidigungsausschuss oder das parlamentarische Kontrollgremium, das die Nachrichtendienste überwacht.
Für eine Sicherheitsüberprüfung werden viel umfassender als für eine reine Zuverlässigkeitsprüfung Informationen bei den Sicherheitsbehörden gesammelt. Es können auch weitere Personen befragt werden.
Freiheit des Mandats wiegt schwer
Derzeit gibt es eine solche Überprüfung für Abgeordnete nicht. Ob sie mit der Freiheit des Mandats zu vereinbaren wäre, ist umstritten. Aus Sicht des Gutachters des Bundestags ist ein wirksamer Geheimschutz Bedingung dafür, dass das Parlament seinen Aufgaben auch in sensiblen Bereichen angemessen erfüllen könne.
Er verweist dabei auf "die sich häufenden Fälle immer aggressiver Spionage, Sabotage und Anwerbung durch ausländische Nachrichtendienste". Die "drastisch veränderte globale Sicherheitslage, die permanenten Hackerangriffe auf staatliche Netzwerkinfrastrukturen und aggressive Spionage- sowie Agententätigkeit von einigen Drittstaaten" verdeutlichten das erhebliche Sicherheitsrisiko, das den Bundestag als "Schaltstelle der demokratischen Willensbildung" betreffe.
Kostenübernahme für Mitarbeitende
Seit den Berichten über Mitarbeitende der AfD aus dem rechtsextremistischen Milieu kursiert die Idee, ob die staatliche Kostenerstattung für solche Mitarbeitenden abgelehnt werden könne. Aus Sicht des Gutachters wäre das denkbar für Mitarbeitende, die wegen ihrer Unzuverlässigkeit keinen Zugang zum Bundestag mehr haben. Denn man dürfe davon ausgehen, dass sie nicht mehr "vollumfänglich" eingesetzt werden können.
Die Kostenerstattung für Wahlkreismitarbeitende zu streichen wäre dem Gutachter zufolge allerdings unverhältnismäßig. Denn im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stehe die Arbeit im Wahlkreis und der Kontakt zu lokalen Akteuren und Organisationen.
Geregelt werden könnte all dies teilweise in der Hausordnung, teilweise sind Gesetzesänderungen nötig. Am Mittwoch wollen die Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen das Gutachten beraten.