
Zwei Jahre Atomausstieg Die Endlagersuche zieht sich - womöglich bis 2074
Trotz des Endes der Atomkraft in Deutschland vor zwei Jahren gibt es für die radioaktiven Abfälle noch keine Lösung. Warum dauert es so lange? Wo liegen die größten Herausforderungen?
Am 23. März 2017 sollte ein jahrzehntelanger Konflikt in neue Bahnen gelenkt werden. Der Bundestag verabschiedete ein verändertes Standortauswahlgesetz, das den Weg für die Suche nach einem Endlager für die hochradioaktiven Abfälle aus den deutschen Atomkraftwerken ebnen sollte.
Die damals zuständige Ministerin für Umwelt und Reaktorsicherheit, Barbara Hendricks, sprach von einem Testfall für die Demokratie. "Ein handlungsfähiger Staat muss sich daran messen lassen, ob eine Lösung gelingt, die wissenschaftlich begründet ist und von einer breiten Mehrheit des Landes getragen wir", so die SPD-Politikerin.
Politisch aufgeladen war die Standortsuche spätestens ab Februar 1977, als der damalige niedersächsische Ministerpräsident, CDU-Politiker Ernst Albrecht, ankündigte, in Gorleben ein atomares Endlager errichten zu lassen. Es folgten teils massive Proteste von Bewohnern des Wendlands und der Anti-Atombewegung.
Gorleben-Konflikt wirkt bis heute
Gorleben wurde zum Synonym für den Konflikt um die Atomenergie in Deutschland. Und für die weitere Endlagersuche machte der Protest im Wendland deutlich: Wenn ein Standort gefunden werden soll, muss der nicht nur sicher sein, sondern es braucht auch die Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort. Das sollte mit dem Standortauswahlgesetz erreicht werden.
Klaus-Jürgen Röhlig ist Professor für Endlagersysteme an der TU Clausthal und Mitglied der Entsorgungskommission, einem Beratungsgremium des Umweltministeriums. Aus seiner Sicht war der Gorleben-Konflikt entscheidend für das Design des neuen Auswahlverfahrens. "Es wurde dann ein sehr ausgefeiltes, ein sehr sorgfältig geplantes Verfahren entwickelt, was aber auch sehr komplex ist."
Das Prinzip des Verfahrens: Wie auf einer weißen Landkarte werden nach und nach Regionen festgelegt, die nicht für den Standort in Frage kommen. Das kann dauern, denn Stand jetzt erfüllt gut die Hälfte der Fläche Deutschlands die geologischen Mindestanforderungen für ein Endlager und ist damit sozusagen noch im Rennen. Gorleben gehört schon jetzt nicht mehr dazu.
Suche bis 2074 abgeschlossen?
Ursprünglich wollte man mit diesem Verfahren schrittweise bis zum Jahr 2031 einen Endlager-Standort benennen. Aber inzwischen ist klar: Dieser Zeitplan ist nicht zu halten. Nach den gegenwärtigen Prognosen könnte die Suche irgendwann zwischen 2046 und 2074 abgeschlossen werden. Und dann wäre nur der Standort ausgewählt. Das Endlager müsste anschließend auch noch errichtet werden - inklusive Planung, Genehmigung und Bau.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ist für die Standortsuche zuständig. Eine zentrale Vorgabe für die BGE lautet, dass am ausgesuchten Ort der strahlende Atommüll für eine Million Jahre sicher unterirdisch gelagert werden kann.
Aus Sicht von BGE-Sprecherin Dagmar Dehmer lässt sich das Auswahlverfahren daher auch kaum abkürzen. "Das liegt schlicht daran, dass wir sehr komplizierte Abfälle in eine sehr, sehr ruhige Geologie entlassen müssen, um sie dort dauerhaft zu lagern. Man kann da keine Fehler machen, das muss sicher sein", so Dehmer.
Zwischenlager-Genehmigungen laufen aus
Andere Länder mit Atomkraft sind bei ihrer Endlagersuche allerdings weiter. Frankreich, die Schweiz und Schweden haben bereits Standorte benannt. In Finnland ist das erste Endlager für hochradioaktiven Abfall fertiggestellt worden, dort läuft derzeit der Probebetrieb. In Schweden und Finnland gibt es allerdings kaum Akzeptanzprobleme der Bevölkerung vor Ort.
Auch in Deutschland wird inzwischen diskutiert, ob sich die Endlagersuche vereinfachen lässt, ohne dabei Abstriche an der Sicherheit zu machen. Endlager-Forscher Röhlig hält das für denkbar. "Wir haben in diesem Verfahren drei Mal eine behördliche Befassung, wir haben in diesem Verfahren drei Mal eine Parlamentsentscheidung, die auch wieder von politischen Mehrheiten und von Verhandlungen abhängt. Und das kostet natürlich enorm viel Zeit." BGE-Sprecherin Dehmer geht davon aus, dass bis Mitte des Jahrhunderts ein Standort gefunden werden kann, wenn die Beschleunigungsmöglichkeiten genutzt werden.
Der deutsche Atommüll ist trotzdem da. In knapp 2.000 Castorbehältern werden die hochradioaktiven Abfälle an 16 Standorten zwischengelagert, darunter in Brokdorf, Biblis oder Lubmin. Die Castoren und die Zwischenlager sind bis auf weiteres für vierzig Jahre genehmigt. In Gorleben etwa läuft die Genehmigung Ende 2034 aus. Die Zeit bis dahin wird wohl nicht reichen, um die Suche nach einem Endlager abzuschließen.