Vor Wiederholungswahl Wie die Bundespolitik auf Berlin schaut
Bundespolitisch hat die Wiederholungswahl in Berlin eine begrenzte Bedeutung. Die Bundesparteien schauen dennoch mit Spannung auf den Ausgang - auch, weil fast alles offen ist.
Kevin Kühnert ist auf Wahlkampftour in Berlin. Der Stand im Wedding ist schon sein zweiter Termin an diesem Tag. Ein weiterer ist noch geplant. Der SPD-Generalsekretär muss jede Landtagswahl ernst nehmen. Aber die Abstimmung in Berlin ist schon speziell. Kühnert ist selbst Berliner, Berlin ist Hauptstadt. Und die gilt den größten Kritikern inzwischen als Lachnummer - das dicke dreifache B aus BER, Behördenchaos und Bildungsmisere.
Eine Blamage waren die Wahlpannen im September 2021, aufgrund derer die Abgeordnetenhauswahl nun wiederholt werden muss. "Niemand freut sich darüber, wenn neu gewählt werden muss", sagt Kühnert. Es brauche jetzt aber eine neue Legitimationsgrundlage. "Ich glaube, das tut der Wahlbereitschaft jedoch keinen Abbruch. Das ist eingepreist. Wir wählen neu. Punkt. Und so kommt es jetzt."
Oberstes Ziel für den wahlkämpfenden SPD-Generalsekretär: Franziska Giffey soll Regierende Bürgermeisterin bleiben. Sie gebe der Stadt eine sozialdemokratische Handschrift. Die Stadt sei immer noch bezahlbar, die Kita-Gebühren wurden abgeschafft, jetzt wolle die SPD ein 29-Euro-Ticket, zählt Kühnert auf.
SPD regiert seit 2001
Seit 2001 stellt die SPD durchgängig den Regierungschef oder die -chefin in Berlin. Im September 2021 war die Partei stärkste Kraft geblieben - knapp vor den Grünen. Aus Rot-Rot-Grün wurde Rot-Grün-Rot und Giffey übernahm das Amt der Regierungschefin von Michael Müller.
Wenn es blöd läuft für Giffey, könnte sie ihren Job nach gut einem Jahr schon wieder los sein. Wenn es gut für sie läuft, bleibt alles wie es ist: Die SPD liegt vor Grünen und Linkspartei und alle drei zusammen haben eine Mehrheit. Das würde die dritte Auflage des Links-Bündnisses ermöglichen. Nach den Zahlen des BerlinTrends ist dies ein mögliches Szenario.
Kühnert hält Giffey für das große Pfund der SPD in Berlin. Die Bundespolitik spiele nur am Rande eine Rolle. "Der Krieg in der Ukraine oder die Panzerlieferungen werden an den Wahlkampfständen zwar schon mal erwähnt." Aber Berlin habe genug eigene Probleme.
Nach Einschätzung der Politologin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin ist es für die SPD eine Prestigefrage, Berlin als Bundeshauptstadt zu halten. "Auch wenn das möglicherweise mit dem Makel behaftet sein könnte, nicht als Erster durchs Ziel zu gehen bei der Wiederholungswahl."
CDU will zeigen, dass sie in Großstädten erfolgreich sein kann
Das könnte diesmal der CDU gelingen. Die Union liegt in den Umfragen vorn. Entsprechend zufrieden gibt sich CDU-Generalsekretär Mario Czaja im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Er kommt wie Kühnert aus Berlin und teilt auch dessen Einschätzung, dass Bundespolitik bei dieser Wahl eine eher untergeordnete Rolle spielt: "Diese Landtagswahl ist sicher sehr stark landespolitisch geprägt. Aber die Geschlossenheit der Bundespartei hat auch einen wichtigen Beitrag geleistet, dass die Union in Berlin so gut dasteht. Dieser Rückenwind ist immer wichtig in so einem Wahlkampf."
Czaja hofft, dass CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner ins Rote Rathaus einzieht und die Union damit zeigt, dass sie auch in großen Städten erfolgreich sein kann. Die CDU regiere bereits in Düsseldorf, Stuttgart und Essen, so der Generalsekretär. "Und wir sind auch stärkste Kraft in Bremen geworden. Leider hatte es da nicht zu einer Regierung gereicht."
Tiefe Gräben zwischen CDU und Grünen
Das könnte in Berlin ebenfalls passieren. Während die Union bei anderen Landtagswahlen gerne große Offenheit gegenüber den Grünen signalisiert und in Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Schleswig-Holstein schwarz-grüne Regierungen gebildet hat, ist im Berliner Wahlkampf ein Rückfall in alte Frontstellungen zu besichtigen. CDU und Grünen streiten sich verbal wie in alten Zeiten, insbesondere beim emotional aufgeladenen Thema der Verkehrspolitik.
