Beschluss im Bundestag Was bringt das Gesetz gegen Arznei-Lieferengpässe?
Bei Hunderten Wirkstoffen von Medikamenten gibt es derzeit einen Mangel. Ein neues Gesetz soll dies künftig verhindern - durch Vorgaben und Anreize. Was genau wurde heute im Bundestag beschlossen?
Lieferengpässe bei Medikamenten sollen künftig zuverlässiger abgewendet werden. Der Bundestag beschloss ein Gesetz der Ampel-Koalition, durch das der Kostendruck auf die Pharmahersteller gesenkt werden soll, damit der Verkauf der Medikamente in Deutschland lohnenswerter wird. Das Gesetz sieht vor, die Preisregeln für Kinderarzneimittel zu lockern, Festbeträge und Rabattverträge werden abgeschafft. Außerdem wird die telefonische Krankschreibung unbefristet ermöglicht.
Lauterbach beklagt "übertriebene Ökonomisierung"
"Seit vielen Jahren beklagen wir Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Bundestag. "Das ist eine unhaltbare Situation mittlerweile", betonte er. Zum Teil seien Krebsmedikamente, Antibiotika oder Medikamente für Kinder hierzulande nicht erhältlich, obwohl sie im Ausland noch verfügbar seien.
Lauterbach zufolge hat sich die Versorgung mit patentfreien Medikamenten durch eine "übertriebene Ökonomisierung" in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Die Bundesregierung habe mit der Reform nun die Weichen gestellt, um Engpässe künftig zu vermeiden. Der Minister rechtfertigte Mehrausgaben bei den Krankenkassen besonders für Kinder. "Wenn wir hier sparen, ist das nicht ethisch."
Opposition sieht keine Ursachenbekämpfung
Redner der Opposition im Bundestag lehnten die Gesetzespläne als unzureichend ab. Der CDU-Abgeordnete Georg Kippels bezeichnete die Arzneimittelreform als "eine Enttäuschung". Er sprach von einem Scheinmedikament, das die "wirklichen Ursachen" der Versorgungsprobleme nicht löse. Jörg Schneider (AfD) forderte eine komplette Abschaffung von Rabattverträgen für Arzneien. Ates Gürpinar (Linke) monierte gegenüber Minister Lauterbach: "Sie glauben, einfach mehr Geld bei der Pharmaindustrie löst das Problem."
Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz, kurz ALBVVG, muss noch in den Bundesrat, bevor es von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird. Das sind die Kernpunkte:
Sicherheitspuffer für Medikamente: Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller bei sich einen Vorrat anlegen müssen. Dieser soll so groß sein wie eine durchschnittliche Liefermenge für sechs Monate. Zunächst war ein Drei-Monats-Puffer geplant. Der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, warnte, dass Produktionskapazitäten dafür fehlten. Zudem verursache die Lagerhaltung noch mehr Kosten. Und das verschärfe den Kostendruck als eine Ursache für Ausstiege aus der Produktion.
Arzneimittel für Kinder: Für Kindermedikamente soll es keine Rabattverträge mehr geben, mit denen Preise für die Kassen als Großabnehmer gedrückt werden. Hersteller sollen ihre Abgabepreise auch einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrags anheben dürfen - also des maximalen Betrags, den die gesetzlichen Kassen bisher für ein Präparat zahlen. Neue Festbeträge soll es dann für Kindermedikamente nicht mehr geben. Außerdem soll generell eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.
Änderungen Apotheken und Kassen: Apotheken soll bei nicht verfügbaren Präparaten ein Ausweichen auf wirkstoffgleiche Mittel erleichtert werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel soll zudem mehr Informationen aus dem Markt bekommen und ein Frühwarnsystem einrichten. Bei Ausschreibungen zu Kassenverträgen sollen europäische Produzenten stärker zum Zug kommen, zunächst bei Antibiotika-Wirkstoffen.
Telefonische Krankschreibungen: Nach dem Aus einer Corona-Sonderregelung im April sollen Krankschreibungen per Telefon auch ohne Praxisbesuch dauerhaft möglich werden, vorausgesetzt, es geht um Erkrankungen ohne schwere Symptome und man ist bei dem Arzt oder der Ärztin schon aus früheren Behandlungen bekannt. Das soll Praxen und Patienten, besonders Eltern mit Kindern, entlasten. Die genaue Regelung dazu soll der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kassen und Kliniken erarbeiten.
Bundesweites "Drug-Checking": Angebote zu Untersuchungen der Inhaltsstoffe von Drogen, sogenanntes Drug-Checking, sollen bundesweit möglich werden. Dafür soll das Verbot von "Substanzanalysen" durch Personal in Drogenkonsumräumen im Betäubungsmittelgesetz wegfallen. Die Länder sollen Modellvorhaben erlauben können, "wenn mit der Analyse eine Risikobewertung und gesundheitliche Aufklärung verbunden ist". Dies soll laut Lauterbach die Zahl der Drogentoten reduzieren.
Absicherung für Rettungskräfte: Für Notfallsanitäter soll es rechtlich abgesichert werden, dass sie zum Beispiel bei schweren Unfällen schmerzlindernde Betäubungsmittel geben dürfen, auch wenn gerade kein Arzt da ist.
Neuer Wortlaut in Arznei-Werbung: In Werbespots und Anzeigen für Medikamente soll der bekannte vorgeschriebene Warntext geändert werden und künftig lauten: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke". Damit solle "gleichstellungspolitischen Aspekten Rechnung getragen werden", heißt es im Entwurf.