Mit der Polarisierung dürften beide Parteien zwar in erster Linie versuchen, die eigene Kernklientel zu mobilisieren. Aber die Attacken könnten eine Annäherung nach der Wahl erschweren. Zumal beide Parteien ein Bündnis insbesondere wegen der Differenzen in der Verkehrspolitik praktisch ausgeschlossen haben, wenn auch nicht kategorisch.
Denn in der CDU gibt es die Hoffnung, dass es nach der Wahl für ein Zweierbündnis reichen könnte - entweder mit der SPD oder mit den Grünen. Ein schwarz-grünes Bündnis böte zudem die Aussicht, mehr Senatorenposten zu bekommen als bei Rot-Grün-Rot, was selbst im traditionell stark linken grünen Landesverband als bessere Option erscheinen könnte.
Das Rote Rathaus "begrünen"
Grünen-Co-Chef Omid Nouripour betont, dass die Grünen klare inhaltliche Bedingungen gestellt hätten, von denen die CDU weit entfernt sei. Wenn sich das nach der Wahl ändern sollte, "dann kann man natürlich miteinander reden". Die Entscheidung liege letztlich aber immer bei den Ländern, so Nouripour. Auch Politologin Kropp hält die Einflussmöglichkeiten der Bundespartei für begrenzt. "Es gilt die ungeschriebene Regel, dass man sich in die Koalitionsbildung auf Landesebene nicht massiv einmischt."
Erklärtes Ziel der Partei ist es, "das Rote Rathaus zu begrünen", wie es Nouripour formuliert. Sprich: Spitzenkandidatin Bettina Jarasch soll nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg die zweite grüne Regierungschefin auf Länderebene werden. Das hatte 2011 zum ersten Mal Renate Künast als offizielles Ziel in Berlin ausgegeben - aber gegen Klaus Wowereit verloren. Und die jetzige Spitzenkandidatin und Mobilitätssenatorin Jarasch liegt laut BerlinTrend in der Wählerzufriedenheit auf dem vorletzten Platz unter den sechs Kandidatinnen und Kandidaten.
Linke hofft auf Lichtblick, AfD auf Zweistelligkeit
Die Linke hofft, dass es in Berlin beim Dreier-Bündnis mit SPD und Grünen bleibt. "Die Bedeutung der Wahl ist groß für die gesamte Partei", sagt Linken-Chef Martin Schirdewan. "Die Dynamik des Wahlkampfes könnte zu einer Stabilisierung und Trendwende für die Bundespartei werden." Tatsächlich sind es wichtige Monate für die Linke. Es geht um die Regierungsbeteiligung in der Hauptstadt, und im Mai steht in Bremen die Wahl an, wo ebenfalls Rot-Grün-Rot regiert. Allerdings strahlen die Verwerfungen in der Bundespartei auch auf die Wahlkämpfe aus.
So hat es sich Sahra Wagenknecht nicht nehmen lassen, in Berlin aufzutreten. Was die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert so kommentiert: "Sahra Wagenknecht steht hier nicht zur Wahl. Und sie hat auch Null Einfluss."
Die AfD kann sich Hoffnungen machen, in Berlin zuzulegen. 2021 kam sie auf acht Prozent, diesmal könnte sie laut Umfragen zweitstellig werden. "Berlin ist das Brennglas, wo alle Probleme aufeinandertreffen", sagt Parteichef Tino Chrupalla. "Von daher hat die Wahl für uns eine große Bedeutung."
FDP braucht Erfolgserlebnis
Die FDP hofft auf ein Erfolgserlebnis nach den schlechten Wahlergebnissen im vergangenen Jahr, als die Partei in Niedersachsen aus dem Landtag flog und in Schleswig-Holstein sowie Nordrhein-Westfalen die Regierungsbeteiligung verlor. Im Abgeordnetenhaus zu bleiben und möglicherweise sogar in ein Dreier-Bündnis einzutreten, ist das Ziel. Eine sogenannte Deutschland-Koalition mit CDU und SPD wie in Sachsen-Anhalt wäre die Wunsch-Option der FDP.
So schauen die Parteizentralen mit Interesse auf die Berlin-Wahl - auch wenn die bundespolitischen Auswirkungen begrenzt sein dürften. Zu diffus die Lage, zu landespolitisch der Wahlkampf. Politologin Kropp von der FU Berlin hält es aber für möglich, dass sich ein Langzeittrend fortsetzt: "Die Zersplitterung des Parteiensystems könnte dazu führen, dass die Regierungsbildung auch in Berlin zunehmend schwierig wird."